15.09.2011

Zehn Jahre „Ufo-Forschung“ in der Schweiz

Paul Scherrer Institut zieht Bilanz seiner „fliegenden Untertasse“, der Großforschungsanlage SLS.

Mit einem Festakt hat das Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen an das zehnjährige Bestehen seiner bedeutendsten Großforschungsanlage erinnert. Seit der Inbetriebnahme im Sommer 2001 haben Tausende von Wissenschaftlern aus Hochschule und Industrie an der Synchroton Lichtquelle Schweiz (SLS) Experimente durchgeführt. Ihre Forschung mündete in über 2000 wissenschaftlichen Publikationen und brachte darüber hinaus einen Nobelpreis sowie eine Vielzahl industrieller Anwendungen hervor.

Abb.: Die Luftaufnahme vom Juni 2009 zeigt das Areal West des Paul Scherrer Instituts mit der SLS im Vordergrund. (Bild: PSI, M. Fischer)

Wer von Villigen Richtung Norden fährt sieht es schon von Weitem. Fliegende Untertasse, Ufo, Frisbee oder Donut sind die Assoziationen die Besuchern beim Betrachten des kreisrunden Gebäudes mit Innenhof einfallen. Doch die SLS macht nicht nur architektonisch auf sich aufmerksam: „Wir beobachten in der Schweiz und im Ausland auch zehn Jahre nach der Inbetriebnahme eine weiter wachsende Nachfrage von Wissenschaftlern, die an der SLS forschen wollen“, sagt Friso van der Veen, Leiter des PSI-Forschungsbereichs „Synchrotronstrahlung und Nanotechnologie“. Dank der einzigartigen Stabilität und Zuverlässigkeit der Anlage sowie der erstklassigen Qualifikation der Ingenieure und Techniker habe sich die SLS ein weltweites Renommee als Instrument der Spitzenforschung erworben. So nutzte der indisch-amerikanische Strukturbiologe Venkatraman Ramakrishnan, der 2009 den Chemie-Nobelpreis erhielt, die SLS als eine wichtige Plattform für seine Forschung am Ribosom.

Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz erzeugt intensives Röntgenlicht, das Materialuntersuchungen in einem breiten Anwendungsspektrum erlaubt. Um Synchrotronstrahlung zu gewinnen, kreisen in der SLS Elektronen in einer ringförmigen Anlage. Dabei geben sie Licht ab, das an Experimentierplätze geführt und dort von Forschern für ihre Experimente genutzt wird. An der SLS arbeiten Gastforscher aus dem In- und Ausland. Daneben betreibt das PSI dort selber ein hochqualifiziertes eigenes Forschungsprogramm.

Wichtige Erfolge wurden in der SLS in den letzten zehn Jahren bei der Aufklärung der Struktur von Eiweißmolekülen erzielt. Die Proteinkristallografie erlaubt beispielsweise der Pharmaindustrie die Entwicklung neuer Medikamente. Eine weitere Erfolgsgeschichte der SLS ist die Phasenkontrast-Mikroskopie. Mit ihr lassen sich – anders als mit einem klassischen Röntgengerät – auch in sehr weichem Körpergewebe Kontraste erkennen. Dies eröffnet neuartige diagnostische Möglichkeiten beispielsweise zur Früherkennung von Brustkrebs. Auf dieser Grundlage werden neue Mammografie-Geräte entwickelt, die bald auf den Markt kommen dürften. Eine entsprechende Publikation hat das PSI jüngst in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baden und dem auch in der Medizintechnik tätigen Elektronikkonzern Philips veröffentlicht. Die Synchrotronstrahlung wird weiterhin in erheblichem Ausmass auch für Grundlagenforschung in der Festkörperphysik genutzt. Die Forschung mit Röntgenstrahlen führt zu einem besseren Verständnis der Eigenschaften von Materie, etwa bei Magnetismus und Supraleitung.

Abb.: Im Innern des „Ufos“ – die Experimentierhalle der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. (Bild: Scanderbeg Sauer Photography)

Um der wachsenden Nachfrage von Forschern und der enormen Themenvielfalt gerecht zu werden, wurde die SLS im Verlauf der letzten zehn Jahre ständig erweitert, von anfänglich vier Strahllinien auf heute 16. Zwei weitere Strahllinien sind im Aufbau und sollen den Forschern bis Ende Jahr zur Verfügung stehen. In den vergangenen zehn Jahren gab es über 20.000 Besuche von Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland, die einen oder mehrere Tage lang an der SLS forschten. Ihre Arbeit trug Früchte: die nahezu 7000 Experimente seit 2001 erschienen vergleichsweise oft in den Top-Journalen wie „Nature“, „Science“, „Cell“ und „Physical Review Letters“.

Die SLS-Forschung zeichnet sich aber auch aus durch einen hohen Impact für die Wirtschaft. Die Anlage ist heute ein fester Bestandteil der Industrieforschung. Dies nicht nur im Pharma-Sektor, sondern auch in der Mikroelekronik (Lithografieverfahren) oder der Automobilindustrie (Porosität von Werkstoffen). Schweizer Pharmakonzerne wie Novartis und Roche haben direkt in den Ausbau der SLS investiert. Die Anlage behauptet sich auch im Wettbewerb der unterdessen rund 50 Synchrotrone weltweit. So forscht hier beispielsweise Mitsubishi. „Elf Prozent der Messzeit an der SLS – deutlich mehr als zunächst geplant – wird durch Industrieunternehmen in Anspruch genommen. Das ist doppelt so viel wie an anderen Synchrotronen“, sagte Philipp Dietrich, der für die Industrievermarktung der SLS zuständig ist.

Als die SLS vor zehn Jahren in Betrieb genommen wurde, war sie weltweit die erste Lichtquelle ihrer Grösse, mit der kurzwellige Röntgenstrahlen mit hoher Brillanz erzeugt werden konnten. Das war zuvor grossen Anlagen vorbehalten. Zudem garantierte eine Reihe von technischen Neuentwicklungen eine bis dahin nicht erreichte Stabilität des Röntgenstrahls. Die innovativen Konzepte der SLS wurden von allen nachfolgenden Anlagen in Schweden, Taiwan, Spanien, Frankreich und Großbritannien übernommen und sind heute Standard für eine Lichtquelle mit Spitzenqualität. Die SLS kann mit ihren exzellenten Anwendungsmöglichkeiten noch weit länger als die üblichen dreißig Jahre in Betrieb bleiben, auch wenn 2017 der neue Röntgenlaser SwissFEL in Betrieb geht, der Licht mit noch höherer Brillanz erzeugt und mit dem dank der noch kürzeren Pulse selbst molekulare Abläufe filmisch dargestellen kann.

PSI / OD

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