15.08.2019

Zeitmaschine für neue Materialien

Röntgenquelle Bessy II soll die Dynamik von Materie auf der Pikosekunden-Zeitskala messen.

Viele Experimente in der Physik sind zeitaufwendig und teuer. Manchmal merkt man aber erst am Ende, dass man eigentlich die falschen Mess­parameter angesetzt hat. Wie praktisch wäre es dann, eine Zeitmaschine zu haben, mit der man an den Anfang des Experiments springen und die Daten neu auswerten könnte? Genau so eine Maschine wollen Forscher der Martin-Luther-Univer­sität Halle-Wittenberg, der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität München für eine Groß­forschungsanlage am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie entwickeln und die Anlage so verbessern. Das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung fördert das Vorhaben mit rund zwei Millionen Euro.

Abb.: Ein um eine Laser­anlage erweitertes Experiment an Bessy II erlaubt die...
Abb.: Ein um eine Laser­anlage erweitertes Experiment an Bessy II erlaubt die gepulste Anregung der zu unter­suchenden Proben. Auf diese Weise kann die Dynamik von Materie auf der Piko­sekunden-Zeitskala untersucht werden. (Bild: HZB)

„Bessy II“ ist eine deutschland­weit einmalige Forschungs­anlage am Helmholtz-Zentrum Berlin, mit der sich Röntgen­strahlung erzeugen lässt, deren Energie und Polarisation exakt eingestellt werden kann. Herzstück ist ein Teilchen­beschleuniger, der Elektronen auf nahezu Licht­geschwindigkeit bringt. Diese durchlaufen einen Speicherring mit Magneten, wobei Röntgenblitze entstehen. „Man kann sich den Bessy-Speicher­ring wie eine Kamera mit extrem schnellem Blitzlicht vorstellen. Die Röntgen­strahlung wird gepulst erzeugt, sodass Experimente mit einer sehr hohen Zeit­auflösung möglich sind“, sagt der Physiker Georg Woltersdorf von der MLU, der das Projekt gemeinsam mit Wolfgang Kuch von der Freien Universität Berlin und Christian Back von der TU München leitet. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften ist die Anlage bei Material­forschern auf der ganzen Welt äußerst gefragt.

Jährlich nutzen über 2.000 Wissenschaftler Bessy II für Experimente, die Warteliste zur Benutzung ist lang. Eine weitere Heraus­forderung ist es, dass die Forscher ;im Vorfeld genau festlegen müssen, welche Parameter zu welchen Zeitpunkten gemessen werden sollen. Ein kleiner Fehler in der Fragestellung könnte, so Wolters­dorf, aber dazu führen, dass die ganze Messreihe keine oder unzureichende Ergebnisse erzielt. Hier setzt das neue Projekt an: Eine schnelle Elektronik für die Daten­erfassung soll es ermöglichen, das Signal aller entstehenden Röntgen­blitze, die während des Experiments anfallen, aufzu­zeichnen und auszuwerten.

Dabei entstehen einige Terabyte Daten pro Stunde. „Der neu geplante Aufbau kann auf diese Weise viel mehr leisten, als es bisher der Fall war. Die gemessenen Daten werden durch die Elektronik gleich zum korrekten Zeitpunkt einsortiert. Mit den gespeicherten Rohdaten kann man auch nachträglich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den Daten springen und ein neues Zeitraster verwenden“, so Wolters­dorf weiter. Um diese Elektronik sinnvoll einsetzen zu können, erweitern die Forscher das Experiment an Bessy zudem um eine Laseranlage, die die gepulste Anregung der zu unter­suchenden Proben erlaubt. Auf diese Weise kann die Dynamik von Materie auf der Piko­sekunden-Zeitskala untersucht werden. 

Für die drei Projektpartner ist es nicht die erste gemeinsame Arbeit an Bessy II: Bereits in vergangenen Jahren haben die Wissen­schaftler aus Halle, Berlin und München an der Synchrotron-Strahlungs­quelle das "VEKMAG"-Experiment aufgebaut, einen einzigartigen Messplatz, mit dem Messungen bei hohen Magnetfeldern und tiefen Tempera­turen möglich sind. Nun wird dieses weltweit einzigartige Experiment noch um einen Laser zur Anregung und eine leistungs­fähige Daten­erfassung erweitert. Erforscht werden mit der Anlage zum Beispiel neue magne­tische Materialien, die langfristig Anwendung bei der Daten­speicherung finden könnten.

MLU / JOL

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