Zellen und Legierungen unter Schwerelosigkeit
ATEK-Mission bringt wichtige biologische und materialwissenschaftliche Erkenntnisse.
Am 13. Juni 2019 um 4:21 Uhr wurde die Stille im Norden Schwedens von dröhnenden Raketentriebwerken unterbrochen. Die Mission ATEK (Antriebstechnologien und Komponenten für Trägersysteme) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) beförderte Health-Monitoring-Systeme für kritische Trägerkomponenten, eine Hybridgehäusestruktur und eine Mapheus-8-Nutzlast aus verschiedenen biologischen und materialwissenschaftlichen Experimenten in eine Höhe von rund 240 Kilometern. Nach ungefähr sechs Minuten in der Schwerelosigkeit kehrten die instrumentierte Rakete und die Nutzlast per Fallschirm zurück zur Erde, wo sie von den Wissenschaftlern zur Auswertung der Experimente geborgen wurden.
Die Forschungsraketenmission Mapheus des DLR startete bereits zum achten Mal von der Raketenbasis Esrange, nahe der lappländischen Stadt Kiruna. Während der im Vergleich zu anderen Raumfahrtmissionen relativ kurzen Zeit in der Schwerelosigkeit, konnten die Wissenschaftler wertvolle Informationen zum Verhalten von Materialien und biologischen Proben gewinnen, die als Basis für weitere Forschungen dienen.
Drei Health-Monitoring-Systeme, entwickelt vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, erfassten vom Start der zwölf Meter hohen und mehr als zweieinhalb Tonnen schweren Rakete bis zur Trennung der zweiten Stufe die aerothermalen und mechanischen Lasten auf Motoradapter, Finnen, Tailcan und Düse. Das autonome, modulare und impaktgeschütze Datenerfassungssystem erlaubte es, die Lasten und Strukturantworten der zweiten Motorenstufe auch in der unkontrollierten Abstiegsflugphase zu messen sowie das Verhalten der mit einem neuen Verfahren hergestellten Hybridgehäusestruktur entlang des gesamten Fluges mit einer Dauer von rund acht Minuten zu überwachen.
Die Bandbreite der Mapheus-8 Experimente reichte von der Strahlenbiologie, über das Verhalten kolloidaler Systeme und granularer Materie in der Schwerelosigkeit bis hin zur Untersuchung von Zellen und Hefekulturen. Die Forscher testeten unter anderem, ob Hefe in der Schwerelosigkeit das für Menschen wichtige Vitamin B12 bilden kann und damit für die Ernährung in der Raumfahrt hilfreich ist. Weitere Schwerpunkte lagen in der Untersuchung des Erstarrungsverhaltens von metallischen Legierungen sowie der Bewegung von Bakterien und Orientierung von Pantoffeltierchen, die als „schwimmende Nervenzellen“ der neuronalen Forschung dienen. Zusätzlich leistete die Forschungsmission die Erprobung und Weiterentwicklung von Messtechnologien für Weltraumexperimente. Neben den Kölner DLR-Instituten für Materialphysik im Weltraum, Luft- und Raumfahrtmedizin sowie dem DLR-Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) waren die Universitäten Konstanz, Stuttgart Hohenheim, die TU München sowie das Landauer Bierprojekt und der Weincampus Neustadt an den Experimenten beteiligt.
Das ATEK-Forschungsprojekt ist ein Bestandteil des DLR-Teilprogrammschwerpunktes „Wiederverwendbare Raumtransportsysteme“ mit dem Ziel, ausgewählte Technologien und Methoden im Hinblick auf thermomechanische Analyse und Bewertung von Trägersystemen zu entwickeln. Dafür sollen die Strukturen, Messmethoden und Auswertealgorithmen, die in Grundlagenuntersuchungen entwickelt werden, für ein Flugexperiment angepasst und schließlich mit dem Flug qualifiziert werden. Die Flugdaten sollen ergänzend zu den Bodenexperimenten Validierungsdaten für physikalische Modellierungen, numerische Simulationen und Systemanalyse liefern und dadurch eine zuverlässige Auslegung und Bewertung von zukünftigen Trägersystemen ermöglichen. Die Sensorik für die Health-Monitoring Systeme wurde vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik entwickelt und zusammen mit der Abteilung Mobile Raketenbasis implementiert.
Das Mapheus-Höhenforschungsprogramm (Materialphysikalische Experimente unter Schwerelosigkeit) wird bereits seit elf Jahren durchgeführt. Der jährliche Flug, vorbereitet und durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis des DLR, ermöglicht den Wissenschaftlern einen unabhängigen und regelmäßigen Zugang zu Experimenten in Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand mit richtungsweisenden Experimenten im Bereich der Eigenschaften metallischer Flüssigkeiten und deren Erstarrung sowie der Dynamik sogenannter ungeordneter physikalischer Systeme und der Schwerkraftwahrnehmung biologischer Systeme.
DLR / DE