24.05.2023

Zellskelett in der optischen Falle

Detailanalyse der physikalischen Eigenschaften filigraner Filamente.

Die meisten biologischen Zellen haben einen festen Platz im Organismus. Zellen können aber auch in einen beweglichen Zustand wechseln und durch den Körper wandern. Das passiert zum Beispiel bei der Wundheilung und wenn Tumore Metastasen bilden. Bewegliche und stationäre Zellen unter­scheiden sich unter anderem in ihrem Zellskelett. Diese Struktur aus Protein­filamenten macht die Zellen stabil, dehnbar und widerstandsfähig gegen äußere Kräfte. Hier spielen Intermediär­filamente eine wichtige Rolle. Davon findet man interessanter­weise in beweglichen und stationären Zellen zwei verschiedene Typen. Bio­physikerinnen und -physiker der Universität Göttingen und der ETH Zürich ist es gelungen, die beiden Filamente mechanisch genau zu charak­terisieren. Dabei entdeckten sie Parallelen zu nicht-biologischen Materialien. 

Abb.: Mikroskop­bilder von biologischen Zellen mit Intermediär­filamenten in...
Abb.: Mikroskop­bilder von biologischen Zellen mit Intermediär­filamenten in Fibroblasten und Epithel­zellen. (Bild: U. Rölleke & R. Meyer, U. Göttingen)

Die Forschenden untersuchten mit optischen Pinzetten, wie sich die Filamente aus den Proteinen Vimentin und Keratin unter Zug verhalten. Sie befestigten die Enden der Filamente an kleinen Kunststoff­kugeln, die sie dann mithilfe von Licht gezielt bewegten. So wurden die Filamente gestreckt. Die Forschenden bestimmten, welche Kräfte für die Streckung nötig waren und wie sich die Filamente verhielten, wenn sie mehrmals gestreckt wurden.

Erstaunlicher­weise verhalten sich die beiden verschiedenen Filamente bei wiederholter Streckung gegensätzlich: Vimentin-Filamente werden weicher und behalten ihre Länge, Keratin-Filamente werden länger und behalten ihre Steifigkeit. Die experi­mentellen Ergebnisse lassen sich mit Computersimulationen auf molekulare Wechsel­wirkungen zurückführen: Bei Vimentin-Filamenten gehen die Forschenden davon aus, dass sich Strukturen öffnen, ähnlich wie in Gelen aus mehreren Komponenten. In Keratin-Filamenten vermuten sie, dass sich Strukturen gegeneinander verschieben, wie bei Metallen.

Beide Mechanismen erklären, dass sich die Netzwerke der Intermediär­filamente im Zellskelett sehr stark verformen lassen, ohne Schaden zu nehmen – allerdings basierend auf grundlegend unter­schiedlicher Physik. „Die Ergebnisse erweitern unser Verständnis dafür, warum verschiedene Zellentypen so unterschiedliche mechanische Eigen­schaften haben“, erklärt Charlotta Lorenz. Sarah Köster vom Institut für Röntgen­physik, Leiterin der Studie, ergänzt: „Wir können von der Natur lernen und über das Design neuer, nachhaltiger und schaltbarer Materialien nachdenken, deren Eigenschaften genau zu den Anforderungen passen.“

U. Göttingen / JOL

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