Zellskelett in der optischen Falle
Detailanalyse der physikalischen Eigenschaften filigraner Filamente.
Die meisten biologischen Zellen haben einen festen Platz im Organismus. Zellen können aber auch in einen beweglichen Zustand wechseln und durch den Körper wandern. Das passiert zum Beispiel bei der Wundheilung und wenn Tumore Metastasen bilden. Bewegliche und stationäre Zellen unterscheiden sich unter anderem in ihrem Zellskelett. Diese Struktur aus Proteinfilamenten macht die Zellen stabil, dehnbar und widerstandsfähig gegen äußere Kräfte. Hier spielen Intermediärfilamente eine wichtige Rolle. Davon findet man interessanterweise in beweglichen und stationären Zellen zwei verschiedene Typen. Biophysikerinnen und -physiker der Universität Göttingen und der ETH Zürich ist es gelungen, die beiden Filamente mechanisch genau zu charakterisieren. Dabei entdeckten sie Parallelen zu nicht-biologischen Materialien.
Die Forschenden untersuchten mit optischen Pinzetten, wie sich die Filamente aus den Proteinen Vimentin und Keratin unter Zug verhalten. Sie befestigten die Enden der Filamente an kleinen Kunststoffkugeln, die sie dann mithilfe von Licht gezielt bewegten. So wurden die Filamente gestreckt. Die Forschenden bestimmten, welche Kräfte für die Streckung nötig waren und wie sich die Filamente verhielten, wenn sie mehrmals gestreckt wurden.
Erstaunlicherweise verhalten sich die beiden verschiedenen Filamente bei wiederholter Streckung gegensätzlich: Vimentin-Filamente werden weicher und behalten ihre Länge, Keratin-Filamente werden länger und behalten ihre Steifigkeit. Die experimentellen Ergebnisse lassen sich mit Computersimulationen auf molekulare Wechselwirkungen zurückführen: Bei Vimentin-Filamenten gehen die Forschenden davon aus, dass sich Strukturen öffnen, ähnlich wie in Gelen aus mehreren Komponenten. In Keratin-Filamenten vermuten sie, dass sich Strukturen gegeneinander verschieben, wie bei Metallen.
Beide Mechanismen erklären, dass sich die Netzwerke der Intermediärfilamente im Zellskelett sehr stark verformen lassen, ohne Schaden zu nehmen – allerdings basierend auf grundlegend unterschiedlicher Physik. „Die Ergebnisse erweitern unser Verständnis dafür, warum verschiedene Zellentypen so unterschiedliche mechanische Eigenschaften haben“, erklärt Charlotta Lorenz. Sarah Köster vom Institut für Röntgenphysik, Leiterin der Studie, ergänzt: „Wir können von der Natur lernen und über das Design neuer, nachhaltiger und schaltbarer Materialien nachdenken, deren Eigenschaften genau zu den Anforderungen passen.“
U. Göttingen / JOL