Zwerggalaxien entlarven dunkle Materie
Neues Experiment könnte die Frage beantworten, ob der mysteriöse Sternenkitt wirklich existiert.
Gibt es tatsächlich dunkle Materie? Oder müssen die von Newton und Einstein aufgestellten Gravitationsgesetze modifiziert werden? Forscher der Uni Bonn und der University of California haben jetzt eine hochwertige Simulation benutzt, um einen Test herzustellen, mit dem sich diese brennenden Fragen der Astrophysik beantworten lassen könnten. Mittelfristig sollte sich mit Hilfe von Satellitendaten eine der beiden Alternativen endgültig ausschließen lassen. Die Wissenschaftler haben am Computer die Materieverteilung von Satellitengalaxien simuliert – das sind kleine Zwerggalaxien, die beispielsweise die Milchstraße oder den Andromeda-
Abb.: Verteilung der dunklen Materie (oben) und die sichtbaren Sterne (unten) in der Simulation. (Bild: E. Garaldi, C. Porciani & E. Romano-
Die Forscher fokussierten sich dabei auf einen Zusammenhang namens „radial acceleration relation“, kurz RAR. In Galaxien bewegen sich die Sterne auf kreisförmigen Bahnen um ein Zentrum. Sie unterliegen also einer Beschleunigung, die sie zu einem ständigen Wechsel ihrer Richtung zwingt. Diese wird durch die Anziehungskraft der Materie in der Galaxie verursacht. Wenn man nur die sichtbare Materie zugrunde legt, müsste die Beschleunigung sehr viel geringer ausfallen. Die RAR beschreibt das Verhältnis zwischen diesem Wert und der tatsächlich beobachteten Beschleunigung. Sie erlaubt so einen Einblick in die Struktur von Galaxien.
„Wir haben nun zum ersten Mal die RAR von Zwerggalaxien unter der Voraussetzung simuliert, dass es dunkle Materie gibt“, erklärt Cristiano Porciani von der Uni Bonn. „Dabei zeigte sich, dass diese sich im Prinzip genauso verhalten wie große Galaxien, nur dass sie eben kleiner sind.“ Was aber, wenn es keine dunkle Materie gibt und stattdessen die Gravitation anders funktioniert, als Newton und Einstein es sich dachten? „Arbeitsgruppen vor uns konnten zeigen, dass dann die RAR von Zwerggalaxien stark von der Entfernung zu ihrer Muttergalaxie abhängt, während das nicht passiert, wenn dunkle Materie existiert“, erklärt Emilio Romano-
Damit eignen sich die Ergebnisse als Test, ob es dunkle Materie wirklich gibt. Eine Antwort soll die Raumsonde Gaia liefern, die 2013 von der europäischen Raumfahrtagentur ESA ins All geschickt wurde. Sie wurde konzipiert, um Satellitengalaxien und Sterne der Milchstraße im Detail zu studieren. Allerdings wird des Rätsels Lösung wohl noch Jahre auf sich warten lassen. „Mit einzelnen Messungen lassen sich die kleinen Unterschiede, die wir festgestellt haben, nicht entdecken“, erklärt der Enrico Garaldi von der Uni Bonn. „Dazu sind die Instrumente des Satelliten nicht genau genug.“ Wiederholte Aufnahmen der gleichen Sterne erlauben mit der Zeit immer genauere Aussagen. Über kurz oder lang sollte sich dadurch feststellen lassen, ob sich die Zwerggalaxien wie in einem Universum mit dunkler Materie verhalten – oder eben nicht.
Ein direkter Nachweis, dass es dunkle Materie gibt, steht trotz zahlreicher experimenteller Bemühungen bislang aus. Das brachte einige Astronomen zu der Hypothese, dass sich die Gravitationskräfte selbst möglicherweise anders verhalten als bislang gedacht. Gemäß dieser modifizierten Newtonschen Dynamik, kurz MOND, gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newtonschen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird die Gravitation dagegen erheblich stärker. Daher reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander. Auf den mysteriösen Sternenkitt kann die MOND-
RFWU / RK