ALICE-Neustart mit Blei-Ionen
Erste Messkampagne von Blei-Ionen-Kollisionen seit fünf Jahren hat begonnen.
Ende September erklärte das Beschleunigerteam des Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf stabile Blei-Strahl Konditionen und läutete damit die erste Datennahme-Kampagne von Blei-Ionen-Kollisionen seit fünf Jahren ein. Bis zum späten Abend des 29. Oktober wurden nun Kollisionen von Blei-Ionen bei der bisher weltweit höchsten Kollisionsenergie von 5,36 Terraelektronvolt pro zusammenstoßender Kernteilchen erzeugt. Nicht nur die Kollisionsenergie, sondern auch die Kollisionsraten wurden im Vergleich zu den Datennahmeperioden der früheren Jahre deutlich erhöht. So konnte der Alice-Detektor, spezialisiert auf die Aufzeichnung der Kollisionen von Bleiatomkernen, zwanzigmal mehr Ereignisse aufzeichnen als in den vier einmonatigen Datennahmeperioden seit 2010 zusammen.
Dies ist wichtig, da bei den Kollisionen in kürzester Zeit ungeheuer viele Teilchen neu entstehen und wieder zerfallen. Die Aufzeichnung der Spuren dieser Teilchen lässt Rückschlüsse darauf zu, was im Moment des Zusammenpralls und kurz danach genau passiert: Die Teilchen lösen sich in ihre elementaren Bestandteile – Quarks und Gluonen – auf und bilden ein Quark-Gluon-Plasma. Unmittelbar danach bilden sich wieder neue, sehr instabile Teilchen, die sich in komplexen Zerfallsketten schließlich in stabile Teilchen umwandeln. Auf diese Weise untersuchen die Forschenden des Alice-Experiments die Eigenschaften von Materie, wie sie kurz nach dem Urknall vorgelegen hat.
An den Experimenten sind Forschungsgruppen der Goethe-Universität Frankfurt beteiligt. Der neue Rekord wurde möglich, weil der weltweit stärkste Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider (LHC), in einer vierjährigen Umbauphase noch einmal verbessert werden konnte. Auch der Alice-Detektor wurde dieser Umbaupause von 2018 bis 2022 verbessert, um die Spuren der höheren Kollisionsraten des LHC aufzeichnen zu können. Hierzu war es notwendig, die Auslesedetektoren des zentralen Detektors des Experiments, der Spurdriftkammer (TPC) komplett auszutauschen. Die Projektleitung dieses insgesamt zehnjährigen Unterfangens liegt bei Harald Appelshäuser vom Institut für Kernphysik.
Eine große Herausforderung sind die enormen Datenmengen, die während der Messungen anfallen und allein für die TPC im Bereich von Terabyte pro Sekunde liegen. Dieser Datenstrom muss in Echtzeit mit effektiven Mustererkennungsmethoden prozessiert werden, um die gespeicherte Menge der Daten ausreichend reduzieren zu können. Eigens hierzu wurde der Rechencluster EPN für das Experiment aufgebaut. Der EPN-Cluster basiert sowohl auf konventionellen Rechenkernen als auch auf speziellen Grafikprozessoren. Die Leitung des Projekts liegt bei Volker Lindenstruth von der Goethe-Universität und Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS).
Die Messungen bei höheren Kollisionsraten sind ein großer Erfolg für das Schwerionenprogramm am Cern. Harald Appelshäuser sagt: „Endlich geht es los! Darauf haben wir zehn Jahre lang hingearbeitet. Wir freuen uns auf die Auswertung der jetzt gewonnenen Daten. Danken möchte ich vor allem dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die langfristige Finanzierung, denn Forschungsprojekte in dieser Dimension können nur durch einen so verlässlichen Partner erfolgreich sein.”
U. Frankfurt / JOL