26.02.2015

Auf dem Weg zurück ins Gleichgewicht

Fortschritte in Theorie und Experimenten ermöglichen tieferes Verständnis der Dynamik von Quanten-Vielteilchensystemen.

Ein Kubikzentimeter Luft enthält etwa 1019 Teilchen – da ist es kaum vorstellbar, dass Physiker heute im Labor Ensembles aus nur wenigen Hundert oder sogar nur einer Handvoll Atome präparieren können. Noch dazu haben die Forscher ihre Methoden so verfeinert, dass sie die Teilchen einzeln oder als Gesamtheit gezielt manipulieren und die Wechselwirkungen zwischen ihnen steuern können. Aufgrund neuer numerischer Verfahren, leistungsfähiger Computer, sowie neuer theoretischer Modelle hat die theoretische Beschreibung solcher Quanten-Vielteilchensysteme nicht weniger Fortschritte gemacht. Jens Eisert und Mathis Friesdorf von der FU Berlin und Christian Gogolin vom MPI für Quanten haben jüngst zusammengefasst, welche Arten von Systemen bereits realisiert werden konnten, wie deren Verhalten theoretisch gedeutet wird und welche Entwicklungen in Zukunft zu erwarten sind.

Abb.: Illustration der verschiedenen Möglichkeiten, Quanten-Vielteilchensysteme zu beeinflussen. (Bild: MPQ)

Besonders aufschlussreich bei der Untersuchung von Quanten-Vielteilchensystemen sind Prozesse, die ablaufen, wenn das System nach einer externen Störung wieder in einen Gleichgewichtszustand strebt. Hier gilt es die Brücke zu schlagen zwischen der mikroskopischen Beschreibung der lokalen, quantenmechanischen Dynamik auf der einen Seite, und der bekannten statistischen Behandlung großer Teilchenensembles auf der anderen. Welcher Ansatz die Oberhand behält, hängt entscheidend von der Größe des Systems und der Art der Wechselwirkung zwischen den Teilchen ab.

In vielen Experimenten werden heute lokale Systeme aus wenigen Teilchen realisiert, zwischen denen Wechselwirkungen mit sehr kurzer Reichweite herrschen. Von besonderer Bedeutung hierbei sind Experimente mit ultrakalten Quantengasen in optischen Gittern. Solche Systeme dienen beispielsweise als Modelle für ferromagnetische Materialien. Ein sehr interessanter Gesichtspunkt in der Festkörperphysik, der ebenfalls mit solchen Systemen untersucht werden kann, ist Transport – etwa der von Elektronen und damit elektrischer Ladung in einem Kristall. In enger Zusammenarbeit finden experimentelle und theoretische Physiker dabei heraus, von welchen Parametern Eigenschaften wie die Leitfähigkeit bestimmt werden, oder wie Defekte und störende Einflüsse die Mobilität von Teilchen beeinflussen.

Größeren Quanten-Vielteilchensystemen nähern sich die Theoretiker gerne mit statistischen, der Thermodynamik entlehnten Methoden. Von besonderer Bedeutung ist hier die zeitliche Entwicklung des Systems, wenn man globale Parameter – etwa die Temperatur oder externe Felder – verändert. Eine solche Änderung kann ganz plötzlich und einmalig stattfinden, aber sich auch über einen gewissen Zeitraum hinziehen oder periodisch wiederholen. Die Wissenschaftler gehen dabei der Frage nach, ob, wie und nach welchen Zeitspannen das System einen neuen Gleichgewichtszustand erreicht hat. In vielen Systemen lassen sich bei bestimmten kritischen Werten der Parameter Übergänge in eine andere Phase beobachten. Die Dynamik solcher Phasenübergänge zu verstehen ist für Theoretiker auch heute noch eine große Herausforderung.

Bewährt haben sich Quanten-Vielteilchensysteme bereits als Simulatoren von großen Systemen, beispielsweise mehrdimensionalen Gittersystemen, deren Nicht-Gleichgewichtsverhalten mit analytischen und numerischen Verfahren nicht mehr erfasst werden kann. Experimentelle Systeme mit ultrakalten Atomen in optischen Gittern stellen hier analoge Modelle dar, mit denen sich diese Grenzen überwinden lassen. In diesem Sinne können die Systeme auch als analoge Quantencomputer dienen, deren Leistung die von klassischen Computern bei bestimmten Aufgaben übertrifft.

Bei allen Fortschritten in der Erforschung von Quanten-Vielteilchensystemen sind noch viele Fragen offen. Zwar sind einzelne Schritte auf dem Weg in den Gleichgewichtszustand mittlerweile verstanden, doch wovon die Zeitskalen abhängen, auf denen diese Relaxationsprozesse ablaufen, ist bislang nur unzureichend bekannt. Darüber hinaus möchten die Wissenschaftler in Zukunft nicht nur geschlossene Systeme untersuchen, sondern auch solche, in denen es durch die Wechselwirkung mit der Umgebung zu Rauschen und Dissipation kommt. Diese an sich schädlichen Prozesse könnten, wenn sie wohl kontrolliert sind, genutzt werden, um interessante Materiezustände zu präparieren.

MPQ / RK

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