01.07.2022

Auszeichung für Pionierin der Multiferroika-Forschung

Nicola Spaldin erhält den Hamburger Preis für Theoretische Physik 2022.

Die britische Wissenschaftlerin Nicola Spaldin erhält den Hamburger Preis für Theoretische Physik 2022. Die Professorin für theoretische Werkstoff­kunde an der ETH Zürich ist Weg­bereiterin für die Entwicklung einer neuen Klasse von Materialien – den Multiferroika. Diese könnten zukunfts­weisende Anwendungs­möglichkeiten in der Mikro­elektronik ermöglichen, wie etwa den Bau ultraschneller Datenspeicher oder hochempfindlicher Sensoren. Der Preis wird Spaldin am 9. November 2022 in Hamburg verliehen, gemeinsam von der Joachim Herz Stiftung, dem Wolfgang Pauli Centre des Desy und der Universität Hamburg, dem Deutschen Elektronen-Synchro­tron sowie den beiden Exzellenz­clustern „CUI: Advanced Imaging of Matter“ und „Quantum Universe“ an der Universität Hamburg.

Abb.: Die in Zürich forschende Briten Nicola Spaldin erhält dieses Jahr den...
Abb.: Die in Zürich forschende Briten Nicola Spaldin erhält dieses Jahr den Hamburger Preis für Theoretische Physik. (Bild: D. Rihs)

Nicola Spaldins theoretische Analysen wiesen den Weg zur Herstellung maßgeschnei­derter Kristalle, die zugleich ferro­magnetisch und ferro­elektrisch sind. Diese unge­wöhnliche Kombination könnte den Bau ultra­schneller Datenspeicher und hoch­empfindlicher Sensoren ermöglichen. Die magnetoelektrischen Multitalente versprechen noch weitere zukunfts­weisende Anwendungen. Mit ihrer Hilfe ließe sich in Computern die räumliche Trennung zwischen der elektrischen Verarbeitung von Informationen im Prozessor und ihrer magnetischen Speicherung auf Festplatten aufheben. Das würde höhere Rechen­leistung bei geringerem Energie­verbrauch ermöglichen und nährt bei Fachleuten die Hoffnung, multi­ferroische Materialien könnten den Weg zu Mikro­elektronik-Bauteilen weisen, die ohne den Halbleiter Silizium auskommen.

„Mit Nicola Spaldin zeichnen wir in diesem Jahr eine Wissen­schaftlerin aus, deren Arbeiten vor über zwanzig Jahren den Anstoß für weltweite Multi­ferroika-Forschungen gaben. Mit der Preisverleihung würdigen wir ihre beein­druckende Pionierleistung, aber auch ihre vielfältigen Aktivitäten im Bereich der internationalen Zusammenarbeit und Lehre“, so Sabine Kunst, Vorstands­vorsitzende der Joachim Herz Stiftung. Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wird seit 2010 an international renommierte Forscherinnen und Forscher vergeben. Nicola Spaldin ist die erste Frau, die ihn erhält. Er ist einer der höchst­dotierten Wissenschafts­preise für Physik in Deutschland. Das Preisgeld beträgt 137.036 Euro, eine Anspielung auf die Sommer­feldsche Feinstrukturk­onstante, die in der Theoretischen Physik eine wichtige Rolle spielt.

Der Physikpreis für Nicola Spaldin ist mit einem Forschungs­aufenthalt in Hamburg verbunden. „Nicola Spaldins führende Expertise beim theoriegeleiteten Design multifunktionaler Materialien knüpft eng an Forschungs­schwerpunkte unserer Science City Hamburg Bahrenfeld an, etwa in den Arbeits­gruppen am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, am CFEL und dem European XFEL. Ihre Ideen zur Simu­lation von Higgs-Bosonen oder kosmischen Strings in neuartigen Materialien bergen darüber hinaus auch das Potenzial für einen spannenden Brückenschlag bis hinein in die Teilchen­physik bei Desy und der Universität Hamburg. So freuen wir uns sehr auf den Austausch mit ihr“, äußert sich Volker Schomerus, Leitender Wissen­schaftler bei Desy und Sprecher des Wolfgang Pauli Centres.

Nicola Spaldin (geboren 1969) studierte Chemie und Geologie an der University of Cambridge und interessierte sich schon früh für die Schnittstelle zwischen theo­retischer Physik, Chemie und Materialforschung. 1996 wurde sie an der University of California/Berkeley promoviert. Sie war als Post­doktorandin an der Yale University/New Haven, bevor sie an der University of California/Santa Barbara eine Assistenz­professur und eine außer­ordentliche Professur übernahm. 2006 wurde sie an derselben Universität zur ordentlichen Professorin berufen. Seit 2011 ist sie Professorin für theoretische Werkstoff­kunde am Departement Material­wissenschaft der ETH Zürich. 

1997 machte ein Kollege an der Yale University während einer Kaffeepause einen beiläufigen Kommentar zu Nicola Spaldin, der ihr keine Ruhe mehr lassen sollte: Es sei schade, dass es keine ferro­elektrischen Materialien gebe, die auch ferro­magnetische Eigenschaften zeigen, also magne­tisierbar sind. Mit Hilfe von Quantentheorie und Computermodellen untersuchte sie in den folgenden Jahren, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit kristalline chemische Verbin­dungen sowohl elektrisch polarisierbar als auch magnetisierbar sind. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie einen wegweisenden Artikel mit dem Titel „Why are there so few magnetic ferro­electrics?“ Die wichtigste Erkenntnis: Ferro­magnetismus und Ferro­elektrizität sind nicht grundsätzlich unvereinbar. Man müsste nur die richtigen Atome in einer passenden Kristall­struktur anordnen, um solche multi­ferroischen Materialien zu erhalten.

Mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie kam sie zu dem Schluss: Metalloxid-Verbindungen, die neben Sauerstoffatomen zwei spezifische Metallatome enthalten, könnten ferro­elektrische und ferro­magnetische Eigenschaften vereinen. Um ihre Vorhersagen zu prüfen, begann sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen solche chemischen Verbindungen im Labor herzu­stellen. Der Durchbruch gelang 2003 in Kooperation mit der Forscher­gruppe um den Physiker Ramamoorthy Ramesh von der University of California in Berkeley: Dünne, im Labor hergestellte Material­filme aus Bismutferrit zeigten multi­ferroische Eigenschaften. Nach der Publikation im Fachmagazin Science stieg die Zahl der Publi­kationen zu diesem Thema sprunghaft an. Das Material zählt heute zu den am intensivsten erforschten Multiferroika.

Joachim Herz Stiftung / JOL

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