Es ist eines der komplexesten Experimente, das je auf einer Forschungsrakete geflogen ist: MAIUS 1, Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit, gestartet am 23. Januar um 3.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in Nordschweden. Während der etwa sechsminütigen Phase, in der während des Fluges Schwerelosigkeit herrschte, ist es deutschen Wissenschaftlern erstmalig gelungen, ein Bose-Einstein-Kondensat im Weltraum zu erzeugen und für Interferometrie-Experimente zu nutzen. Während der Schwerelosigkeitsphase konnten etwa hundert Einzelexperimente zu verschiedenen Aspekten der Materiewellen-Interferometrie durchgeführt werden.
Abb.: Der Atomchip der MAIUS-Apparatur. (Bild: DLR)
Wissenschaftler von elf deutschen Forschungseinrichtungen haben innerhalb weniger Jahre die Technologie zur Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten so miniaturisiert, dass die Experimentanlage in das Nutzlastmodul einer Forschungsrakete von rund zweieinhalb Metern Höhe und fünfzig Zentimetern Durchmesser passt. „Normalerweise füllt eine solche Apparatur einen ganzen Laborraum“, sagt Stephan Seidel, wissenschaftlicher Projektleiter von der Uni Hannover. Will man ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugen, so muss eine Wolke von Atomen – in diesem Fall Rubidium – auf fast -273 Grad Celsius abgekühlt werden. Hierfür reichen konventionelle Kühlungsmethoden nicht aus. In einem zweistufigen Verfahren wird daher die Bewegung der Atome zunächst mit Hilfe von Lasern abgebremst.
In der MAIUS-Apparatur sind dafür winzige Laser eingebaut. Die Teilchen werden auf diese Weise in eine Atom-Falle überführt, aus der sie nicht entweichen können. Diese Falle wird kreiert mit Hilfe eines Atomchips, auf dem Magnetfelder erzeugt werden. Den magnetischen Einschluss kann man sich als die Wände der Falle vorstellen. Nach der Laserkühlung beginnt in der Magnetfalle die zweite Phase der Temperaturreduktion. Dabei wird das magnetische Feld reduziert, so dass sich die Höhe der Wände verringert. Damit bleiben nur die kältesten und unbeweglichsten Teilchen in der Falle, während die beweglicheren Atome die niedrigere Barriere überwinden können. Die so erzeugten ultrakalten Atome werden in MAIUS zur Materiewellen-Interferometrie genutzt. „Die Interferometrie mit Materiewellen auf möglichst lange Zeiten auszudehnen, hat auch einen wichtigen Anwendungsaspekt", so Ernst Rasel von der Uni Hannover. „Die Empfindlichkeit eines Atominterferometers wächst nämlich quadratisch mit der freien Fallzeit von BEKs in einem solchen Messgerät. So ist es nicht verwunderlich, dass bereits über lang andauernde Missionen von Weltraumsatelliten nachgedacht wird. Auch der Einsatz von Quantensensoren in Satelliten für eine präzisere Geodäsie und Navigation wird schon diskutiert.“
Mit dem erfolgreichen Start von MAIUS 1 wurde bewiesen, dass die Technologie unter Weltraumbedingungen störungsfrei funktioniert. Mit MAIUS 2 und 3 sollen in den Jahren 2018 und 2019 zwei weitere Missionen folgen. Auf MAIUS 2 werden neben ultrakalten Rubidium-Atomen erstmalig auch ultrakalte Kalium-Atome auf einer Forschungsrakete eingesetzt. Bei MAIUS 3 soll dann die Fallgeschwindigkeit von Bose-Einstein-Kondensaten aus beiden Atomarten via Interferometrie verglichen werden. Damit soll der Teil der Relativitätstheorie überprüft werden, der besagt, dass im Vakuum alle Massen gleich schnell fallen. Würde dieses Äquivalenzprinzip widerlegt werden, wäre die Relativitätstheorie nicht mehr uneingeschränkt gültig.
Doch auch diese Experimente sind nur ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zu einer Langzeitmission im Weltraum. Ziel ist es, die Technologie auch auf Satelliten oder der Internationalen Raumstation ISS einsetzen zu können. Denn dort könnten die Experimente wochen- oder sogar monatelang in Schwerelosigkeit durchgeführt werden, während dies im Fallturm nur für etwa neun Sekunden und beim Raketenflug für rund sechs Minuten möglich ist.
DLR / RK