Das Meer mit Effekt
Vor 50 Jahren starb der Entdecker des Raman-Effekts - der indische Physik-Nobelpreisträger Chandrasekhara Venkata Raman.
Im September 1921 stand der 32-jährige Chandrasekhara Venkata Raman an Deck der S.S. Narkunda und betrachtete fasziniert die blaue Opaleszenz des Mittelmeers. Mit einem tragbaren Spektrometer und einem Prisma ausgestattet, vertrieb er sich die Zeit der mehrwöchigen Reise nach Indien mit Experimentieren. Er wusste, dass Lord Rayleigh die Farbe des Meeres als eine Spiegelung des Himmels erklärt hatte. Doch Raman blendete die reflektierten Sonnenstrahlen mit seinem Prisma aus und sah das Meer in noch tieferem Blau.
Als sein Schiff in Bombay anlegte, hatte der Physikprofessor bereits die erste Fassung seines Manuskripts „Die Farbe des Meeres“ geschrieben. In seiner Nature-Publikation schlug er vor, das Phänomen auf Lichtstreuung an den Wassermolekülen zurückzuführen. Dies war der Beginn einer Serie von Experimenten, die 1928 zur Entdeckung des Raman-Effekts führten. 1930 erhielt Raman als erster Asiate den Nobelpreis für Physik.
„Ich wurde mit einem Kupferlöffel im Mund geboren. Bei meiner Geburt verdiente mein Vater das prächtige Gehalt von 10 Rupien im Monat“, sagte Raman über seine Herkunft. C.V. Raman, wie er seine Vornamen später abkürzte, wurde am 7. November 1888 in Trichy, Tamil Nadu, als zweites von acht Kindern eines Lehrers geboren. Die Situation der Familie verbesserte sich, als der Vater eine Stelle als Physik- und Mathematiklehrer an einem College in Andhra Pradesh antrat.
Der junge Raman erhielt mit 13 ein Stipendium, begann mit 14 sein Physikstudium an der Universität Madras und schloss seinen Master 1907 mit Auszeichnung ab. Bereits ein Jahr zuvor erschienen seine beiden ersten Publikationen über Lichtbrechung und die Oberflächenspannung in Flüssigkeiten im britischen Philosophical Magazine. Lord Rayleigh wurde auf ihn aufmerksam und begann, mit dem 18-Jährigen zu korrespondieren, den er als Professor titulierte.
Da Raman aus gesundheitlichen Gründen davon abgeraten wurde, seine Forschung in England fortzusetzen, war er in den nächsten 10 Jahren in der Finanzverwaltung in Kalkutta tätig. Bei seiner Einstellung war er 19 Jahre, frisch verheiratet und voller Tatendrang. Er entdeckte die „Indian Association for the Cultivation of Science“, wo er fortan in seiner Freizeit experimentieren durfte. Ab 1915 betreute er sogar Doktoranden. Angeregt durch die Arbeiten von Hermann von Helmholtz zur Akustik, untersuchte er die Schwingungen von Saiteninstrumenten und Trommeln. 1927 sollte er als erster außereuropäischer Autor für das „Handbuch der Physik“ den Beitrag „Musikinstrumente und ihre Klänge“ verfassen.
1917 erhielt Raman einen Ruf auf die neu geschaffene Physikprofessur der Universität Kalkutta. Er konnte sich dort frei von Lehrverpflichtungen ganz der Forschung widmen. Sein Interesse verlagerte sich von der Akustik zur Optik.
Entscheidend für Ramans weitere Karriere war seine erste Reise nach Europa. Auf Einladung von J.J. Thomson und Ernest Rutherford trug er beim Kongress der Universitäten des British Empire in Oxford vor. Auf der Rückreise begann er seine Studien zur Farbe des Meeres. 1924 wurde er zum Fellow der Royal Society gewählt. Als ein Mitarbeiter ihn anlässlich dieser Ehre nach seinen Zukunftsplänen fragte, antwortete Raman: „Der Nobelpreis, natürlich.“
Vier Jahre später publizierte er im „Indian Journal of Physics“, dessen erster Herausgeber er war, die Entdeckung des „Raman Effekts“. Er schickte Sonderdrucke an seine europäischen Kollegen und bat sie, ihn für den Nobelpreis zu nominieren.
Seit der ersten Schiffsreise waren weitere Experimente in der Bucht von Bengalen gefolgt. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter K.S. Krishnan entdeckte Raman im Spektrum des gestreuten Lichts eine weitere Linie, für die er in den nächsten zwei Jahren keine Erklärung fand. Zwar hatte der österreichische Physiker Gustav Adolf Smekal diesen Effekt bereits fünf Jahre zuvor vorhergesagt, aber das wusste Raman nicht.
1924 hörte Raman auf dem Kongress der British Association for the Advancement of Science in Toronto Arthur Comptons Bericht, dass Röntgenstrahlen sich wie Teilchen verhalten, die Impulse auf Moleküle übertragen. Zunächst war Raman skeptisch. Doch als der Amerikaner 1927 den Physik-Nobelpreis erhielt, soll Raman aufgeregt zu Krishnan gesagt haben: „Wenn es für Röntgenstrahlen gilt, dann auch für Licht. Es muss ein optisches Analogon zum Compton-Effekt geben.“ Im Januar 1928 konnten die beiden die Frequenzverschiebung der Streustrahlung quantitativ angeben, indem sie das monochromatische Licht einer Quecksilberdampflampe an Benzol streuten.
Arnold Sommerfeld, der davon während einer Reise nach Japan erfuhr, beschloss spontan, einen Abstecher nach Indien zu machen. Denn Raman hatte einen weiteren Hinweis gefunden, dass nicht nur Licht Quanteneigenschaften besitzt, sondern auch Materie. Chemiker nutzen den Raman-Effekt bis heute, um die Zusammensetzung von Gasen, Flüssigkeiten und Festkörpern zu ermitteln. Denn das Spektrum des gestreuten Lichts stellt einen Fingerabdruck des brechenden Mediums dar.
Etwa zeitgleich zu Raman entdeckten auch Grigory Landsberg und Leonid Mandelstam an der Universität Moskau frequenzverschobene Spektrallinien an Quarz und Kalkspat. Sie wurden 1930 gemeinsam mit Raman für den Nobelpreis nominiert. Doch die beiden Russen hatten das Phänomen nur an Kristallen beobachtet, Raman und Krishnan jedoch in Festkörpern, Flüssigkeiten und Gasen – womit sie die Universalität des Effekts gezeigt hatten.
Fragwürdig bleibt, warum Krishnan nicht nominiert wurde, denn er führte die meisten Experimente aus und war Co-Autor fast aller Publikationen aus dem Jahr 1928. Raman gab später zu, dass Krishnan Mit-Entdecker des Raman-Effekts war. Krishnan beanspruchte den Preis nie öffentlich für sich. Aber Ramans spätere Feindseligkeit ihm gegenüber empfand er als „die größte Tragödie meines Lebens“.
1933 wurde Raman Präsident des Indischen Instituts für Wissenschaften (IISc) in Bangalore. Er hatte ehrgeizige Pläne und wollte das Institut auf europäisches Niveau bringen, etwa indem er geflüchtete Physiker aus Nazi-Deutschland rekrutierte wie Max Born, der von 1933 bis 1934 Gastprofessor an seinem Institut war. Doch bei seinen Kollegen im Forschungsrat stieß er auf Unverständnis: Physiker, die in Europa keine Anstellung hätten, könnten nur zweitklassig sein, meinten sie.
1937 trat Raman als Präsident des IISc zurück, nachdem man ihm vorgeworfen hatte, bei der Verteilung der Fördergelder die Physik zu bevorzugen. Bis 1948 leitete er die Physikalische Abteilung des IISc. Sein Forschungsschwerpunkt war nun die Beugung des Lichts durch Ultraschall. 1949, nach seiner Pensionierung, gründete er das Raman-Institut auf einem Grundstück, das ihm die Regierung anlässlich der Verleihung des Nobelpreises geschenkt hatte. Hier forschte er bis zu seinem Tod am 21. November 1970, wobei er sich in den letzten Jahren vollkommen zurückzog. Seine letzten Arbeiten widmete er der Physiologie des Farbensehens. Anstelle eines Denkmals erinnert heute ein großer Baum im Park des Raman-Instituts an den brillanten Physiker und Naturliebhaber C.V. Raman.
Anne Hardy
Weitere Infos
- Nobelpreis für Physik 1930: Chandrasekhara Venkata Raman
- J. Brandmüller und R. Claus, Raman und seine Theorie der Gitterschwingungen, Physikalische Blätter 27, 295 (1971)
- CV Raman Centennial Issue, in: Journal of the Indian Institute of Science, 68 (1988) (Internet Archive)
- CV Raman. A pictorial biography by Indian Academy of Science (Internet Archive)
- S. Bhagavantam, Chandrasekhara Venkata Raman, 1888–1970. Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society, 1. November 1971 PDF
- R. Singh und F. Rieß, Von der Kronkolonie zur Atommacht (Physik Journal,, November 2010, S. 41) PDF
Weitere Beiträge
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- A. Hardy, Das Zittern der Moleküle – zum 150. Geburtstag des französischen Physik-Nobelpreisträgers Jean Perrin (Physik Journal Nachrichten, 30. September 2020).
- A. Hardy, Erhellend im Trüben – Vor 200 Jahren wurde der irische Physiker John Tyndall geboren. (Physik Journal Nachrichten, 2. August 2020)
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