Der Grundstoff des Quantenzeitalters
Emmy-Noether-Forschungsgruppe untersucht molekulare Spin-Qubits.
Quantencomputer gelten als einer der nächsten großen Würfe in Wissenschaft und Industrie. Aus was die Grundbausteine ausgereifter Rechner, die Qubits, künftig bestehen werden, ist weiterhin eine aktuelle Forschungsfrage. Lorenzo Tesi vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Stuttgart untersucht molekulare Spin-Qubits. Für das noch junge Forschungsthema baut der Chemiker nun eine Emmy-Noether-Nachwuchsforschungsgruppe auf.
„Molekulare Spin-Qubits haben einzigartige Eigenschaften, die in keinem anderen bekannten Qubit-Material zu finden sind. Moleküle sind sehr vorteilhaft, vor allem wegen der großen Vielseitigkeit, die die chemische Synthese bietet“, sagt Lorenzo Tesi, Wissenschaftler am Institut für Physikalische Chemie der Universität Stuttgart. „Wir wollen Moleküle maßschneidern, die sich für Qubits eignen, und untersuchen, wie sie sich technisch realisieren lassen.“
Anders als klassische Bits können Qubits nicht nur in den Zuständen 0 und 1 existieren, sondern auch in einer beliebigen Überlagerung dieser beiden Zustände, was eine viel höhere Informationsdichte ermöglicht. Um mit ihnen rechnen zu können, müssen eine Reihe von Herausforderungen bewältigt werden. So müssen sie beispielsweise sorgfältig gegen Störungen aus der Umgebung abgeschirmt werden, und man muss in der Lage sein, die Qubits einzeln zu manipulieren. Als Qubits eignen sich zum Beispiel supraleitende Schaltkreise, gefangene Atome, Fehlstellen in Diamanten – oder eben Moleküle, wie Tesi sie untersucht.
Das Forschungsgebiet der molekularen Spin-Qubits ist relativ jung, die ersten Arbeiten wurden vor weniger als zwanzig Jahren veröffentlicht. Sie sind ebenso unempfindlich gegenüber Störungen wie supraleitende Schaltkreise, mit denen sich derzeit die technisch am weitesten ausgereiften Quantencomputer bauen lassen. Doch im Gegensatz zu supraleitenden Schaltkreisen müssen molekulare Spin-Qubits nicht auf Temperaturen von –273,14 °C gekühlt werden. „Sie zeigen Quanteneigenschaften über einen weiten Temperaturbereich, sogar bei Raumtemperatur. Das spart enorm viel Energie“, betont Tesi. Und es gibt einen weiteren großen Vorteil: Während jeder supraleitende Schaltkreis nur ein Qubit darstellen kann, lassen sich mit einem einzigen Molekül mehrere Qubits realisieren. Ein System mit vielen Qubits sollte daher mit Molekülen einfacher zu skalieren sein als mit supraleitenden Schaltkreisen.
Tesis Nachwuchsgruppe verfolgt drei Ziele. Erstens will sie Qubits auf Oberflächen abscheiden und herausfinden, wie sich ihre Eigenschaften dadurch verändern. Bislang wurden molekulare Spin-Qubits hauptsächlich in Lösung untersucht. Zweitens will Tesis Team Terahertz-Strahlung nutzen, um die Eigenschaften der Qubits zu analysieren. Terahertz-Strahlung liegt im elektromagnetischen Spektrum zwischen den Mikrowellen und dem Infrarot. Sie ermöglicht bei Untersuchungen eine höhere Auflösung als die bislang genutzten Mikrowellen. Drittens will die Nachwuchsgruppe Metaoberflächen herstellen, auf die sie die Qubits dann aufbringt. Metaoberflächen sind künstlich erzeugte Oberflächen, die so gestaltet sind, dass sich zum Beispiel die Qubits dynamisch steuern lassen.
„Noch bevor sie in Quantencomputern einsetzbar sind, könnten molekulare Spin-Qubits zudem als höchstempfindliche Sensoren interessant werden“, sagt Tesi. Solche Quantensensoren sind viel unempfindlicher gegen Rauschen als aktuelle Sensoren und können daher noch viel schwächere Signale zuverlässig messen. Einen wesentlichen Teil der Untersuchungsmethoden und Technologien, die für die Nachwuchsgruppe wichtig werden, gibt es bereits an der Universität Stuttgart: zum Beispiel die Elektronenspinresonanzspektroskopie (ESR) oder die Nanolithografie. Tesi arbeitet mit Wissenschaftlern aus Stuttgart, Tübingen, Heidelberg und Brünn in Tschechien zusammen. „Molekulare Spin-Qubits sind ein multidisziplinäres Thema. Wir müssen Chemie, Physik, Materialwissenschaften und Engineering zusammenzubringen“, betont er.
Tesi studierte in Florenz Chemie und promovierte dort auch. Seit 2019 forschte er als Postdoc in der Arbeitsgruppe von Joris van Slageren am Institut für Physikalische Chemie der Universität Stuttgart. Das Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eröffnet herausragend qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, sich durch die eigenverantwortliche Leitung einer Nachwuchsgruppe über einen Zeitraum von sechs Jahren für eine Hochschulprofessur zu qualifizieren. Tesis Nachwuchsgruppe startete zum 1. Januar 2024. Neben Tesis eigener Stelle werden durch das Emmy-Noether-Programm vier Promotionsstellen finanziert.
U. Stuttgart / DE