Ein Manifest für Quanten
Die Europäische Kommission plant, Quantentechnologien langfristig mit einer Milliarde Euro zu fördern.
Die Meldung in Nature News kam völlig überraschend: Die Europäische Kommission hat angekündigt, eine Milliarde Euro in ein großskaliges, europaweites Flaggschiff zur Quantentechnologie zu investieren. Anders als bei den ersten beiden Flaggschiff-Projekten Graphene und Human Brain Project gab es weder eine Ausschreibung noch ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Auch die Ankündigung fand im Stillen statt, versteckt als Nebensatz eines unauffälligen Dokuments, das die Europäische Kommission am 19. April veröffentlicht hat. Grundlage für diese Entscheidung ist ein „Quantum Manifesto“, das von einem sechsköpfigen Autorenteam um den Quantenphysiker Tommaso Calarco (IQST Ulm) verfasst und mittlerweile von mehr als 3200 Befürwortern aus Wissenschaft und Industrie unterzeichnet wurde. Offiziell vorgestellt wird das Manifest im Rahmen des Treffens „Quantum Europe: a New Era of Technology“, das am 17. und 18. Mai in Amsterdam stattfindet. Starten soll das neue Flaggschiff 2018.
Das Quantum Manifesto gleicht einer Roadmap für die europäische Quantentechnologie in Forschung und Industrie für die kommenden zehn Jahre und darüber hinaus. Beispielsweise ist ein Ziel der Quantenphysiker, in den nächsten fünf Jahren neue Algorithmen und Protokolle zu entdecken, um Verschränkung und Superposition besser für Quantencomputer nutzen zu können. Nach zehn Jahren soll es spezialisierte Quantencomputer mit mehr als einhundert Quantenbits geben, die Simulationen für Chemie und Materialwissenschaft ausführen.
„Wir verfügen in Europa bereits über eine breit verteilte wissenschaftliche Exzellenz in der Quantentechnologie. Jetzt dürfen wir nicht verpassen, diese in marktfähige Produkte umzusetzen“, betont Tommaso Calarco. Die überraschende Ankündigung des Flaggschiffs folgt einer langjährigen Vorarbeit der Quantenphysiker. Seit mehr als fünf Jahren treten sie dafür ein, dass nur eine langfristige Förderung zu marktfähigen Produkten führt, welche die Investitionen der vergangenen Jahre in Höhe von einigen 100 Millionen Euro rechtfertigen. Namhafte Wissenschaftler wie die Nobelpreisträger David Wineland und Serge Haroche setzten sich gemeinsam mit Geschäftsführern großer Konzerne für die Förderung ein. Die stetige Arbeit führte dazu, dass 24 nationale Förderinstitutionen aus 22 europäischen Ländern zusagten, ein ERA-NET für die Quantentechnologie zu finanzieren – die beiden bestehenden Flaggschiff-Projekte Graphene und Human Brain Project erreichten Ähnliches erst nach ihrer Gründung.
Bis zum Start des neuen Flaggschiffs ist trotzdem noch viel zu tun: Zunächst gilt es, in einem einjährigen Bottom-up Prozess die Verwaltungsstruktur zu entwickeln. Eine Fokussierung auf einzelne Personen oder Institute – wie sie beim Human Brain Project zu viel Unmut führte – wollen die Quantenphysiker unbedingt vermeiden. Wichtig ist ihnen, dass die Fördermittel nicht allein in die industrielle Umsetzung von Quantentechnologien fließen, sondern weiterhin auch die Grundlagenforschung stärken, weil sonst die Ideen für die übernächste Generation fehlen werden. „Hier sind sich Wissenschaft und Industrie einig – selbst Geschäftsführer großer Konzerne haben die EU-Kommission aufgefordert, Mittel für die Erforschung neuer Quantentechnologien bereitzustellen“, ist Tommaso Calarco von der gemeinsamen Strategie überzeugt. „Dann können wir in zehn Jahren mit Kreditkarten zahlen, die durch Quantenkryptographie absolut sicher sind.“
Kerstin Sonnabend