24.09.2025

Ein Quantengas, das sich nicht erwärmen lässt

Innsbrucker Physiker beobachten „dynamische Vielteilchenlokalisierung“, deren Quantenkohärenz die Aufnahme von Energie verhindert.

Wenn wir ein makroskopisches Vielteilchensystem kontinuierlich anregen, insbesondere eines mit starken Wechselwirkungen zwischen den Teilchen,absorbiert es Energie und erwärmt sich. Dass dies in der Quantenwelt nicht immer der Fall ist, zeigt ein Experiment, das ein Team um Hanns-Christoph Nägerl am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck durchgeführt hat.

Obwohl die Atome ständig angestoßen werden und stark miteinander wechselwirken, absorbieren sie keine Energie mehr. Das System lokalisiert sich im Impulsraum, ein außergewöhnliches Phänomen, das als dynamische Vielteilchenlokalisierung bezeichnet wird.
Obwohl die Atome ständig angestoßen werden und stark miteinander wechselwirken, absorbieren sie keine Energie mehr. Das System lokalisiert sich im Impulsraum, ein außergewöhnliches Phänomen, das als dynamische Vielteilchenlokalisierung bezeichnet wird.
Quelle: U Innsbruck

Die Innsbrucker Forscher erzeugten eine eindimensionale Quantenflüssigkeit aus stark wechselwirkenden Atomen, die auf wenige Nanokelvin über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt wurden. Anschließend setzten sie die Atome einem schnell und periodisch aufblitzenden Gitterpotential aus – einer Art periodisch „angestoßener“ Landschaft, die durch Laserlicht erzeugt wurde. Unter solchen Bedingungen würde man erwarten, dass die Atome im Laufe der Zeit gemeinsam Energie absorbieren, ähnlich wie bei mehreren Kindern auf einem Trampolin, das nur von einem Kind bewegt wird. Das Innsbrucker Team beobachtete jedoch etwas anderes. Nach einer kurzen Anfangsphase breitete sich die Impulsverteilung der Atome nicht weiter aus und die kinetische Energie des Systems stagnierte. Obwohl das System kontinuierlich angestoßen wurde und stark wechselwirkte, absorbierte es keine Energie mehr. Es hatte sich im Impulsraum lokalisiert, ein außergewöhnliches Phänomen, das als dynamische Vielteilchenlokalisierung (engl.: Many-Body Dynamical Localization oder MBDL) bezeichnet wird. „In diesem Zustand verhindern Quantenkohärenz und Vielteilchen-Verschränkung, dass sich das System aufheizt und die Teilchen diffundieren, selbst wenn das System von außen weiter angetrieben wird“, sagt Nägerl. „Die Impulsverteilung friert im Wesentlichen ein und behält ihre Struktur bei.“

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Yanliang Guo zeigt sich immer noch verblüfft: „Wir hatten ursprüng­lich erwartet, dass die Atome wild umher­fliegen würden. Statt­dessen haben sie sich erstaun­lich geordnet verhal­ten.“ Projekt­partner Lei Ying, Theore­tiker an der Zhejing-Univer­sität in Hang­zhou, China, stimmt zu: „Das entspricht nicht unseren naiven Erwar­tungen. Auf­fällig ist, dass in einem stark angetrie­benen und stark wechsel­wirkenden System die Viel­teilchen­kohärenz offen­bar die Aufnahme von Energie stoppen kann. Das wider­spricht unserer klassi­schen Intuition und offenbart eine über­raschende Stabili­tät, die in der Quanten­mechanik begründet ist.“ Ying fügt hinzu, dass die Simula­tion eines solchen schein­bar einfachen Systems auf einem klassi­schen Computer eine gewaltige Heraus­forderung dar­stellt. „Deshalb brauchen wir Experi­mente. Sie gehen Hand in Hand mit unseren theore­tischen Simula­tionen.“

Um die Fragilität dieses Phänomens zu testen, verän­derten die Forscher die das System antrei­benden Laser­pulse zufällig. Tatsäch­lich reichte bereits eine relativ geringe Unord­nung aus, um den Lokali­sierungs­effekt aufzulösen und das System wieder zum diffun­dieren zu bringen: Die Impuls­verteilung wurde verwischt, die kine­tische Energie stieg stark an und das System absor­bierte kontinu­ierlich Energie. „Dieser Test zeigt, dass die Quanten­kohärenz die Erwärmung in solchen angetrie­benen Viel­teilchen­systemen verhindert“, sagt Nägerl.

Die neuen Erkennt­nisse sind nicht nur von grundlegendem Interesse. Das Verständnis, wie Quanten­systeme der Thermali­sierung entgehen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung besserer Quanten­techno­logien, wie Quanten­simula­toren und Quanten­computer, für die die unkontrol­lierte Erwär­mung und Dekohärenz ein großes Problem dar­stellen. „Dieses Experiment bietet eine präzise und hoch­gradig abstimm­bare Methode, um zu unter­suchen, wie Quanten­systeme dem Einfluss von Chaos widerstehen können“, sagt Guo. Die Ergeb­nisse eröffnen neue Einblicke in die Physik angeregter Quanten­materie und stellen lang gehegte Annahmen in Frage. [U Ibk. / dre]

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