06.02.2023

Eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte

Der Elektronen-Linearbeschleuniger ELBE ermöglicht einzigartige Experimente, wie in der neuen „Physik in unserer Zeit“ geschildert.

Teilchenbeschleuniger sind die leistungsfähigsten Mikroskope der Neuzeit. Dabei kommt es nicht nur auf gigantische Ausmaße der Maschinen oder schwindel­erregende Teilchen­energien an. Vielmehr gibt es für moderne Beschleunigeranlagen eine Vielzahl von Parametern oder Eigenschaften, die sie einzigartig und damit zum perfekten Messinstrument machen. Im Fall des Elektronen-Linear­beschleunigers für Strahlen hoher Brillanz und niedriger Emittanz (ELBE) am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf sind das sehr große Elektronen­pulsraten, verbunden mit extrem hohen Elektronen­zahlen im Puls (Bunchladung), und das alles bei sehr guter Fokussierbarkeit des Strahls (Emittanz).

 

Abb.: Peter Michel ist Professor für Beschleuniger­technologie an der...
Abb.: Peter Michel ist Professor für Beschleuniger­technologie an der Universität Rostock und seit 2000 Leiter der Strahlungs­quelle ELBE am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossen­dorf. (Bild: HZDR)

Mit einem solchen Elektronenstrahl lassen sich viele hochinteressante Sekundär­strahlen erzeugen, die in einem außerordentlich breiten Spektrum von Forschungs­bereichen zum Einsatz kommen. Dazu zählen superradiante Terahertz-Strahlung, Infrarotpulse aus Freie-Elektronen-Lasern, die Erzeugung von MeV-Brems­strahlung sowie Neutronen- und Positronenstrahlen. Auch der Elektronen­strahl selbst steht zur Verfügung. Die mit diesen Photonen- und Teilchen­strahlen mögliche Forschung reicht von der Physik der kondensierten Materie, Kern- und Astrophysik sowie der angewandten Material­forschung bis hin zur Strahlen­biologie.

Warum aber spielen die hohen Pulswiederholraten und Bunch­ladungen eine so herausragende Rolle? Diese Eigenschaften des Elektronenstrahls setzen sich direkt in die Eigenschaften der Sekundärstrahlung um. Aus der hohen Bunchladung resultieren extreme Pulsenergien der Photonenpulse sowie hohe Teilchendichten in Neutronen- und Positronen­pulsen und, bedingt durch die schnellen Wiederholraten, extrem starke mittlere Photonen- und Teilchenflüsse. Zudem sind die Pulse wegen der starken räumlichen und zeitlichen Kompression der Elektronen­pakete sehr kurz.

Für den Fall des ELBE-Terahertz-Strahls etwa bedeutet das, dass nur wenige Pikosekunden dauernde elektromagnetische Pulse mit extrem hohen elektrischen Feldstärken auf eine Probe gelenkt werden können – und dies bis zu einigen hundert­tausend Mal pro Sekunde. Damit werden Einblicke in ultraschnelle elementare Prozesse in Materie möglich, wie sie Jan-Christoph Deinert, Sergey Kovalev und Michael Gensch in einem Zweiteiler ab diesem Heft in „Physik in unserer Zeit“ vorstellen.

Keine andere Technologie kann derzeit eine solche Kombination von Strahl­parametern liefern. Der Preis dafür steckt in der verwendeten Beschleuniger­technologie. Während klassische, normalleitende Hochfrequenz­beschleuniger infolge der Aufheizung der Hochfrequenz­resonatoren nicht dauerhaft, sondern nur gepulst betrieben wenden können, erlaubt die bei ELBE verwendete supraleitende Beschleuniger­technologie die kontinuierliche Beschleunigung im Continuous-Wave-(CW)-Betrieb. Supraleitende Beschleuniger basieren auf hochreinem Niob als Resonator­material. Um die gewünschte hohe Güte zu erreichen, müssen die Resonatoren mit flüssigem Helium auf circa 2 K gekühlt werden.

Ihre Oberflächen müssen zur Vermeidung von Feldemission extrem poliert und sauber sein und unter Reinraum­bedingungen montiert werden. Der technische Aufwand ist also riesig, aber momentan alternativlos.
Eine weitere Besonderheit von ELBE ist die Verwendung einer ebenfalls supraleitenden CW-fähigen Elektronenquelle, welche die Erzeugung hochgeladener Elektronenpulse mit großen Wiederholraten erst möglich macht. Diese Quelle wurde über viele Jahre am HZDR entwickelt und bei ELBE weltweit erstmalig in den Dauerbetrieb überführt.

Überhaupt ist ELBE am Forschungsstandort Dresden-Rossendorf eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Als in den 1990er-Jahren die Frage nach einem eigenen wissenschaftlichen Großgerät an diesem Standort entschieden wurde, fiel die Wahl auf eine Sekundär­strahlen­quelle mit einem supraleitenden Linearbeschleuniger als Treiber. Dazu mussten sich die Rossendorfer fachlich neu orientieren und an international renommierten Beschleuniger­zentren Erfahrungen sammeln. So konnten sie ELBE entwickeln und Anfang der 2000er-Jahre aufbauen. 2004 begann der erste Nutzerbetrieb. Heute ist ELBE eine leistungsfähige und weltweit anerkannte Nutzer­anlage. Sie liefert jährlich mehr als 6000 Stunden Strahlzeit im 24/7-Regime, Nutzer aus der ganzen Welt wechseln sich täglich ab.

Peter Michel

 

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