Eine Theorie für alle
Emmy Noether-Nachwuchsgruppe widmet sich einheitlicher Theorie komplexer Materialien.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert eine neue Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Fachbereich Physik der Universität Hamburg, die verschiedene Theorien in der Festkörperphysik systematisch analysieren, zusammenfassen und verbessern möchte. Die Nachwuchsgruppe erhält für sechs Jahre eine Fördersumme von rund 1,2 Millionen Euro und startet ab August 2019 unter der Leitung von Georg Rohringer.
Theoretische Physiker benötigen einfach berechenbare Theorien und Modelle, mit denen sich Materialeigenschaften vorhersagen lassen: Handelt es sich bei dem vorliegenden Stoff zum Beispiel um einen elektrischen Leiter oder um einen Isolator? Ist die Substanz magnetisch? Und wie reflektiert sie Lichtwellen? Die Schwierigkeit der verschiedenen Theorien liegt darin, dass sie möglichst genau die Realität abbilden sollen und trotzdem stark vereinfacht sein müssen, da ansonsten selbst Supercomputer bei der Berechnung überfordert sind. Das Ergebnis ist, dass in den vergangenen zehn Jahren sehr viele ähnliche Theorien entwickelt wurden, die jedoch nur bei einigen wenigen Materialien gut funktionieren.
Die neue Emmy Noether-Gruppe wird zuerst eine systematische, vergleichende Analyse der existierenden Theorien vornehmen und eine Übersicht erstellen, was welche Theorie leistet. Im zweiten Schritt werden die Forscher eine neue Methode entwickeln, um die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Theorien sicherzustellen. „Verschiedene Theorien in der Physik sollten für die gleiche Problemstellung übereinstimmende Ergebnisse liefern“, sagt Georg Rohringer. „Dies ist bei vielen derzeitigen Theorien aber nicht der Fall und das möchten wir ändern.“
Basierend auf den Vorarbeiten will das Emmy Noether-Team im dritten Schritt eine neue allgemeine Theorie vorschlagen, welche die Probleme der derzeitigen Methoden vermeidet und für möglichst alle Materialklassen gültig sein soll. Ein solches Modell wäre nicht nur in der Grundlagenforschung ein Durchbruch, es hätte auch eine sehr große technologische Relevanz. „Wir stehen heute vor der großen Frage, wie wir unseren Lebensstandard beibehalten und trotzdem Umwelt und Klima schützen können. Das ist nicht einfach, denn wir brauchen Energie,“ sagt Rohringer.
„Eine Lösung wäre die seit Langem bekannte Supraleitung, also die verlustfreie Speicherung und der verlustfreie Transport von elektrischer Energie.“ Mit der Supraleitung könnten Wind- und Solarenergie ohne Einbußen über längere Zeiträume gespeichert werden. Das Problem bei der Supraleitung ist derzeit, dass die verwendeten Materialien mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden müssen und somit mehr Energie aufgewendet als eingespart wird. „Eine Vision unserer Arbeit wäre, dass sich mit den neuen Theorien bisher unbekannte Materialien berechnen lassen könnten, in denen eine Supraleitung auch bei höheren Temperaturen, im Idealfall bei Raumtemperatur, möglich wäre“, so der Physiker.
Georg Rohringer stammt aus Klosterneuburg in Österreich, hat technische Physik an der TU Wien studiert und dort auch promoviert. Nach einer Anstellung als Postdoktorand am dortigen Institut für Festkörperphysik hat er seit Anfang 2016 am Russian Quantum Center in Moskau geforscht. Am 1. August 2019 startet seine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe am Fachbereich Physik der Universität Hamburg.
U. Hamburg / DE