Elektronik nach biologischem Vorbild
Neuer SFB „Neuroelektronik“ nutzt memristive Bauelemente.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat einen neuen interdisziplinären Sonderforschungsbereich mit Beteiligung der Technischen Universität Ilmenau bewilligt, in dem Elektronik entwickelt wird, die von der Biologie inspiriert ist. Die extrem energieeffiziente Hardware nutzt dabei Erkenntnisse, die von den Nervensystemen von Polypen, Quallen und Echsen abgeleitet werden. Die DFG fördert den SFB „Neuroelektronik: Biologisch inspirierte Informationsverarbeitung“ ab 2021 mit rund 11,5 Millionen Euro für vier Jahre.
Um die energieeffiziente Hardware zu entwickeln, übertragen 33 Wissenschaftler aus neun Forschungseinrichtungen Erkenntnisse über die Informationswege in tierischen Nervensystemen auf die technische Informationsverarbeitung. Dabei bezieht der revolutionäre Forschungsansatz evolutionsbiologische Mechanismen aus der Tierwelt wie das Zellwachstum mit ein. Dies soll in Zukunft Elektroniksysteme ermöglichen, die extrem konfigurierbar und daher in der Lage sind, sich an unterschiedlichste Situationen und äußere Einflüsse anzupassen.
Vorbild für die innovative Elektronik ist das menschliche Gehirn. Verglichen mit heutigen Computern verarbeitet es Informationen nicht nur effektiver, sondern auch energiesparender. Beispiel Mustererkennung: Um in einer Menge von Daten Regelmäßigkeiten, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, verarbeitet das Gehirn eine Vielzahl unterschiedlichster Informationen zeitgleich und kann sich dabei sogar an wechselnde äußere Bedingungen anpassen. Dabei arbeitet es äußerst energieeffizient und benötigt dafür gerade einmal 25 Watt. Um besser verstehen zu können, nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Nervenzellen Informationen weitergeben und wie lokale Prozesse mit dem gesamten Nervensystem zusammenhängen, werden im SFB Neuroelektronik Untersuchungen von biologischen Modellorganismen mit unterschiedlich komplex entwickelten Nervensystemen durchgeführt. Dafür leiten die Forscher Grundprinzipien dynamischer biologischer Netzwerke von dem Süßwasserpolypen Hydra, der Würfelqualle Tripedalia cystophora und der Echse Anolis carolinensis ab und übertragen sie auf technische Systeme.
Kernbaustein der neuen Technologie sind elektronische Bauelemente, die über einen Gedächtniseffekt verfügen: Solche memristiven Bauelemente sind in der Lage, den Verlauf elektrischer Signale zu speichern. Die Wissenschaftler wollen diese in Zukunft in dynamische Schaltungsarchitekturen integrieren. Hier setzt die TU Ilmenau ihre Kompetenz ein und schlägt die Brücke zwischen Grundlagenforschung und Anwendung. Bereits seit 2014 erforscht Martin Ziegler, stellvertretender Sprecher des SFB Neuroelektronik in der Forschergruppe „Memristive Bauelemente für neuronale Systeme“ bioinspirierte Elektronik. Ziegler ist zuversichtlich, dass sich mit memristiven Bauelementen in Zukunft höchst energieeffiziente Systeme entwickeln lassen: „Wir werden in der Lage sein, die biologischen Paradigmen der Informationsverarbeitung, Lernen und Gedächtnisbildung, so präzise wie nie zuvor technisch nachzubilden und völlig neue Möglichkeiten für die Informationstechnik schaffen.“
Bei der elektronischen Informationsverarbeitung Energie zu sparen, ist ein Gebot der Stunde. Die digitale Revolution der modernen Gesellschaft geht mit einer rasanten Steigerung des Energiebedarfs und damit des Kohlendioxidausstoßes einher. Die Hardware, die rund um den Globus in IT-Anwendungen eingesetzt wird, verbraucht schon heute ein Drittel der gesamten weltweit produzierten elektrischen Energie – Tendenz stark steigend: Wissenschaftliche Hochrechnungen prognostizieren, dass schon in rund 15 Jahren die gesamte weltweite Produktion an elektrischer Energie nicht mehr ausreichen wird, um den Leistungsbedarf der IT-Hardware zu decken. Biologisch inspirierte, extrem energiesparende elektronische System werden helfen, die digitale Informationsverarbeitung voranzutreiben. Eine neue Generation von Computerarchitekturen und Technologien, geboren aus dem SFB Neuroelektronik, könnten unter anderem zu Anwendungen in der Robotik, der Sensorik, beim autonomen Fahren, aber auch in der Medizintechnik, etwa bei bionischen Prothesen, führen.
TU Ilmenau / JOL