Erdbebenrisiko im Rheinland
Projekt Siegfried legt die Basis für eine stärkere Nutzung der Erdwärme.
Tiefe Geothermie kann zuverlässig, bezahlbar und nachhaltig Wärme für Kommunen und Industrie liefern. Sie nutzt Thermalwasser aus tiefen geologischen Schichten als lokale Wärmequelle. Um das volle Potenzial der Tiefengeothermie in der Wärmewende auszuschöpfen, ist es notwendig, die regionale Geologie und ihre Herausforderungen verstanden zu haben. Dadurch wird es möglich, Thermalwasser aufzufinden und Standorte und Betriebsstrategien zu wählen, die induzierte Seismizität unwahrscheinlich machen. Genau hier setzt das Grundlagen-Projekt „Siegfried“ – Bewertung der seismischen Gefährdung in der Niederrheinischen Bucht zur Nutzung von Tiefengeothermie – an, welches von den Projektpartnern Fraunhofer IEG, Ruhr-Universität Bochum, RWE und RWTH Aachen gemeinsam bearbeitet wird. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Vorhaben über einen Zeitraum von drei Jahren mit insgesamt 1,845 Millionen Euro.
Das Verbundvorhaben hat sich zum Ziel gesetzt, die vorbetriebliche Gefährdungsbeurteilung induzierter Seismizität in der Tiefengeothermie zu optimieren und so Investitionen in diese nachhaltige Energiequelle zu fördern. Insbesondere konzentriert sich das Projekt auf die Niederrheinische Bucht, ein tektonisch und seismisch aktives Gebiet, welches ein vielversprechendes geothermisches Reservoir darstellt. „Die gewonnenen Erkenntnisse, Ergebnisse und Werkzeuge des Projektes Siegfried werden dazu beitragen, kommende Geothermieprojekte in der Niederrheinischen Bucht zuverlässig, effizient und nachhaltig umzusetzen“, sagt Projektkoordinatorin Claudia Finger vom Fraunhofer IEG. Man wolle Seismizität interdisziplinär verstehen, um der Region im Strukturwandel mit der Tiefengeothermie eine risikoarme und wirtschaftliche Energie- und Wärmeversorgung zur Verfügung zu stellen.
Innovationen in Geotechnologien können dazu beitragen, Kompetenzen der Energieregion Niederrhein in eine zukunftsfeste und nachhaltige Energiewirtschaft zu überführen, die nicht nur Versorgung lokal sichert, sondern auch neue Geschäftsmodelle eröffnet. Das am Standort des RWE-Kraftwerkes Weisweiler geplante Reallabor zur Geothermie bietet hier aufgrund der geologischen Situation und der im EU-Interreg-Projekt „DGE-Rollout“ erfolgten Vorerkundungen gute Voraussetzung für eine Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse.
Die natürliche Seismizität der Niederrheinischen Bucht zeichnet sich durch eher moderate Stärke aus: Kaum vom Menschen spürbar, aber dennoch kontinuierlich messbar. Durch die großräumige Bewegung der tektonischen Erdplatten kommt es zu lokalen Störungen und Spannungen, die sich fortlaufend in kleinen Erdbeben entladen. In der Vergangenheit ist es in anderen Regionen gelegentlich passiert, dass der Betrieb einzelner geothermischer Kraftwerke die Spannungen ungünstig verändert hat und Erdbeben induziert wurden. Jedoch zeigen dutzende laufende Kraft- und Heizwerke in München, Paris und den Niederlanden, dass Anlagen auch ohne induzierte Seismizität betrieben werden können. Ein vertiefendes Verständnis der Spannungsverhältnisse im Untergrund, wie das Verbundvorhaben es nun herstellen will, ist die Basis für eine Standortwahl, die induzierte Seismizität unwahrscheinlich macht.
Zu Anfang führt das Projekt die vorhandenen Daten aller Partner und öffentliche Datensätze zusammen. Dies sind Daten über die Untergrundgeometrie, Eigenschaften der Lagerstätte und geomechanischen Spannungszustände. Datenlücken schließt das Team mit neuesten wissenschaftlichen Messungen etwa von seismischen Wellen, Bodenbewegungen oder auch Gestein-Spannungen in vorhandenen Bohrlöchern. Es bestimmt auch die Lage der relevanten Gesteine in Steinbrüchen und Aufschlüssen sowie Materialeigenschaften von Proben im Labor. Mit den Daten entwickelt es numerische Modelle, analysiert die Stabilität von geologischen Verwerfungen und bestimmt räumlich aufgelöst die seismische Gefährdung der Niederrheinischen Bucht. Durch die Zusammenführung von Daten aus verschiedenen Disziplinen und auf verschiedenen Skalen werden Randbedingungen und Kalibrierungsmöglichkeiten optimiert.
Aufbauend auf diesen Modellen und Analysen simuliert das Projekt den Effekt der Thermalwassernutzung zwischen Aachen und Düren. Im Betrieb fördert eine Geothermieanlage warmes Wasser, entzieht ihm die Wärme und gibt das erkaltete Wasser wieder in die Tiefe, wo sich Temperatur, Druck und Spannung der Gesteine ändern können. Das Projekt wird modellieren, wie sich dies auf umgebende Verwerfungen und die natürliche Seismizität großräumig und dynamisch auswirkt. Alle Informationen über die Stabilität der Störungen, Art der Hintergrundseismizität und entwickelten Modelle fließen in räumlich Karten und stehen kommenden Projektentwicklern und interessierten Bürgern zur Verfügung. Die Ergebnisse können die Basis bilden für die Standortwahl einer Anlage, für Schwellenwerte der Betriebsparameter sowie für detaillierte Überwachungskonzepte des Betriebs.
„Siegfried“ wird maßgeblich dazu beitragen, kommende Geothermieprojekte sicherer, effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die gewonnenen Erkenntnisse und die entwickelten Anwendertools werden Investitionen in den Geothermiesektor in Deutschland vorantreiben. Die Ergebnisse des Projektes erlauben interessierten Unternehmen mit Prozesswärmebedarf und Stadtwerken, die kommunale Fernwärmenetze planen, eine Kosten-Nutzen-Abwägung für Tiefengeothermie in der Region und verringern so die Unsicherheit der Investitionen. Die entwickelten Arbeitsabläufe können sowohl auf andere Regionen als auch auf andere Technologien angewendet werden.
Fh.-IEG / JOL