Erneuerter Detektor ALICE am LHC liefert künftig Filme von Teilchen-Kollisionen
Forscher hoffen auf bessere Einblicke in das Quark-Gluon-Plasma.
Das ALICE-Experiment am Teilchenbeschleuniger LHC soll neue Erkenntnisse über einen extrem heißen und dichten Materiezustand bringen, das Quark-Gluon-Plasma. Wenige Millionstel Sekunden nach dem Urknall lag die gesamte Materie des Universums in diesem Zustand vor, und Forscher wollen unter anderem mit dem ALICE-Experiment herausfinden, wie sich aus dieser „Ursuppe“ das Universum entwickelt hat. Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat dafür jetzt unter der Leitung von Physikern um Harald Appelshäuser von der Uni Frankfurt das Herzstück des ALICE-Detektors auf den neuesten Stand der Technik gebracht.
Im Moment ruhen am CERN die Beschleuniger, es ist die Zeit der „zweiten langen Betriebspause“. In dieser Zeit werden die Beschleuniger auf- und umgerüstet, damit künftig mehr Teilchen beschleunigt und die Zahl der Kollisionen erhöht werden können. Auch die Detektoren werden verbessert. Doch während bei den großen Allzweckdetektoren ATLAS und CMS der große Umbau erst in der nächsten, dritten langen Betriebspause ab 2025 ansteht, wird der Spezialdetektor ALICE schon jetzt erneuert in die bevorstehende Messkampagne gehen.
ALICE ist ein besonderes Projekt am Large Hadron Collider LHC des CERN. Während die anderen drei Detektoren entschlüsseln, was in Kollisionen zwischen Protonen vor sich geht, befassen sich die Forscher des ALICE-Experiments mit Blei-Ionen. Jedes Jahr wird der LHC einen Monat lang mit Blei-Ionen betrieben, damit ALICE Daten sammeln kann. Die Forscher wollen das Quark-Gluon-Plasma untersuchen, das entsteht, wenn Blei-Atomkerne mit sehr großer Energie aufeinanderprallen und sich für einen kurzen Moment in ihre elementaren Bestandteile auflösen. In dieser heißen und dichten Materiesuppe können sich die Quarks und Gluonen, die sonst fest in den Protonen und Neutronen des Atomkerns gebunden sind, quasi frei bewegen. Was bei den Kollisionen passiert, kann Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich aus dem Quark-Gluon-Plasma unser Universum, wie wir es heute kennen, gebildet hat.
Bisher lieferte der LHC-Beschleuniger 10.000 Kollisionen pro Sekunde. Bei 18.000 Teilchen pro Kollision macht das 180 Millionen Teilchen pro Sekunde, von denen der ALICE-Detektor aber nur einen Teil aufzeichnen konnte. Nach der Betriebspause werden die technologischen Hürden, die die Zahl der ausgelesenen Kollisionen bisher limitiert haben, ausgeräumt sein. Der LHC soll dann 50.000 Kollisionen pro Sekunde von Blei-Ionen liefern, wodurch 900 Millionen Teilchen pro Sekunde entstehen werden. „Wir wollen alle Kollisionen komplett aufnehmen, und zwar kontinuierlich – also praktisch einen Film drehen, statt einzelne Bilder zu schießen“, erklärt Appelshäuser.
Dafür wurde einer der zentralen Detektoren des 26 Meter langen und 16 Meter hohen ALICE-Komplexes, die Spurendriftkammer, ganz am Anfang der Betriebspause ausgebaut und vorsichtig aus der unterirdischen Detektorkaverne in einen Reinraum an der Oberfläche gebracht. Nach und nach wurden dort die über Jahre auf der ganzen Welt hergestellten Bauteile sorgfältig eingebaut. Jetzt wurde die technisch aufgerüstete Kammer wieder an ihre Heimat im Herzen von ALICE zurückgebracht. Der Clou sind die neuen Auslesekammern, die nicht mehr aus vielen feinen Drähten bestehen, sondern im Prinzip aus rund fünf Milliarden winzigen Löchern. In diesen Löchern werden die Signale der geladenen Teilchen verstärkt, so dass die Wissenschaftler genau die Spur jedes Teilchens ausrechnen können. Diese GEMs – Gas Electron Multiplier – sind eine CERN-Erfindung, die auch schon ihren Weg in medizinische Anwendungen gefunden hat. 500.000 Kanäle sorgen dafür, dass dem ALICE-Experiment nichts entgeht. Jede Sekunde entstehen später bei den Kollisionen Daten von 3,4 Terabyte.
ALICE bekommt während der Betriebspause auch eine neue innere Spurkammer, die noch dichter am Kollisionspunkt sitzt und im Gegensatz zu ihrem Vorgänger die Präzision noch weiter erhöht. Und präzise müssen die Detektoren sein, denn nur durch die genaue Bestimmung der Teilchenpfade und -energien lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die ersten Bruchteile von Sekunden des Universums.
GUF / RK
Weitere Infos
- High Energy Group (H. Appelshäuser), Institut für Kernphysik, Goethe-Universität Frankfurt
- ALICE – A Large Ion Collider Experiment, Large Hadron Collider, CERN – CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung