17.02.2004

Flug zum Kometen

Ein Interview mit Berndt Feuerbacher zur Kometenmission Rosetta und der ersten Landung auf einem Kometen.



Ein Interview mit Berndt Feuerbacher.

Berndt Feuerbache ist Direktor des Instituts für Raumsimulation, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Er hat einen Lehrstuhl für Experimentalphysik (Weltraumphysik) an der Ruhr-Universität Bochum und ist Vorsitzender des "Steering Committee" (Aufsichtsrat) für die Landeeinheit Philae der Rosetta-Mission.


Frage: Herr Prof. Feuerbacher, warum wollen die Wissenschaftler unbedingt einen Kometen untersuchen?
Berndt Feuerbacher: Kometen sind so etwas wie "Leitfossilien" in unserem Sonnensystem. Sie sind zusammen mit der Sonne und den Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden, haben sich aber im Unterschied zu diesen seither fast nicht verändert. Kometen befinden sich in einer Art "kosmischem Kühlschrank" am äußersten Rand unseres Sonnensystems, bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt. Ab und zu wird so ein Brocken in die Nähe der Sonne abgelenkt. Dann haben wir die seltene Möglichkeit, ihn zu besuchen und damit neuartige Informationen aus der Entstehungsgeschichte des Planetensystems zu erhalten.
Frage: Wie muss man sich einen Kometen vorstellen?
Feuerbacher: Kometen sind riesige schmutzige Schneebälle. Sie bestehen aus Eis und verschiedenen gefrorenen Gasen, die mit staubartigen Partikeln vermischt sind. Kometen haben einen festen Kern von ein paar Kilometer Größe, den man von der Erde aus aber nicht sehen kann. Der sichtbare Schweif besteht aus Gas und Staub, dem Material, das der Komet beim Vorbeiflug an der Sonne durch die Erwärmung verliert und das durch den Sonnenwind weggeblasen wird.
Frage: Warum dauert die Reise zu dem Kometen so lange? Konnte man sich keinen Näheren aussuchen?
Feuerbacher: Wir wollen den Kometen weit weg von der Sonne erreichen, wenn er noch keinen Schweif entwickelt hat, also inaktiv ist und damit eine sichere Landung ermöglicht. Selbst mit den stärksten verfügbaren Raketen können wir nicht direkt dahin schießen. Man wendet deshalb einen Trick an: Bei einem nahen Vorbeiflug an Mars oder Erde nimmt man Schwung vom Umlauf des Planeten um die Sonne mit, um die Bahn der Sonde auszuweiten. Zum Kometen Churyumov-Gerasimenko, unserem Ziel, brauchen wir vier solche Swingby-Manöver, eines am Mars und drei an der Erde. Unterwegs nimmt man noch die Möglichkeit wahr, sich zwei Asteroiden anzusehen.
Frage: Was sind die Hauptaufgaben der europäischen Kometen-Mission Rosetta?
Feuerbacher: Rosetta ist die erste Mission zur genauen Untersuchung eines Kometen. Das Mutterschiff, der Orbiter, wird auf eine Umlaufbahn um den Kometen einschwenken und ihn aus der Nähe, aus Abständen von ein bis zehn Kilometer, durch seine Instrumente beobachten. Dabei wird der Kern mit Kameras und Spektrometern über den gesamten Wellenlängenbereich vom ultravioletten Licht bis zu den Mikrowellen beobachtet, gleichzeitig werden emittierter Staub und Gase gemessen, ebenso die Plasma-Umgebung und die Wechselwirkung mit dem Sonnenwind.
Nach einer sorgfältigen Charakterisierung des Kometen wird der Lander abgesetzt. Er bringt zehn wissenschaftliche Instrumente auf die Oberfläche. Kameras werden die Umgebung dokumentieren, mit einem Bohrer werden Materialproben unter der Oberfläche gewonnen und in Massenspektrometern oder Gaschromatographen analysiert, um das ursprüngliche Material unseres Sonnensystems zu charakterisieren. Das Innere des Kometenkerns wird mit einem Penetrator, mit Ultraschall und Mikrowellen-Tomographie untersucht. Etwa sechs Monate lang werden Orbiter und Lander mit dem Kometen zur Sonne reisen und die Veränderungen durch die erhöhte Einstrahlung, also z. B. die Schweifbildung, beobachten.
Frage: Sie und Helmut Rosenbauer vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau (MPAe) gelten als die geistigen Väter der Landeeinheit bei der Rosetta-Mission. Wieso war und ist Ihnen die Landung auf dem Kometen so wichtig?
Feuerbacher: Die Rosetta-Mission ist nicht nur eine der aufregendsten Missionen der Raumfahrt, sondern auch wissenschaftlich von höchster Relevanz. Die Möglichkeit, hier ein Landegerät beizutragen ist für mich – und wohl für jeden Wissenschaftler – eine Herausforderung, wie man sie nur einmal im Leben erhält.
Frage: Wie würden Sie Ihren persönlichen Beitrag zur Rosetta-Mission konkret beschreiben?
Feuerbacher: Als die ESA im Jahr 1995 entschied, die Rosetta-Mission ohne Landegerät auszuschreiben, habe ich, zusammen mit Helmut Rosenbauer vom MPAe die Initiative ergriffen, einen Vorschlag zum Bau eines Landers für Rosetta im Rahmen eines europäischen Konsortiums vorzulegen. Die Projektleitung wurde nach der positiven Auswahl des Vorschlags an meinem Institut für Raumsimulation im DLR Köln durchgeführt. Während einer Krisensituation in den Jahren 2000 und 2001 habe ich selbst die Projektleitung übernommen. Jetzt habe ich die Funktion des Vorsitzenden des "Steering Committee" inne, einer Art Aufsichtsrat über das Projekt.
Frage: Wie kommt die Mission zu ihrem Namen Rosetta?
Feuerbacher: Der Name leitet sich ab vom Rosetta-Stein, der heute im Britischen Museum in London steht. Auf ihm befindet sich eine Inschrift in den drei Sprachen Griechisch, Demotisch, und in Hieroglyphen. Mit Hilfe dieses Steins gelang es dem französischen Wissenschaftler Jean-Francois Champollion im Jahr 1822, die Hieroglyphen zu entziffern und damit den Zugang zur altägyptischen Hochkultur zu erschließen. In ähnlicher Weise erhofft man, dass die Rosetta-Mission neue Informationen zur Entschlüsselung der Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems erbringt.
Frage: Woher stammt der Namen der Landeeinheit Philae?
Feuerbacher: Der Rosetta-Stein war nicht der einzige Schlüssel, der zur Entzifferung der Hieroglyphen führte. Auf dem Philae-Obelisken, benannt nach dem Fundort, einer Nilinsel südlich von Luxor, wurden die Königskartuschen von Ptolemäus und Kleopatra entdeckt. Mit deren Hilfe fand Champollion heraus, dass die Hieroglyphen nicht wie vermutet eine mystische Bildersprache, sondern eine phonetische Schrift sind.
Frage: Die Mission Rosetta sollte ja schon im vergangenen Jahr starten. Was waren die Gründe für die Startverschiebung?
Feuerbacher: Im Dezember 2002 gab es einen Fehlstart der neuen Zehn-Tonnen-Version der Ariane-5 Rakete. Obwohl die für Rosetta vorgesehene Rakete nicht direkt davon betroffen war, hat man aus Sicherheitsgründen zusätzliche Überprüfungen angeordnet. Kometen warten aber nicht, deshalb musste man die Mission um ein ganzes Jahr verschieben und einen neuen Kometen auswählen.
Frage: Warum wurde nun der Komet Churyumov-Gerasimenko ausgewählt? Wie unterscheidet er sich von dem ursprünglichen Kometen Wirtanen?
Feuerbacher: Es wurde eine ganze Liste möglicher Kometen untersucht. Nach verschiedenen Kriterien, zu denen Erreichbarkeit durch die Rakete, Größe und Eigenschaften des Kometen, und die wissenschaftliche Attraktivität gehören, wurde ein neuer Komet ausgewählt. Churyumov-Gerasimenko ist zwar mit vier Kilometer Durchmesser etwas größer, was die Landung schwieriger macht, aber er erfüllt alle gewünschten Kriterien.
Frage: Welche konstruktiven Änderungen bei Orbiter und Landeeinheit waren nötig?
Feuerbacher: Für den Orbiter waren keine Änderungen erforderlich. Die Landesonde war für den deutlich kleineren Kometen Wirtanen mit nur 1400 Meter Durchmesser optimiert. Deshalb waren umfangreich Untersuchungen notwendig, um festzustellen, ob die Landung auch auf dem neuen Zielkometen sicher ist. Mit einer kleinen Modifikation am Landegestell, die in Kourou durchgeführt werden konnte, wird Philae auch auf Churyumov-Gerasimenko sicher aufsetzen.
Frage: Was sind die speziellen Schwierigkeiten bei der Landung auf einem Kometen? Was wurde getan, um diese erfolgreich zu bewältigen?
Feuerbacher: Ein Komet ist ein relativ kleiner Körper und hat wenig Schwerkraft. Daher ist das Problem nicht die weiche Landung, wie wir das von Mars und Mond kennen. Der auf der Erde 100 Kilogramm schwere Lander wiegt auf dem Kometen nur wenige Gramm. Das Problem ist eher, dass der Lander nicht abprallt und, bei der geringen Fluchtgeschwindigkeit, auf Nimmerwiedersehen im Universum verschwindet. Deshalb wird sofort nach Berührung des Kometen eine Harpune abgeschossen, die Philae am Kometen festzurrt und damit ein Zurückprallen verhindert.
Frage: Die Europäer haben gerade auf dem Mars die Landeeinheit Beagle 2 verloren. Die Landung auf einem Kometen ist ungleich komplizierter, ganz abgesehen davon, dass es noch keiner versucht hat. Es gibt also keine Erfahrungswerte, auf die Sie sich stützen können. Was macht Sie so zuversichtlich, dass eine Landung klappen könnte?
Feuerbacher: Die Landung auf einem Kometen ist wegen der fehlenden Atmosphäre und der geringen Auftreffgeschwindigkeit im Prinzip weniger komplex als auf dem Mars, dafür hat sie andere Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu Beagle ist der Lander so konzipiert, dass für fast alle wichtigen Funktionen im Fall eines Fehlers eine oder mehrere Ersatzlösungen existieren. Beispielsweise hat Philae gleich zwei Harpunen und außerdem eine kleine Düse, die beim Auftreffen gezündet wird, um eventuelle Rückprallimpulse zu kompensieren.
Frage: Was kostet die Mission insgesamt, wie viel hat Deutschland davon aufgebracht?
Feuerbacher: Die ESA-Gesamtkosten für die Rosetta-Mission betragen rund 770 Millionen Euro. Dazu kommen die Kosten für den Lander und für nationale Beiträge zu den jeweiligen wissenschaftlichen Experimenten, so dass mit einem Gesamtvolumen von rund einer Milliarde Euro zu rechnen ist. Als wissenschaftlich und industriell wichtigste Nation der Rosetta-Mission trägt Deutschland einen Anteil von 290 Millionen Euro.
Frage: Mussten für die Mission spezielle Erfindungen und Entwicklungen gemacht werden, die noch nicht vorhanden waren?
Feuerbacher: Vieles musste neu entwickelt werden. Hier ein Beispiel: Zur Analyse des Kometenmaterials sind zwei kombinierte Massenspektrometer/Gaschromatographen an Bord. Geräte vergleichbarer Leistungsfähigkeit im Labor füllen ganze Messschränke und wiegen um die hundert Kilo. Auf dem Lander haben sie ein Volumen von etwa eineinhalb Liter und wiegen um die drei Kilo – ein enormer Schritt in Richtung Miniaturisierung, der auch auf der Erde Anwendung findet.
Ein Derivat der Landerkamera wird wegen ihrer speziellen Eigenschaften bereits in Brandenburg zur Überwachung von Waldbränden eingesetzt.
Frage: Welche speziellen Leistung hat das DLR bei der Rosetta-Mission erbracht und erbringt sie noch?
Feuerbacher: Das DLR hat die Federführung im internationalen Konsortium zum Bau des Landers. Es stellt eine der Kameras, ein Experiment zur seismischen Untersuchung des Kometenkerns, und mehrere Komponenten des Landers wie das Temperaturkontrollsystem, den Kreisel zur Stabilisierung des Abstiegs und das Rückstoß-System. Der Betrieb des Landers, also Kommandierung und Datenempfang, ist in der Verantwortung des DLR und wird vom Lander-Kontrollzentrum in Köln gesteuert. Außerdem ist das DLR an mehreren Instrumenten auf dem Orbiter beteiligt.
Frage: Welche anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland sind noch an der Rosetta-Mission beteiligt?
Feuerbacher: Unser wichtigster Partner beim Bau des Landers ist die Max-Planck-Gesellschaft (MPI). Vor allem das Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau hat mehrere Experiment- und Systembeiträge, wie zum Beispiel das Schlüsselelement Landebein, beigestellt. Die Harpune und ein Plasmainstrument kommen aus dem Institut für Extraterrestrik in Garching, ein Materialanalysegerät vom MPI für Chemie in Mainz. Auch die Universitäten Münster, Mainz und Braunschweig haben wichtige Beteiligungen.
Universitäten und Max-Planck-Institute stellen auch essentielle Experimentbeiträge auf dem Orbiter.
Frage: Welche spezielle Leistung hat die deutsche Industrie für diese Mission erbracht?
Feuerbacher: Der Orbiter wurde von dem Hauptauftragnehmer EADS Astrium in Friedrichshafen gebaut, der Lander ist ein Novum in der Fertigung von Raumfahrzeugen: Mit ihm wurde erstmals ein weltraumtaugliches Gerät nicht von der Industrie, sondern komplett von wissenschaftlichen Einrichtungen gefertigt. Die Projektleitung für das internationale Lander-Konsortium lag beim DLR in Köln, wo auch das Lander-Kontrollzentrum beheimatet ist.
Frage: Wie hält man bei solch langen Missionen die wissenschaftlichen Teams zusammen, wie sorgt man dafür, dass das vorhanden Know-how nicht verloren geht?
Feuerbacher: Das ist eines der herausragenden Probleme bei einer so lange dauernden Mission. Natürlich wird die gesamte Wissenschaft und Technik sorgfältig dokumentiert. Daneben ist es aber notwendig, eine kleine Kernmannschaft junger Wissenschaftler und Techniker zu erhalten, die das Wissen in den Köpfen bewahrt und an die zukünftigen Mitarbeiter, die 2014 nach dem Rendezvous mit dem Kometen den Betrieb und die Wissenschaft durchführen, weitergeben.
Frage: Ist es ein Problem, dass man in zehn Jahren mit einer Technologie landet, die dann mindestens 15 Jahre alt ist?
Feuerbacher: Sicher werden wir in der Datentechnik in zehn Jahren andere Standards haben. Es muss sichergestellt werden, dass damit unsere heutigen Systeme bedient werden können. Die eigentliche Landung wird aber auch mit weiterentwickelter Technik durchaus kompatibel sein.
Frage: Herr Feuerbacher, Sie sind jetzt 63 Jahre alt. Wo und wie, glauben Sie, werden Sie Ankunft und Landung der Rosetta-Mission erleben?
Feuerbacher: Ich werde bei der Landung im Kontrollzentrum beim DLR in Köln-Porz sein, selbst wenn ich mich im Rollstuhl hineinfahren lassen muss.

Die Fragen stellte Eduard Müller, Köln.

Quelle: DLR

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