26.01.2006

Fußball-Physik

Der Dortmunder Experimetalphysiker Metin Tolan betrachtet Fußball vom wissenschaftlichen Standpunkt.


Fußball-Physik

Dortmund (dpa) - Es sah aus wie Zauberei: Als der Brasilianer Roberto Carlos vor neun Jahren in einem Spiel gegen Frankreich einen Freistoß aus 35 Metern Entfernung trat, flog der Ball mehr als einen Meter an der französischen Abwehrmauer vorbei. Tor verfehlt, dachten die Zuschauer. Doch plötzlich kurvte der Ball nach links und fiel neben dem verdutzten Torwart ins rechte Eck. Was für Kommentatoren und Fußballbegeisterte noch heute als Wunder gilt, bezeichnet Metin Tolan ganz lakonisch als «ein gutes Beispiel für angewandte Physik».

Der Dortmunder Professor für Experimentelle Physik betrachtet die «schönste Nebensache der Welt» gern von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus. Wieso kann ein Ball um die Ecke fliegen? Durch welche Schusstechnik fliegt er besonders schnell? Und in welchem Winkel springt er vom Rasen ab? Fragen wie diese wird Tolan im kommenden Sommersemester drei Mal wöchentlich den Studenten seiner Physikvorlesung an der Universität Dortmund stellen.

«Das ist gewissermaßen mein Beitrag zur WM», sagt er lächelnd. «In einer Stadt, in der sich ein Großteil des Lebens um Fußball dreht und die ein Austragungsort der Weltmeisterschaft sein wird, wäre es doch fatal, wenn wir in der universitären Lehre nicht darauf eingingen.»

Deswegen verlängert Tolan seine reguläre Veranstaltung zur Quantenmechanik im kommenden Semester einfach um eine freiwillige halbe Stunde. «Alle, die nichts für Fußball übrig haben, können dann gehen», sagt Tolan. Die anderen werden zum Beispiel errechnen, warum sich jene legendären «Bananenflanken» des Hamburgers Manfred Kaltz oder die unglaublich krummen Freistöße des Brasilianers Roberto Carlos zunächst in eine Richtung bewegen und plötzlich, wie von Geisterhand gelenkt, in einer scharfen Kurve fliegen.

So traf Carlos bei seinem wundersamen Schuss 1997 gegen die Franzosen den Ball mit dem Außenrist seines linken Fußes etwas rechts vom Schwerpunkt. Dadurch bekam der Ball einen Drall: mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometern pro Stunde wirbelte er ungefähr fünf Mal in der Sekunde gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse. «Auf Höhe der französischen Verteidiger trat dann das ein, was wir Physiker als Magnus-Effekt bezeichnen.» Die rechte Seite des von Carlos angeschnittenen Balles drehte in Flugrichtung. Dadurch staute sich die Luft und drückte den Ball nach links. Auf der linken Seite zeigten Flug- und Drehrichtung gegeneinander. Dort entstand ein Unterdruck, der den Ball in Richtung des französischen Tores sog.

«So kann man mit Fußball ganz anschaulich die Grundgesetze der Mechanik und der Aerodynamik erklären», freut sich Tolan, der seine Vorlesungen grundsätzlich gerne durch außergewöhnliche Beispiele auflockert. «Während ihres Studiums müssen sich die Studenten oft mit trockenen, konstruierten Beispielen auseinander setzen», räumt der Wissenschaftler ein. Für die Motivation sei es daher sehr wichtig, immer wieder Bezüge zur realen Welt herzustellen.

Sein Anschauungsmaterial besorgt sich der 40-Jährige in Bereichen, die ihn auch privat interessieren. Im Vorjahr waren dies zum Beispiel die physikalischen Grundlagen in James-Bond-Filmen. Die Anfangssequenz von «Goldeneye», in der der Superagent waghalsig mit einem Motorrad über eine Klippe springt, um dann in ein fliegendes Flugzeug einzusteigen, nennt der Physikprofessor trocken «waagerechter Wurf mit Reibung».

Für die Vorlesungen in der Zeit vor der Fußball-WM hat Tolan sich nun stundenlang Videomaterial von Fußballspielen angeschaut und Szenen aus legendären Spielen zusammengeschnitten. Zu Lernzwecken. So werden die Studenten unter anderem errechnen, dass das umstrittene Wembley-Tor, das England im WM-Endspiel 1966 gegen Deutschland den Sieg brachte, vielleicht doch im Kasten war: für zwei hundertstel Sekunden in der Luft, bevor der Ball auf der Torlinie aufsprang.

Silke Katenkamp, dpa

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