08.11.2024

Gibt es ein Quant der Entropie?

Die Rolle von Wärme in der Quantenwelt ist Titelthema in der neuen „Physik in unserer Zeit“.

Die klassische Thermodynamik beschäftigt sich mit der Physik von großen Systemen bestehend aus sehr vielen – idealerweise unendlich vielen – Einzelteilen mithilfe von wenigen Zustands- und Prozessgrößen wie Temperatur, Energie, Druck und Volumen. Deren Werte ergeben sich aus dem Zusammenspiel dieser vielen Bauteile. Der mikroskopische Zugang erfolgt im Rahmen der klassischen statistischen Physik, die mit Hilfe von Verteilungsfunktionen aus den physikalischen Eigenschaften des einzelnen Bauteils diejenigen des Ensembles ermittelt. Größen wie die Temperatur einem einzelnen Gasmolekül zuzuschreiben, ist nicht möglich.


 

Abb.: Die Arbeitsgruppe von Elke Scheer an der Universität Konstanz erforscht...
Abb.: Die Arbeitsgruppe von Elke Scheer an der Universität Konstanz erforscht den elektronischen Transport in Nanostrukturen aus Supraleitern und Nichtsupraleitern bei tiefen Temperaturen.

Zu den beschriebenen physikalischen Phänomenen gehören Ströme, Energieumwandlungsprozesse, die Erzeugung von Entropie und manches mehr. Diese Größen sind so allgemein, dass thermodynamische Überlegungen in vielen Bereichen, etwa der Festkörperphysik, der Chemie, der Meteorologie, aber auch für handfeste Anwendungen im Maschinenbau und der Verfahrenstechnik von Bedeutung sind.

Die Thermodynamik gehört bei Lehrenden wie Studierenden zu den gefürchtetsten Subdisziplinen der klassischen Physik, da sie einige Unanschaulichkeiten enthält, wie den zweiten Hauptsatz. Vor allem die Zustandsgröße Entropie bereitet immer wieder Kopfzerbrechen. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik lässt sich auf viele verschiedene Weisen formulieren. Im Kern besagen sie jedoch alle, dass Entropie nicht vernichtet, sondern nur erzeugt werden kann. Eine weitere Einsicht der Thermodynamik besteht darin, dass Wärmetransport stets mit der Erzeugung von Entropie verbunden ist.

Die Quantenmechanik beschreibt die Physik im Kleinen und am liebsten beim absoluten Temperaturnullpunkt mit Hilfe von kohärenten Zuständen und deren Verschränkung. Der Übergang zur klassischen Physik wird durch den Verlust von Kohärenz beschrieben. Zu ihren charakteristischen Eigenschaften gehört, dass viele Größen nur diskrete Werte annehmen können und dass es einen Minimalwert, ein „Quant“, für sie gibt. Diese Quantisierungseffekte lassen sich zumeist nur studieren, wenn man einzelne Quantensysteme oder sehr kleine Ensembles betrachtet. Für große Ensembles quantenmechanischer Bausteine werden thermodynamische Größen wiederum über den statistischen Zugang gewonnen, in dem man die für das zu beschreibende Quantensystem geeignete Statistik verwendet. Prominentes Beispiel hierfür ist die temperaturabhängige Wärmekapazität eines Festkörpers.

Die Thermodynamik ist also in der Quantenmechanik angekommen, aber umgekehrt gilt dies noch nicht vollständig. Das Gebiet der Quantenthermodynamik hat sich erst seit einigen wenigen Jahren formiert. Das Stichwort „Quantum Thermodynamics“ ist auf der amerikanischen Wikipediaseite seit 2021 zu finden, auf der deutschen fehlt der Eintrag sogar noch komplett.

Die Quantenthermodynamik beschäftigt sich mit thermodynamischen Prozessen, also zum Beispiel Energieumwandlungen und dem Wärmetransport, auf mikroskopischer Skala. Offen ist dabei, ob die aus der makroskopischen Thermodynamik bekannten Größen wie Wärme oder Arbeit auch quantenmechanisch zu begreifen sind. Gilt der zweite Hauptsatz auch für komplett quantenkohärente Systeme? Gibt es ein Quant der Entropie? Ist die Wärmeleitfähigkeit auch in Quantensystemen mit Entropie- also Wärmeerzeugung verbunden?

Die Frage nach der Existenz eines Entropiequants wurde theoretisch schon recht früh adressiert und mit „ja“ beantwortet. Allerdings geschah dies auf abstrakterem Niveau in der Informationstheorie, in welcher der Begriff der Entropie als Maß für fehlende Information ebenfalls auftaucht. Die Übertragung in die Quantenphysik ist vor allem experimentell herausfordernd, denn Quanten sind kleine Größen, auch wenn der viel bemühte Begriff des Quantensprungs etwas Großes suggeriert. Die Entropiequanten sind mit sehr kleinen Änderungen des Wärmeeinhalts eines Systems verbunden. Das lässt sich nur bei sehr tiefen Temperaturen untersuchen, wenn die thermischen Energien klein sind.

Seit wenigen Jahren gibt es hierzu mehrere europäische Arbeitsgruppen. Der Beitrag „Wärme in der Quantenwelt “ von Clemens Winkelmann in der neuen Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“ führt in die Fragestellung der Quantenthermodynamik ein und erläutert an einigen Beispielen, an welchen Modellsystemen diese Fragen untersucht werden und welche Möglichkeiten sich daraus für die Quanteninformationstechnologie ergeben. Eine besondere Rolle spielen dabei supraleitende Schaltkreise, die dissipationslos elektrischen Strom transportieren können. Aber stimmt das auch für Quanteninformationsoperationen, bei denen ja der Zustand geändert wird? Damit setzt sich Winkelmann in seinem Artikel auseinander.

Elke Scheer


 

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