11.07.2022 • Astronomie

Historische Astronomie-Aufnahmen vollständig digitalisiert

Fast 4,5 Milliarden Messungen aus digitalisierten Fotoplatten stehen Forschern weltweit zur Verfügung.

In den Archiven vieler Sternwarten lagern unzählige Fotoplatten mit astro­nomischen Aufnahmen, die teilweise älter als 130 Jahre sind. Neben dem kultur­historischen Wert stellen diese Fotoplatten für die heutige Forschung einen wahren Schatz dar. Denn die Platten und gerade Platten­serien zeigen die Bewegung oder die Entwicklung der Helligkeit von Sternen zum Teil über viele Jahrzehnte hinweg. Phänomene, die damals noch nicht wissen­schaftlich verstanden waren, wurden über lange Zeiträume beobachtet und können jetzt untersucht werden. Vor zehn Jahren begannen Forscher der Universität Hamburg gemeinsam mit einem Forschungs­verbund, astronomische Fotoplatten-Archive hoch­auf­lösend zu digita­li­sieren, online zu veröffent­lichen und so für die aktuelle Forschung nutzbar zu machen. Nach insgesamt 121.860 Scans von 94.090 Fotoplatten konnte das von der Deutschen Forschungs­gemein­schaft finanzierte Projekt jetzt erfolgreich abgeschlossen werden.

Wenn heute ein Stern zu einer Supernova wird, kann man in den Archiven nachsehen, wie sich der Stern in den Jahrzehnten zuvor verhalten hat. Der wissen­schaft­lichen Anwendung sind keine Grenzen gesetzt. „Natürlich ist die Präzision der Aufnahmen nicht vergleichbar mit heutigen, modernen Messmethoden, aber die Genauig­keit der digita­li­sierten Fotoplatten wäre zu den Zeiten, als sie gemacht wurden, absolut unvor­stellbar gewesen“, sagt Detlef Groote von der Hamburger Sternwarte der Universität Hamburg.

Bereits seit 2010 wurden an der Hamburger Sternwarte historische Fotoplatten aufwändig eingescannt, mit wichtigen Metadaten, wie Aufnahme­datum, Himmels­abschnitt und Aufnahme­bedingungen verknüpft und in einer Datenbank gespeichert. Aufgrund der langen Scanzeiten und riesigen Datenmengen ging es aber nur sehr schleppend voran. „Ich hatte abgeschätzt, dass ich allein, bei etwa 35.000 Fotoplatten in verschiedensten Größen, nur für das Scannen zwanzig bis dreißig Jahre benötigen würde“, so Groote.

Deshalb tat sich die Sternwarte 2012 mit dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, der Uni Erlangen-Nürnberg und der Universität Tartu in Estland im Rahmen des Projekts „Archives of Photographic Plates for Astronomical Use – kurz APPLAUSE – zu einem Forschungs­verbund zusammen. Hinzu kamen technische Innovationen, wie eine in Potsdam und Tartu entwickelte Software mit künstlicher Intelligenz, um Staub und Kratzer auf den digitalen Aufnahmen zu erkennen, auszusondern und eine Kalibrierung mit den aktuellen Katalogen etwa vom Gaia-Satelliten durch­zu­führen, um sie mit aktuellen Messdaten vergleichbar zu machen. „Mithilfe mehrerer Mitarbeiter und ehren­amt­lichen Helfern ging es dann doch viel schneller und inzwischen sind es sogar 45.000 Fotoplatten, die wir digita­li­siert haben“, sagt Groote, der das Projekt an der Hamburger Sternwarte geleitet hat.

Dank wissenschaftlicher Publikationen und Konferenzen wurden weitere Sternwarten auf das Projekt aufmerksam und stellten ihre eigenen digita­li­sierten Archive für die Datenbank von APPLAUSE zur Verfügung, wie beispiels­weise der Vatikan, der am Sommersitz des Papstes in Castel Gandolfo ein astro­nomisches Obser­vatorium unterhält. Nach mehr als zehn Jahren wurden nun im Rahmen von APPLAUSE fast 4,5 Milliarden Messungen aus den digita­li­sierten Fotoplatten gewonnen, kalibriert und publiziert. Die Daten stehen Forschern weltweit zur Verfügung und sind Teil des inter­nationalen Virtuellen Observatoriums.

U. Hamburg / RK

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