Insekten im Röntgenblick
Neuer Computertomograph erreicht fast die Auflösung eines Rasterelektronenmikroskops.
Computertomographie ist in Krankenhäusern eine Standardprozedur. Für extrem kleine Untersuchungsgegenstände war sie aber bislang nicht geeignet. Nun entwickelte ein Team der Technischen Universität München ein Nano-CT-Gerät, das dreidimensionale Röntgenbilder mit besonders hoher Auflösung liefert. Erste Test-Anwendung: Gemeinsam mit Kollegen der Universität Kassel und des Helmholtz Zentrums Geesthacht haben die Forscher den Bewegungsapparat der urtümlichen Stummelfüßer analysiert.
Abb.: Nano-CT-Aufnahmen eines Stummelfüßer-Beins in der Außenansicht (li.) und mit Blick ins Gewebe (re.) mit eingefärbten Muskelfasern (Bild: Müller, Pfeiffer, TUM / PNAS)
Bei einer CT-Analyse wird der Untersuchungsgegenstand mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. Ein Detektor misst aus verschiedenen Winkeln, wieviel Strahlung jeweils absorbiert wird. Aus mehreren solcher Messungen lassen sich dreidimensionale Bilder des Körperinneren errechnen. Bei Objekten, die so klein sind, wie die 0,4 Millimeter langen Beinchen von Stummelfüßern, stieß das Verfahren allerdings bislang an seine Grenzen. Für hochaufgelöste Aufnahmen wurde Strahlung aus Teilchenbeschleunigern benötigt.
Das neue Nano-CT-System basiert auf einer eigens entwickelten Röntgenquelle, die einen besonders fokussierten Strahl erzeugt, und verzichtet auf Röntgenoptiken. In Kombination mit einem extrem rauscharmen Detektor liefert das Gerät Bilder, die fast die Auflösung eines Rasterelektronenmikroskops erreichen, erfasst aber auch Strukturen unter der Oberfläche. „Unser System bietet entscheidende Vorteile gegenüber CTs mit Röntgenoptiken“, sagt Mark Müller. „Wir können Tomographien von wesentlich größeren Proben durchführen und sind zudem flexibler in Bezug auf die zu untersuchenden Materialien.“
Diese Eigenschaften kamen dem Team um Georg Mayer, Leiter des Fachgebiets Zoologie der Universität Kassel, gelegen. Die Wissenschaftler erforschen die evolutionäre Entwicklung von Gliederfüßern (Arthropoden), zu denen etwa Insekten, Spinnen und Krebse gehören. Ihr aktueller Forschungsgegenstand sind allerdings die nächsten Verwandten der Arthropoden: die Stummelfüßer (Onychophoren), die man sich grob als Würmer mit Beinen vorstellen kann. Je nach Art werden sie bis zu zwanzig Zentimeter lang. Wie diese urtümlichen Tiere zoologisch genau einzuordnen sind, ist jedoch nach wie vor umstritten, vermutlich haben die Gliederfüßer und sie gemeinsame Vorfahren.
„Im Gegensatz zu den Arthropoden besitzen Onychophoren ungegliederte Extremitäten, wie sie auch bei Fossilien ihrer mutmaßlichen gemeinsamen Vorfahren zu finden sind“, sagt Georg Mayer. „Um zu klären, wie die gegliederten Extremitäten der Arthropoden entstanden sind, spielt die Untersuchung der funktionellen Anatomie der Beine der Stummelfüßer eine zentrale Rolle.“ Anhand der Nano-CT-Aufnahmen, lassen sich die einzelnen Muskelstränge eines Stummelfüßer-Beinchens untersuchen. Detaillierte Ergebnisse will das Team aus Kassel in den kommenden Monaten veröffentlichen. Sicher ist aber bereits, dass das Nano-CT-Gerät den ersten Praxistest bestanden hat.
„Unser Ziel bei der Entwicklung des Nano-CT-Systems ist es nicht nur, biologische Proben wie das Stummelfüßer-Bein untersuchen zu können“, sagt Franz Pfeiffer, Professor für Biomedizinische Physik an der TUM. „In Zukunft sollen mit dieser Technik auch biomedizinische Untersuchungen möglich werden. So könnte man beispielsweise Gewebeproben untersuchen, um zu prüfen, ob es sich bei ihnen um bösartige Tumore handelt. Ein zerstörungsfreier und dreidimensionaler Blick in Gewebe mit einer Auflösung, wie sie die Nano-CT ermöglicht, kann zudem neue Einsichten in die mikroskopische Entstehung von Volkskrankheiten wie Krebs liefern.“
TUM / JOL