14.02.2019

Klein, aber oho!

Bahnbrechende Erkenntnisse stammen vor allem von kleineren Arbeitsgruppen.

Die Antworten auf große Fragen in der Wissenschaft verlangen nach großen Arbeits­gruppen. Sowohl die Suche nach dem Higgs-Boson als auch die mit einer Milliarde Euro geförderte Graphen-Forschung belegen diesen Trend zu personal­starken Kollaborationen. Doch bahnbrechende Resultate auf allen Wissens­gebieten von der Physik über Informatik und Medizin bis zu den Sozial­wissenschaften stammen vor allem von kleinen Arbeits­gruppen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der University of Chicago und der North­western University in den USA. Ihre Analyse hat das Potenzial, die Bewertung wissenschaft­licher Arbeit und die damit verknüpfte Vergabe von Förder­geldern völlig neu zu gestalten.

Bild: Sehr viele Forscher zählen zur CMS-Kollaboration am CERN. Doch kleinere...
Bild: Sehr viele Forscher zählen zur CMS-Kollaboration am CERN. Doch kleinere Arbeitsgruppen haben die besseren Chancen, bahnbrechende Ergebnisse zu liefern. (Bild: CERN)

„Große Arbeitsgruppen agieren fast immer konservativer“, sagt James Evans, Direktor des Knowledge Lab an der University of Chicago. Ihre Arbeit sei vergleichbar mit Fort­setzungen eines Block­busters – sehr reaktiv ohne nennens­wertes Risiko. Kleine Gruppen dagegen seien mutiger und fokus­sierten sich eher auf ungewöhnliche, neuartige Ansätze. Das ist öfter mit dem Risiko verbunden, dass ihre Ergebnisse lange brauchen, um von Kollegen wahrgenommen und anerkannt zu werden. Aber dadurch eröffnen sie bisher unbekannte Forschungs­wege und legen eher die Grundlage für neue Entwicklungen.

Für diese Analyse untersuchten Evans und Kollegen mehr als 65 Millionen wissen­schaftliche Veröffent­lichungen, Patente und Software-Entwicklungen aus dem Zeitraum von 1954 bis 2014. Dabei griffen sie nicht auf die heute üblichen Bewertungs­faktoren wie Impact-Faktor einer Zeitschrift oder die reine Anzahl von Zitierungen wieder. Vielmehr nutzten sie eine neue, etwas komplexere Bewertungs­methode, um den disruptiven Effekt der Arbeiten – also dessen bahn­brechendenden Charakter in einem Forschungsfeld – zu bestimmen.

Bei dieser Methode analysierten die Forscher sowohl Häufigkeit als auch die Qualität der Zitierungen eines Artikels. Wenn ein Artikel zitiert wird und zugleich weitere Quellen aus der Zitat­liste desselben Artikels genannt werden, handelt es sich eher um eine konsoli­dierende Folgearbeit zu einem Thema. Wird dagegen nur der Artikel selbst zitiert und keine weitere Quelle aus der Zitatliste übernommen, gilt die Arbeit als disruptiv und bahnbrechend. Denn handelt es sich um einen grundlegenden Artikel, der erstmals einen völlig neuen Forschungsansatz beschreibt, genügt es, nur genau diese Quelle zu zitieren. Nach diesem relativ einfachem Prinzip ordneten Evans und Kollegen jeder Veröffentlichung einen Wert zwischen -1 und 1 zu. Je höher der Wert lag, desto disruptiver der Artikel.

Mit insgesamt fünf voneinander unabhängigen Methoden überprüften die Forscher, ob diese Artikel-Bewertung tatsächlich tragbare und plausible Ergebnisse liefern konnte. So rangierten hunderte Paper, auf denen Nobelpreise beruhten, klar bei hohen disruptiven Werten. Zudem befragten die Forscher Experten verschiedener Disziplinen nach den wichtigsten Veröffent­lichungen in ihrem Forschungs­feld. Genannt wurden etwa die Fraktal-Idee von Benoît Mandelbrot, die Energie­verteilung in Strahlungs­spektren von Max Planck oder die Helix-Struktur des Erbguts von Francis Watson und James Crick. Alle diese Artikel wiesen sehr hohe Werte für ihren disruptiven Charakter auf. Zuletzt analysierten Evans und Kollegen sogar die Wortwahl in Titel und Abstract eines Artikels. Verben wie „introduce“, „advance“ oder „change“ fanden sich gehäuft in disruptiven Artikeln, „demonstrate“, „confirm“ oder „endorse“ dagegen in Arbeiten, die eine grund­legende Idee aufgriffen, bestätigten und weiter entwickelten.

Anhand dieser Skala betrachteten die Forscher im Detail die Anzahl der jeweils beteiligten Autoren. Bei einem bis zehn Autoren sank der disruptive Wert im Durchschnitt aller Artikel mit jedem weiteren Autor ab. Auch wenn gleiche Autoren von kleinen in größere Gruppen wechselten, wirkte sich dieser Effekt aus. Mit diesen Wechseln sank der disruptive Wert der Veröffent­lichungen mit hoher statistischer Signifikanz.

„Aber insgesamt sind sowohl kleine wie auch große Arbeitsgruppen essentiell für den wissen­schaftlichen Fortschritt“, betont Evans. Kleine Gruppen legen die Grundlagen für eine neue Denk­richtung oder einen neuen Forschungs­ansatz. Große Gruppen treiben diese Idee aber deutlich weiter und entwickeln effiziente und konkrete Anwendungen. Kleine Gruppen greifen dabei eher ältere, vergessene Ideen auf und stellen neue Fragen. Größere Gruppen dagegen fokussieren sich auf bekannte Ansätze, entwickeln diese weiter und stabilisieren etablierte Annahmen.

Auf der Basis dieser Studie schlagen Evans und Kollegen vor, den derzeitigen Trend zur Förderung größerer Gruppen zu überdenken. So sei es sinnvoll, mehr kleine und voneinander unabhängige Arbeits­gruppen zu fördern, um bahn­brechende, völlig neue Forschungsansätze zu erhalten. Diese können dann von größeren Gruppen aufgegriffen und weiter entwickelt werden.

Jan Oliver Löfken

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