27.01.2020

Kosmische Zerfälle

Vor 50 Jahren starb die österreichische Physikerin Marietta Blau, eine Wegbereiterin der photographischen Methode in der Kernphysik.

Die wichtigste Entdeckung der österreichischen Physikerin Marietta Blau fiel in einen politisch äußerst ungünstigen Zeitraum. 1937, ein Jahr bevor sie wegen ihrer jüdischen Herkunft emigrieren musste, gelang ihr der Nachweis radioaktiver Zerfallsprodukte aus der kosmischen Höhenstrahlung mit Photoemulsionen. Die bis heute kaum bekannte Physikerin starb vor 50 Jahren am 27. Januar 1970.

Marietta Blau, 1894 in Wien geboren, gehörte dem gehobenen jüdischen Mittelstand an. Nach dem Besuch des Privat-Mädchen-Obergymnasiums schrieb sie sich 1914 an der Universität Wien für Physik- und Mathematik ein. Bald darauf brach der Erste Weltkrieg aus, was einen sprunghaften Anstieg des Frauenanteils an der Universität zur Folge hatte.

Marietta Blau (Foto: Eva Connors; Bildarchiv, Zentralbibliothek für Physik in...
Marietta Blau (Foto: Eva Connors; Bildarchiv, Zentralbibliothek für Physik in Wien)

Zuerst interessierte sich Marietta Blau für Röntgenstrahlen. In ihrer Dissertation, die sie 1919 mit Auszeichnung bestand, untersuchte sie allerdings die Absorption divergenter Gamma-Strahlung. Anschließend machte sie ein mehrmonatiges Praktikum am Zentralröntgeninstitut des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. 1921 folgte eine Anstellung bei der Berliner Röntgenröhrenfabrik Fürstenau, Eppens & Co., die sie aber nach einem halben Jahr aufgab, um Assistentin bei Friedrich Dessauer an der Universität Frankfurt zu werden. Das von Dessauer neu gegründete „Institut für Physikalische Grundlagen der Medizin“ widmete sich der Entwicklung von Röntgengeräten, erforschte ihre medizinische Anwendung und bildete Ärzte in der Röntgentechnik aus.

Weil ihre inzwischen verwitwete Mutter schwer erkrankte, kehrte die Physikerin nach knapp zwei Jahren in Frankfurt in ihre Heimatstadt zurück, wo sie eine Stelle als unbezahlte Assistentin am Wiener Radiuminstitut annahm. Zu dieser Zeit arbeitete der überwiegende Teil der 172 Wissenschaftler wegen der Unterfinanzierung des Instituts unentgeltlich. Frauen hatten damit bessere Chancen, in die Forschung einbezogen zu werden. Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter des Instituts unter der Leitung von Stefan Meyer war weiblich. Die Attraktivität des Radioaktivitätsforschung dürfte auch auf das Vorbild der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie zurückzuführen sein.

Blau, die Stefan Meyer schon aus dem Studium kannte, widmete sich von nun an der Aufgabe, die Zerfallsprodukte mit Photoemulsionen aufzeichnen. Zu dieser Zeit war es üblich, Teilchen mit der fehleranfälligen Szintillationsmethode nachzuweisen. Im dunklen Labor beobachtete man durch ein Mikroskop schwache Lichtblitze auf einem Zinkblendeschirm. Das war ermüdend und führte oft zu tendenziöser Zählung, sodass Ernest Rutherford im Dezember 1927 seinen Mitarbeiter James Chadwick nach Wien schickte, um Gründe für die abweichende Ergebnisse seines Labors zu ermitteln.

Marietta Blau nutzte den Effekt, dass geladene Teilchen Photoemulsionen ähnlich schwärzen wie Licht. Sie arbeitete zuerst mit kommerziellen Emulsionen und optimierte sie dann zusammen mit dem Hersteller, indem sie die Dichte und Größe der Silberbromid-Kügelchen variierte. Gemeinsam mit ihrer Doktorandin und späteren Mitarbeiterin Herta Wambacher konnte sie zwischen 1923 und 1937 die Spuren von Alphateilchen und schnellen Protonen aufzeichnen. 1927 ermittelte sie die Energie der Protonen anhand der Spurlänge. Um auch lange Teilchenspuren aufzeichnen zu können, bat sie die Firma Ilford, dickere Emulsionsschichten herzustellen. 1932, als Chadwick die Entdeckung des Neutrons bekannt gab, konnten die beiden Forscherinnen dessen Energie anhand der Rückstoß-Protonen in Wasserstoff-reichen Emulsionen bestimmen.

1936 begann Marietta Blau und Herta Wambacher mit ihren Untersuchungen der kosmischen Höhenstrahlung. In der Beobachtungsstation auf dem Hafelekar bei Innsbruck exponierten sie in 2300 Metern Höhe gestapelte Emulsionsplatten. Zu ihrer Überraschung entdeckten sie darin nicht nur Teilchenspuren, sondern „Zertrümmerungssterne“  – sternförmig von einem Punkt ausgehende Spuren mehrerer Teilchen aus einem Zerfall. Mit ihrer Publikation erregten die beiden Wiener Forscherinnen große Aufmerksamkeit. Wambacher drängte, sich bei der Aufklärung des Vorgangs nicht von anderen zuvorkommen zu lassen. Ihre Pläne, weitere Emulsionen auf Bergstationen und bei Ballonflügen zu exponieren, wurden jedoch durch die politische Entwicklung zunichte gemacht.

Durch einen glücklichen Zufall war Marietta Blau im März 1938 zu einem Forschungsaufenthalt in Oslo, als die Nationalsozialisten den „Anschluss“ Österreichs deklarierten. Auf Vermittlung Albert Einsteins erhielt sie einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule in Mexico-City. Ihre Experimente mit Photoemulsionen konnte sie in Mexico nicht fortsetzen. Aufbauend auf ihren Arbeiten untersuchte der Brite Cecil Powell die kosmische Höhenstrahlung und entdeckte dabei die π-Mesonen. Dafür wurde er 1950 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. In diesem Jahr waren Blau und Wambacher ebenfalls nominiert worden.

Blau konnte 1944 in die USA einwandern, wo sie bessere Arbeitsbedingungen hatte. Kurz zuvor war ihre Mutter, die sie ins Exil begleitet hatte, gestorben. Die Physikerin arbeitete zunächst bei der Canadian Radium and Uranium Corporation und ab 1948 an der Columbia University in New York. 1950 wechselte zum Brookhaven National Laboratory. An den dortigen Beschleunigern untersuchte sie Reaktionen hochenergetischer Protonen und Mesonen mit Emulsionen. Sie konnte erstmals nachweisen, dass Mesonen durch Mesonen erzeugt werden.

1956, im Alter von 62 Jahren, erhielt Blau schließlich eine Professur an der Universität Miami, Florida. 1960 kehrte sie nach Wien zurück, wo sie bis 1964 unentgeltlich das Radiuminstitut leitete. Dort beschäftigte sie sich mit der Auswertung photographischer Platten vom CERN, dessen erster Beschleuniger 1957 den Betrieb aufgenommen hatte. Marietta Blau starb im Alter von 76 Jahren an Lungenkrebs. Ihre Zeitgenossen erinnern sich an sie als wissenschaftlich selbstbewusst, privat aber schüchtern und bescheiden.

Anne Hardy

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