26.10.2011

Kupfer und Gurkensalat

Vor 150 Jahren stellte Philipp Reis erstmals sein Telefon der Öffentlichkeit vor.

Die Erfindung des Telefons hat viele Väter, den Italoamerikaner Antonio Meucci, den französischen Ingenieur Charles Boursel, den Engländer Alexander Graham Bell, den amerikanischen Erfinder Elisha Gray und nicht zuletzt den deutschen Lehrer Philipp Reis. Ihm gebührt sicherlich das Verdienst, das Prinzip des Telefonierens erstmals überzeugend öffentlich vorgestellt zu haben.

Philipp Reis wurde 1834 in Gelnhausen geboren. Schon früh wandte er sich seinem eigentlichen Interesse zu: den Naturwissenschaften. Als Lehrer für Physik, Mathematik, Chemie und Französisch in Friedrichsdorf konnte er sich ein Laboratorium und ein physikalisches Kabinett einrichten.

Neun Jahre lang befasste er sich mit der Reproduktion von Tönen durch den galvanischen Strom und entwickelte 1860 für den Unterricht ein hölzernes Ohrmodell: Als Trommelfell benutzte er ein Stück Schweinedarm, auf das er einen feinen Platinstreifen als Gehörknöchelchen klebte. Dieser Streifen berührte im ruhenden Zustand leicht das „Hämmerchen“, ein zweites Platinstück, das in der künstlichen Ohrmuschel befestigt war und über eine Batterie mit Gleichstrom versorgt wurde. Wenn man nun den Schweinedarm als Membrane durch Schallwellen in Schwingungen versetzte, wurden die beiden Platinkontakte durch die Schallwellen mehr oder weniger zusammengedrückt. Die so von dem künstlichen Ohr oder „Geber“ ausgesandten Stromimpulse wurden zum „Empfänger“ übertragen, einer Kupferdrahtspule, die um eine Stricknadel als Eisenkern gewickelt war. Die bewegte Nadel wandelte die Impulse wieder in Schallwellen um.

Zur Verstärkung benutzte Reis anfangs eine Geige, später ein Holzkästchen als Resonanzboden, auf dem er die Spule befestigte. Der fertige Apparat diente längst nicht mehr nur als Ohrmodell im Unterricht, sondern konnte „auch Töne aller Art durch den galvanischen Strom in beliebiger Entfernung reproducieren“.

Empfänger und Geber des von Philipp Reis entwickelten Telefons
Empfänger und Geber des von Philipp Reis entwickelten Telefons

Seine Erfindung stellte Reis am 26. Oktober 1861 in einem Vortrag vor dem Physikalischen Verein in Frankfurt vor, dem Reis als Mitglied angehörte. Die Kombination aus Geber und Empfänger nannte er „Telephon“, angelehnt an den Begriff „Telegraph“. Reis wollte beweisen, dass seine Erfindung auch zur Übertragung von Sprache taugt. Um nicht in den Verdacht zu geraten, mit auswendig gelernten Texten zu schummeln, veranlasste Reis seinen Schwager am „Geber“ einige völlig unsinnige Sätze zu sagen, wie: „Die Sonne ist von Kupfer“ und „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“. Reis verstand zwar nur „Das Pferd frisst“ und „Die Sonne ist aus Zucker“, hatte aber das Publikum dennoch überzeugt. Um seinen Apparat international bekannt zu machen, ließ er ihn von einer feinmechanischen Werkstatt in Serie bauen und weltweit vertreiben. 1863 wurde die Apparatur sogar dem staunenden Kaiser von Österreich vorgeführt.

Für den Empfänger verwendete Reis das Prinzip der Magnetostriktion: Durch Veränderung des Magnetfelds der Kupferspule änderte sich die Länge der Nadel, die dadurch den Resonanzkasten zum Schwingen brachte. Zwischendurch hatte Reis auch einen elektromagnetischen Empfänger verwendet; jedoch nicht weiter damit experimentiert. Das war jedoch die Grundlage für den Erfolg von Alexander Graham Bell. Bell verwendete nicht nur einen elektromagnetischen Empfänger sondern auch einen elektromagnetischen Geber, wodurch er auch Sprache deutlich übertragen konnte. Der Geber von Reis war hier unterlegen, denn die Membran war zu empfindlich gegen Temperaturänderung, Feuchtigkeit und Alterung.

Reis war auch kein Glück beim Veröffentlichen seiner Erfindung beschieden. Der Herausgeber der „Annalen der Physik und Chemie“, Johann Christian Poggendorff, lehnte die Abhandlung von Reis ab und besann sich erst 1864 eines Besseren. Doch nun gab ihm Reis einen Korb: „Jetzt will ich den Aufsatz nicht schicken. Mein Apparat wird auch ohne Beschreibung in den Annalen bekanntwerden“. Den technischen Durchbruch hat Reis nicht mehr erleben können. Er starb am 14. Januar 1874,  kurz nach seinem 40. Geburtstag, an den Folgen einer Lungenkrankheit, die er sich durch das Einatmen giftiger Säuredämpfe beim Experimentieren zugezogen hatte.

Alexander Graham Bell meldete am 14. Januar 1876 sein Patent für das Telefon an, zwei Stunden vor dem amerikanischen Erfinder Elisha Gray, der somit leer ausging. Am 26. Oktober 1877, auf den Tag genau 16 Jahre nach der ersten öffentlichen Vorführung des Telefons von Reis, begann in Deutschland die Ära der Bell-Telefone. Noch viele technische Verbesserungen waren nötig, bis das Telefonieren schnell, bequem und weltumspannend möglich war.

Als 2002 zwischen Stuttgart und Berlin erstmals eine Datenmenge von 1,2 Terabit pro Sekunde über Standardglasfaserkabel übertragen wurde, war die erste übertragene Information der berühmte Satz von 1861: „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.“ In der Zeit, die man zum Aussprechen des Satzes benötigt, hätte man nun auch den Inhalt von mehreren Tausend Lexikonbänden übertragen können. Das hätte Philipp Reis sicher verblüfft. Genauso wie die Tatsache, dass heutige Mobiltelefone in keinster Weise mehr reine Telefone sind, sondern tragbare Computer, mit denen man auch telefonieren kann.

Alexander Pawlak / Stadt Frankfurt / Physikalischer Verein

 

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