Lassen sich Gravitinos in Untergrund-Detektoren nachweisen?

Interdisziplinärer Ansatz verbindet Elementarteilchenphysik mit Methoden der modernen Quantenchemie.

Es liegen zahlreiche Vorschläge zur Erklärung Dunkler Materie auf dem Tisch, die von neuartigen Elementarteilchen bis zu fundamentalen Abänderungen der Einstein’schen Gravitationstheorie reichen. Von Seiten der Teilchenphysik werden hier insbesondere supersymmetrische Teilchen, ultraleichte Axion-artige Teilchen und die sehr viel schwereren weakly interacting massive particles als mögliche Kandidaten diskutiert. Aber weder der Large Hadron Collider noch andere Experimente haben in der vierzig Jahre währenden Suche keinerlei Hinweise auf solche Teilchen erbracht. Ebenso wenig haben vorgeschlagene Modifikationen der Einstein-Theorie zu befriedigenden Antworten geführt. Führt ein neuer Vorschlag zum direkten Nachweis superschwerer Gravitinos in Untergrund-Detektoren?

Wenn ein superschweres, geladenes Gravitino die Szintillatorflüssigkeit durchquert, entstehen Photonen, die ein charakteristisches „Glühen” entlang der Trajektorie des Gravitinos erzeugen. Diese Spur sollte der Detektor nachweisen können.
Wenn ein superschweres, geladenes Gravitino die Szintillatorflüssigkeit durchquert, entstehen Photonen, die ein charakteristisches „Glühen” entlang der Trajektorie des Gravitinos erzeugen. Diese Spur sollte der Detektor nachweisen können.
Quelle: K. Beil, Formgeber/Milde Science Communication

In einer früheren Studie hatten Hermann Nicolai vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam und Krzysztof Meissner von der Fakultät für Physik der Universität Warschau bereits superschwere Gravitinos als mögliche Kandidaten für Dunkle Materie postuliert und Methoden vorgeschlagen, um in geplanten Untergrund­experimenten nach stabilen super­schweren Teilchen mit elektrischer Ladung zu suchen. Die jetzt publizierte Arbeit beschreibt, wie große unter­irdische Neutrino-Detek­toren diese Teilchen anhand unver­wechsel­barer Spuren nach­weisen könnten. Darin präsentieren die Forschenden eine detaillierte Analyse der spezifi­schen Signaturen, die von Gravitinos verursachte Ereignisse im Jiangmen Under­ground Neutrino Observa­tory (JUNO) und in zukünftigen Flüssig-Argon-Detektoren wie dem Deep Under­ground Neutrino Experiment (DUNE) hervorrufen. Die nun vorliegende Analyse verbindet zwei sehr unterschiedliche Forschungs­bereiche: Elementar­teilchen­physik und die Suche nach einer fundamen­talen Theorie einer­seits, und anderer­seits Methoden der modernen Quanten­chemie, die von Adrianna Kruk und Michal Lesiuk von der Fakultät für Chemie der Univers­ität Warschau zu dieser Kollabo­ration beigesteuert wurden.

Der Vorschlag von Nicolai und Meissner kann insbe­sondere das Fermion-Spektrum des Standard­modells der Teilchen­physik mit drei Generationen von Quarks und Leptonen erklären könnten. Super­schwere Gravitinos (vom Spin 3/2) wären in diesem Modell die einzigen neuen Fermionen jenseits des Standardmodells. Diese noch hypothe­tischen Elementar­teilchen unterscheiden sich erheblich von allen bisher vorgeschla­genen Kandidaten. So trägt ein Gravitino frak­tionelle elektrische Ladung und ist daher dank der Wechsel­wirkung mit normaler Materie im Prinzip direkt nach­weisbar. Aller­dings wird die Suche enorm erschwert durch seine extreme Selten­heit –nach vorläufigen Abschätzungen im Mittel nur ein Gravitino auf 10.000 km3 – weshalb mit bislang verfüg­baren Detek­toren keine Aussicht auf einen Nachweis besteht. Mit der Inbetrieb­nahme neuer riesiger Untergrund-Detektoren eröffnen sich jetzt jedoch Möglich­keiten, nach diesen Teilchen zu suchen.

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Alexander Fieguth, Rafael F. Lang, Christian Weinheimer und Christian Wittweg • 3/2024 • Seite 40

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„Die von uns vorgeschlagene Beobachtungs­methode für super­schwere Gravitinos basiert nicht – wie man eigentlich erwarten würde – auf Ionisation, sondern auf einer Art „Glühen”. Dieses stammt von Photonen, die während des Durch­gangs solcher Teilchen durch die Nachweis­flüssig­keit in großen Neutrino-Observa­torien erzeugt werden sollten“, sagt Nicolai. „Dieses Glühen kann nach unseren Berech­nungen einige Mikro­sekunden bis zu einigen hundert Mikro­sekunden andauern und würde eine charakte­ristische Spur durch den Detektor für die von uns postu­lierten super­schweren Gravitinos erzeugen.“

Unter allen gegen­wärtig existierenden Detektoren scheint das chinesische JUNO-Unter­grund-Observa­torium prädestiniert für eine solche Suche. Es soll die Eigen­schaften von Neutrinos genauer als bisher bekannt bestimmen, außerdem Neutrinos aus kosmischen, atmosphärischen und geologischen Quellen beobachten und nach neuen Teilchen jenseits des Standard­modells suchen. Neutrinos wechselwirken nicht mit elektro­magneti­schen Feldern und reagieren auch mit Materie nur selten. Um überhaupt Reaktionen beobachten zu können, müssen Neutrino-Detektoren deshalb extrem große Volumina haben – im Fall des JUNO-Detektors handelt es sich um 20.000 Tonnen einer orga­nischen, mineralölähnlichen Flüssigkeit in einem kugel­förmigen Gefäß von zirka vierzig Metern Durchmesser. Die Suche nach Gravitinos könnte parallel und unabhängig von Neutrino-Reaktionen erfolgen. Die Quanten­chemie des Szintil­lator­öls und seine spezifischen Eigen­schaften spielen eine zentrale Rolle bei dem vorher­gesagten Effekt. JUNO soll in der zweiten Jahres­hälfte von 2025 mit den Messungen beginnen.

„Der Nachweis der von uns vorhergesagten super­schweren Gravitinos wäre auch ein großer Fort­schritt bei der Suche nach einer verein­heit­lichten Theorie“, sagt Nicolai. „Da für die Gravitinos Massen in der Größen­ordnung der Planck-Masse vorhergesagt werden, wäre eine Detektion ein erster direkter Hinweis auf Physik nahe der Planck-Skala, und könnte damit wert­volle experimen­telle Hinweise auf eine Verein­heit­lichung der Natur­kräfte liefern – Hinweise, die es in dieser Form bisher nicht gibt.“ [AEI / dre]

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