15.07.2022

Leon Lederman: Myonen, Neutrinos und Ypsilon

Leon Max Lederman, der für die Entdeckung des Myon-Neutrinos 1988 den Physik-Nobelpreis erhielt, wäre am 15. Juli 100 Jahre alt geworden.

Leon Lederman wurde als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine am 15. Juli 1922 in New York geboren. Sein Vater betrieb eine Wäscherei in der Bronx, die zu dieser Zeit ein ländlicher Vorort von New York war. 1943 schloss Leon das City College in New York mit dem Bachelor in Chemie ab und trat in die US Army ein. 

Im September 1946 kehrte er von Europa nach Amerika zurück und schrieb sich für das Graduiertenprogramm in Physik an der Columbia University ein, dass unter der Leitung von Isidor Rabi stand. Am Physikalischen Institut arbeiteten zu dieser Zeit bedeutende Physiker wie Charles Townsend, Willis Lamb und Hideki Yukawa. Die Columbia University hatte mit dem Bau eines 385 MeV Synchrozyklotrons am NEVIS Laboratory in New York begonnen. Lederman sollte während seiner Doktorarbeit eine Wilsonsche Nebelkammer für den Teilchennachweis am Zyklotron bauen. Da dies ein neues Forschungsfeld an der Columbia University war, engagierte Rabi als Experten Guilberto Bernardini aus Rom, John Tinlot vom MIT und später Jack Steinberger aus Berkeley.

Leon Lederman im Jahr 2007 (Foto: FNAL)
Leon Lederman im Jahr 2007 (Foto: FNAL)

Nach seiner Promotion 1951 blieb Lederman als Assistant Professor an der Columbia University, wo er weiter mit Bernardini und Tinlot zusammenarbeitete. 1957 machte er mit Richard Garwin und Marcel Weinrich ein Experiment, das die Paritätsverletzung in der schwachen Wechselwirkung bestätigte. Garwin kam die Idee, als er von dem bahnbrechenden Experiment von Chien-Shiung Wu hörte. Innerhalb nur eines Monats gelang Lederman, Garwin und Weinrich der Nachweis für die Paritätsverletzung durch ein einfacheres Experiment, in dem sie den Zerfall polarisierter Myonen untersuchten und feststellten, dass die Winkelverteilung der entstehenden Elektronen nicht spiegelsymmetrisch war. 

Lederman erinnert sich genau an die entscheidende Nachschicht am Brookhaven National Laboratory. „Es war etwa drei Uhr morgens und ich prüfte alle Instrumente, als mir auffiel, dass einer der Zähler sich sehr merkwürdig verhielt. Nun überprüfte ich alle eingehenden Signale und plötzlich bildeten sie das Muster einer Spur. Ich war ganz außer Atem und begann zu schwitzen, als ich erkannte: Wir hatten eine tiefgreifende Entdeckung gemacht. Ich ging in meinem Kopf alle Implikationen durch und mir wurde klar, dass Physik von nun an auf eine andere Weise gelehrt werden musste.“ Das Trio war mit der Auswertung seiner Daten eher fertig als die Gruppe von Wu, ließ ihr aber bei der Veröffentlichung den Vortritt. Chen Ning Yang und Tsung Dao Lee, die Theoretiker, die das Experiment von Wu vorgeschlagen hatten, erhielten noch 1957 den Physik-Nobelpreis.

Ein Jahr später übernahm Lederman eine Professur an der Columbia University. Sein erstes Sabbatical nutzte er, um am CERN das „g-2“-Experiment aufzubauen, das Abweichungen des Landé-Faktors vom Wert 2 messen sollte. Das Experiment wurde über 19 Jahre fortgeführt und es war der Beginn für weitere Kooperationen amerikanischer Teilchenphysiker mit dem CERN. 1961 wurde Lederman Direktor der Nevis-Labs. Er blieb dort bis 1978 und übernahm 1979 die Leitung des Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia, Illinois, wo er den Bau des weltweit ersten supraleitenden Synchrotrons leitete. Das „Tevatron“ war jahrelang der weltweit leistungsfähigste Beschleuniger.

1962 machte Leon Lederman zusammen mit Melvin Schwartz und Jack Steinberger seine wichtigste Entdeckung. Am Brookhaven National Laboratory gelang es den Dreien, erstmals einen Neutrino-Strahl zu erzeugen, in dem sie ein vom Elektron-Neutrino verschiedenes Neutrino, das Myon-Neutrino, nachweisen konnten. Damit war der Nachweis erbracht, dass nicht nur das Elektron ein Neutrino hatte, sondern auch das etwa 200-mal schwerere Myon. Die Leptonen ließ sich demnach in Familien unterteilen, so wie es heute im Standardmodell der Elementarteilchen angenommen wird. 1988 erhielten Lederman, Schwartz und Steinberger gemeinsam den Physik-Nobelpreis.

Lederman entdeckte außerdem das Ypsilon-Meson, das als gebundener Zustand eines Quark-Antiquark-Paares interpretiert wurde: dem bis dahin unbekannten schweren Bottom-Quark und -Antiquark. Seine Methode kommt noch heute zum Einsatz, um Neutrinos erzeugen: Fermilabs „Long Base Line Neutrino Facilty“ schickt dabei einen Neutrinostrahl über 800 Meilen durch die Erde zu einem unterirdischen Detektor (Deep Underground  Neutrino Experiment, DUNE). Ein weiterer Verdienst von Lederman ist es, Fragestellungen der Teilchenphysik und Kosmologie miteinander verbunden zu haben.

Lederman nahm 1989, im Alter von 67 Jahren, seinen Abschied vom Fermilab und wurde Physikprofessor an der University of Chicago. In seinen letzten Jahren engagierte er sich verstärkt als Wissenschaftskommunikator. Bereits als Direktor des Fermilab hatte er die „Saturday Morning Physics“ für Laien initiiert. Er half bei der Organisation der „Teachers’ Academy for Mathematics and Science”, die 20.000 Lehrer aus Chicago ausbildete. 1991 wurde Lederman Präsident der „American Association for the Advancement of Science”.

2006 erschien sein Buch „The God particle. If the Universe is the Answer, What is the Question?“, das er schrieb, um seine Landsleute für den Bau des „Superconducting Super Colliders“ zu interessieren. Damit prägte er den Spitznamen „Gottesteilchen“ für das Higgs-Boson, obwohl er sich selbst als Atheist bezeichnete.

Im Alter von 89 Jahren begann er an Demenz zu leiden. Er zog sich mit seiner zweiten Frau auf eine Farm in Idaho zurück. 2018 starb er im Alter von 96 Jahren. 

Ledermans originelle und humorvolle Art lässt sich in seinen Vorträgen erleben, die als Videos im Web verfügbar sind (Links siehe unten). Dort berichtet er etwa von seiner Begegnung mit Albert Einstein oder wie er seinen Kollegen Guilberto Bernardini zunächst als „singenden Hausmeister“ erlebte, bevor er ihn richtig kennenlernte. Für Lederman erwies sich die Zeit mit Bernardini als prägend: „Er hatte diesen Sinn für das Wunderbare, und ich begann, Physik in einem neuen Licht zu betrachten, oder vielleicht auch in einem alten, das ich vergessen hatte. So wurde ich langsam besser.“

Anne Hardy


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