Mehr Geothermie für die Wärmewende
Neue Roadmap zeigt großes Marktpotenzial in Deutschland.
Die Hälfte der kommunalen Wärme soll bis 2030 aus klimaneutralen Quellen kommen. Zu diesem Ziel der Regierung kann Tiefe Geothermie einen großen Beitrag leisten, weil sie witterungsunabhängig lokal Energie liefert und wenig Fläche in Siedlungen belegt. Eine Roadmap von Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft zeigt, dass tiefe Geothermie ein Marktpotenzial in Deutschland besitzt, welches Ausbauziele von mehr als einem Viertel des jährlichen deutschen Wärmebedarfes von mehr als 300 Terawattstunden eröffnet. Das Papier gibt Handlungsempfehlungen: So brauche es klare Ausbauziele, großflächige, geologische Erkundung, Investitionen in Schlüsseltechnologien und Fachkräfteaufbau.
„Ohne Geothermie wird eine Dekarbonisierung des Wärmesektors in Deutschland nicht möglich sein. Die natürlichen Wärmepotenziale im Untergrund sind hierfür in den meisten urbanen Räumen vorhanden. Der nachhaltige Ausbau von Geothermie ist eine Investition in die Städte unserer Zukunft“, sagt Ingo Sass, Leiter der Sektion „Geoenergie“ am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum GFZ. „Die Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft tragen mit ihren strategisch ausgerichteten Arbeitsprogrammen und ihren einzigartigen Forschungsinfrastrukturen wie beispielsweise dem zukünftigen Untertage-Forschungslabor GeoLab maßgeblich zum Gelingen der Transformation bei“, so Sass weiter.
„Um das Ausbauziel von mehr als 300 Terawattstunden erreichen zu können, brauchen wir Technologieentwicklung“, sagt Thomas Kohl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Koordinator des GeoLab. „Die Anwendung und Entwicklung modernster Monitoring- und Analysewerkzeuge im GeoLaB werden die Erkenntnisse liefern, die für eine sichere und ökologisch nachhaltige Nutzung der Geothermie und weiterer unterirdischer Ressourcen von großer Bedeutung sind. Ganz wesentlich ist dabei auch die transparente Interaktion mit der Öffentlichkeit und den Entscheidungsträgern“, erläutert Kohl. „Untertage-Forschungslabore wie das GeoLab besitzen Sass zufolge eine zentrale Bedeutung, „weil sie das grundlegende physikalisch-chemisch-biologische Verständnis für Standorte mit ähnlichen geologischen Eigenschaften beleuchten. Sass fügt hinzu: „Wir setzen unsere Forschungsergebnisse in angewandten, industriellen und demonstrativen Vorhaben um und zeigen damit der Gesellschaft die sichere und großmaßstäbliche Anwendbarkeit geothermaler Energiebereitstellung.“
„Die Beiträge des UFZ konzentrieren sich insbesondere auf den Digitalisierungsprozess und geothermische Systemanalysen”, sagt Olaf Kolditz, der am UFZ das Department Umweltinformatik leitet. „Wir verfolgen unter anderem Konzepte digitaler Zwillinge und Virtualisierung, um die natürlichen und technischen Systeme so realistisch wie möglich digital nachzubilden. So können geothermische Systeme technisch optimiert, deren effiziente Einbindung in das gesamte Energiesystem simuliert und Umweltwirkungen langfristig abgeschätzt werden”, so Kolditz weiter. Der GFZ-Forscher Ernst Huenges sagt: „Die Klimaneutralität des Wärmemarktes zu erreichen, ist eine riesige Herausforderung und erfordert ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Marktakteure wie Energieversorger, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen brauchen neue Instrumente für diese komplexe Umsetzungsaufgabe.“
Das Strategiepapier soll für alle Akteure die notwendigen Informationen zum geothermischen Wärmeangebot, zur Vielseitigkeit des Wärmemarktes und zur technologischen Realisierung der Wärmewende bereitstellen. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen zu geben, um das Potenzial der Geothermie im Sinne der klimaneutralen Wärmeversorgung umzusetzen. Die Roadmap identifiziert fünf Handlungsempfehlungen, um die Geothermie zeitnah für den Wärmemarkt in Deutschland auszubauen:
- Klare Ausbauziele: Parlamente und Gemeinderäte sollten klare Ausbauziele formulieren und diese durch entsprechende Gesetzgebung und Satzungen flankieren vom Bundesbergbaugesetz bis hin zur kommunalen Raumordnung.
- Risikoausgleich für Unternehmen und Kommunen: Im Wärmemarkt sind kleine und mittlere Unternehmen wie Stadtwerke aktiv, die wirtschaftliche Risiken wie die Exploration von tiefer Geothermie nur begrenzt tragen können. Daher braucht es Finanzinstrumente zum interkommunalen Risikoausgleich wie staatliche Versicherungen oder revolvierende Fonds, die sich an Projekten finanziell beteiligen. Zudem sollten die Länder ein flächendeckendes geowissenschaftliches Erkundungsprogramm aufsetzen, um das Fündigkeitsrisiko für Kommunen und Unternehmen zu senken.
- Investition in Schlüsseltechnologien: Damit aus ein paar Dutzend tiefengeothermischen Anlagen in Deutschland Tausende werden, braucht es Investitionen in die Schlüsseltechnologien, um großindustrielle Maßstäbe zu erreichen. Die Schlüsseltechnologien sind Bohrverfahren, Reservoirmanagement, Bohrlochwasserpumpen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Großwärmespeicher, transkommunale Verbundwärmenetze und sektorübergreifende Systemintegration.
- Aus- und Weiterbildung von Fachkräften: Die wachsende Geothermiebranche schafft regionale Arbeitsplätze in Technologieentwicklung, Planung und Produktion sowie bei Errichtung und Betrieb der Anlagen. Man kann von etwa fünf bis zehn Vollzeitäquivalentstellen je Megawatt installierter Leistung ausgehen. Um tausende Fachkräfte fort- und weiterzubilden, braucht es akademische Ausbildung und ergänzende Curricula zu den bestehenden Angeboten der Handwerks-, Industrie und Handelskammern.
- Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern: Die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen benötigt gesellschaftliche Akzeptanz. Die kommunalen Akteure brauchen daher nicht nur betriebswirtschaftliche und anlagentechnische Strategien. Es ist erforderlich, mit Bürgerenergiemodellen, kommunalen Kommunikationsstrategien und transparenten Projekten alle lokalen Interessengruppen mit auf den Weg zur regionalen Wärmewende zu nehmen.
Der Wärmesektor macht 56 Prozent des nationalen Energiebedarfs aus. Lediglich 15 Prozent der Wärme sind regenerativ. Die nun vorgelegte Roadmap diskutiert den Beitrag der Geothermie zur Wärmewende. Der Schwerpunkt liegt auf den hydrothermalen Reservoiren, also thermalwasserführenden Gesteinen in Tiefenlagen zwischen 400 Metern und 5.000 Metern. Geothermale Wässer können bei Temperaturen zwischen 15 und 180 Grad Celsius aus derart tiefen Brunnenbohrungen gefördert werden. Sie sind Jahres- und Tageszeiten-unabhängig verfügbar und lassen sich insbesondere für Nah-, und Fernwärme und sogar für Niedrigtemperaturprozesse in der Industrie nutzen. Die Technologie ist ausgereift und kommt seit Jahrzehnten in vielen europäischen Städten zur Anwendung, etwa in Paris und München.
Die hydrothermale Geothermie - kombiniert mit Großwärmepumpen - als Wärmequelle für Fernwärmenetze könnte nach den Abschätzungen der Roadmap rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfes Deutschlands decken, theoretisch rund 300 Terawattstunden Jahresarbeit bei siebzig Gigawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: 2020 lieferten bundesweit 42 Anlagen 359 Megawatt installierte Wärmeleistung und 45 Megawatt elektrische Leistung.
GFZ Potsdam / JOL