03.02.2022 • Energie

Mehr Geothermie für die Wärmewende

Neue Roadmap zeigt großes Marktpotenzial in Deutschland.

Die Hälfte der kommunalen Wärme soll bis 2030 aus klimaneutralen Quellen kommen. Zu diesem Ziel der Regierung kann Tiefe Geothermie einen großen Beitrag leisten, weil sie witterungs­unabhängig lokal Energie liefert und wenig Fläche in Siedlungen belegt. Eine Roadmap von Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesell­schaft zeigt, dass tiefe Geothermie ein Marktpotenzial in Deutschland besitzt, welches Ausbauziele von mehr als einem Viertel des jährlichen deutschen Wärmebedarfes von mehr als 300 Terawatt­stunden eröffnet. Das Papier gibt Handlungs­empfehlungen: So brauche es klare Ausbauziele, großflächige, geologische Erkundung, Investitionen in Schlüssel­technologien und Fachkräfte­aufbau.

Abb.: Geothermieanlage nahe der Ortschaft Trebur südöstlich von Mainz. (Bild:...
Abb.: Geothermieanlage nahe der Ortschaft Trebur südöstlich von Mainz. (Bild: I. Sass, GFZ)

„Ohne Geothermie wird eine Dekar­bonisierung des Wärmesektors in Deutschland nicht möglich sein. Die natürlichen Wärme­potenziale im Untergrund sind hierfür in den meisten urbanen Räumen vorhanden. Der nachhaltige Ausbau von Geothermie ist eine Investition in die Städte unserer Zukunft“, sagt Ingo Sass, Leiter der Sektion „Geoenergie“ am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungs­zentrum GFZ. „Die Forschungs­einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft tragen mit ihren strategisch ausgerichteten Arbeits­programmen und ihren einzigartigen Forschungs­infrastrukturen wie beispielsweise dem zukünftigen Untertage-Forschungs­labor GeoLab maßgeblich zum Gelingen der Transformation bei“, so Sass weiter. 

„Um das Ausbauziel von mehr als 300 Terawatt­stunden erreichen zu können, brauchen wir Technologieentwicklung“, sagt Thomas Kohl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Koordinator des GeoLab. „Die Anwendung und Entwicklung modernster Monitoring- und Analyse­werkzeuge im GeoLaB werden die Erkenntnisse liefern, die für eine sichere und ökologisch nachhaltige Nutzung der Geothermie und weiterer unter­irdischer Ressourcen von großer Bedeutung sind. Ganz wesentlich ist dabei auch die transparente Interaktion mit der Öffent­lichkeit und den Entscheidungs­trägern“, erläutert Kohl. „Untertage-Forschungslabore wie das GeoLab besitzen Sass zufolge eine zentrale Bedeutung, „weil sie das grundlegende physikalisch-chemisch-biologische Verständnis für Standorte mit ähnlichen geologischen Eigen­schaften beleuchten. Sass fügt hinzu: „Wir setzen unsere Forschungs­ergebnisse in angewandten, indus­triellen und demons­trativen Vorhaben um und zeigen damit der Gesellschaft die sichere und großmaß­stäbliche Anwendbarkeit geothermaler Energie­bereitstellung.“

„Die Beiträge des UFZ konzentrieren sich insbesondere auf den Digitalisierungs­prozess und geothermische System­analysen”, sagt Olaf Kolditz, der am UFZ das Department Umwelt­informatik leitet. „Wir verfolgen unter anderem Konzepte digitaler Zwillinge und Virtua­lisierung, um die natürlichen und technischen Systeme so realistisch wie möglich digital nachzubilden. So können geothermische Systeme technisch optimiert, deren effiziente Einbindung in das gesamte Energiesystem simuliert und Umwelt­wirkungen langfristig abgeschätzt werden”, so Kolditz weiter. Der GFZ-Forscher Ernst Huenges sagt: „Die Klimaneutralität des Wärmemarktes zu erreichen, ist eine riesige Heraus­forderung und erfordert ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Marktakteure wie Energie­versorger, Industrie­unternehmen, Wohnungs­wirtschaft, Finanz­wirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen brauchen neue Instrumente für diese komplexe Umsetzungs­aufgabe.“ 

Das Strategiepapier soll für alle Akteure die notwendigen Informationen zum geothermischen Wärmeangebot, zur Viel­seitigkeit des Wärmemarktes und zur techno­logischen Realisierung der Wärmewende bereitstellen. Ziel ist es, Handlungs­empfehlungen zu geben, um das Potenzial der Geothermie im Sinne der klima­neutralen Wärme­versorgung umzusetzen. Die Roadmap identi­fiziert fünf Handlungs­empfehlungen, um die Geothermie zeitnah für den Wärmemarkt in Deutschland auszubauen:

  • Klare Ausbauziele: Parlamente und Gemeinderäte sollten klare Ausbauziele formulieren und diese durch entsprechende Gesetzgebung und Satzungen flankieren vom Bundesbergbau­gesetz bis hin zur kommunalen Raumordnung.
  • Risiko­ausgleich für Unternehmen und Kommunen: Im Wärmemarkt sind kleine und mittlere Unternehmen wie Stadtwerke aktiv, die wirtschaftliche Risiken wie die Exploration von tiefer Geothermie nur begrenzt tragen können. Daher braucht es Finanz­instrumente zum interkommunalen Risiko­ausgleich wie staatliche Versicherungen oder revolvierende Fonds, die sich an Projekten finanziell beteiligen. Zudem sollten die Länder ein flächen­deckendes geowissen­schaftliches Erkundungs­programm aufsetzen, um das Fündigkeits­risiko für Kommunen und Unternehmen zu senken. 
  • Investition in Schlüssel­technologien: Damit aus ein paar Dutzend tiefen­geothermischen Anlagen in Deutschland Tausende werden, braucht es Investitionen in die Schlüssel­technologien, um groß­industrielle Maßstäbe zu erreichen. Die Schlüssel­technologien sind Bohrverfahren, Reservoir­management, Bohrloch­wasserpumpen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Großwärme­speicher, trans­kommunale Verbund­wärmenetze und sektor­übergreifende System­integration.
  • Aus- und Weiterbildung von Fachkräften: Die wachsende Geothermie­branche schafft regionale Arbeitsplätze in Technologie­entwicklung, Planung und Produktion sowie bei Errichtung und Betrieb der Anlagen. Man kann von etwa fünf bis zehn Vollzeit­äquivalent­stellen je Megawatt installierter Leistung ausgehen. Um tausende Fachkräfte fort- und weiter­zubilden, braucht es akademische Ausbildung und ergänzende Curricula zu den bestehenden Angeboten der Handwerks-, Industrie und Handelskammern.
  • Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern: Die Lösung gesell­schaftlicher Heraus­forderungen benötigt gesell­schaftliche Akzeptanz. Die kommunalen Akteure brauchen daher nicht nur betriebs­wirtschaftliche und anlagen­technische Strategien. Es ist erforderlich, mit Bürgerenergie­modellen, kommunalen Kommunikations­strategien und transparenten Projekten alle lokalen Interessen­gruppen mit auf den Weg zur regionalen Wärmewende zu nehmen.

Der Wärmesektor macht 56 Prozent des nationalen Energie­bedarfs aus. Lediglich 15 Prozent der Wärme sind regenerativ. Die nun vorgelegte Roadmap diskutiert den Beitrag der Geothermie zur Wärmewende. Der Schwerpunkt liegt auf den hydro­thermalen Reservoiren, also thermalwasser­führenden Gesteinen in Tiefenlagen zwischen 400 Metern und 5.000 Metern. Geothermale Wässer können bei Temperaturen zwischen 15 und 180 Grad Celsius aus derart tiefen Brunnen­bohrungen gefördert werden. Sie sind Jahres- und Tages­zeiten-unabhängig verfügbar und lassen sich insbesondere für Nah-, und Fernwärme und sogar für Niedrig­temperatur­prozesse in der Industrie nutzen. Die Technologie ist ausgereift und kommt seit Jahrzehnten in vielen euro­päischen Städten zur Anwendung, etwa in Paris und München.

Die hydrothermale Geothermie - kombiniert mit Großwärme­pumpen - als Wärmequelle für Fernwärme­netze könnte nach den Abschätzungen der Roadmap rund ein Viertel des Gesamtwärme­bedarfes Deutschlands decken, theoretisch rund 300 Terawatt­stunden Jahresarbeit bei siebzig Gigawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: 2020 lieferten bundesweit 42 Anlagen 359 Megawatt installierte Wärmel­eistung und 45 Megawatt elektrische Leistung.

GFZ Potsdam / JOL

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