Mehr Innovationen durch freie Forschung
Innovationskraft einer Gesellschaft hängt vom Grad ihrer Wissenschaftsfreiheit ab.
In zahlreichen Staaten können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute weniger frei arbeiten als noch vor wenigen Jahren. Kritik daran gibt es aus grundsätzlichen Erwägungen. Nicht erforscht wurde bislang, ob der Grad an Wissenschaftsfreiheit auch Auswirkungen darauf hat, ob eine Gesellschaft Neues hervorbringen kann. Ein internationales Forschungsteam hat deshalb erstmals untersucht, in welchem Verhältnis Wissenschaftsfreiheit und Innovationskraft stehen. Als Indikatoren für die Quantität und die Qualität von Innovationen verwenden die Forschenden Patentanmeldungen und -zitierungen. Ihre Analyse umfasst den Zeitraum von 1900 bis 2015 in 157 Ländern.
Das Team wertete zwei anerkannte große Datensätze aus und setzte die Ergebnisse in Beziehung: Das V-Dem Dataset (Varierties of Democracy) des gleichnamigen Instituts an der Universität Göteborg umfasst verschiedene Demokratie-Indikatoren, teils bis 1789 zurückreichend. Darunter ist die Freiheit der Wissenschaft, die das Institut gemeinsam mit der FAU Erlangen-Nürnberg seit mehreren Jahren auch eigens im Academic Freedom Index darstellt. Die Zahl der Patentanmeldungen und -zitierungen entnahm das Forschungsteam der PATSTAT-Datenbank des Europäischen Patentamts.
Die Studie zeigt, dass mehr Freiheit für die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu mehr Innovationen führt. Verbessert sich das Ausmaß der Wissenschaftsfreiheit, erhöht sich anschließend sowohl die Zahl der Patentanmeldungen als auch in der Folge die Zahl der Patentzitierungen. Allerdings hat sich der Zustand der Wissenschaftsfreiheit im Zeitraum von 2011 bis 2021 zum ersten Mal innerhalb der letzten einhundert Jahre weltweit betrachtet verschlechtert. Dies gilt auch für die Gruppe der 25 führenden Wissenschaftsnationen. Für diese Dekade hat das Forschungsteam auf der Grundlage der Studienergebnisse die Wirkung der Verschlechterung berechnet.
„Wir gehen von einem weltweiten Verlust an Innovationsfähigkeit von vier bis sechs Prozent aus. Bei den führenden Wissenschaftsnationen sind es sogar fünf bis acht Prozent“, sagt Paul Momtaz, Professor für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität München. „Die Ergebnisse sind ein alarmierendes Zeichen für viele Staaten. Wer die Freiheit der Wissenschaft einschränkt, der beschränkt gleichzeitig auch die Fähigkeit, neue Technologien und Verfahren zu entwickeln, und gefährdet damit Fortschritt und Wohlstand“, betont Momtaz. „Diese Entwicklung sehen wir nicht nur in Diktaturen, sondern zunehmend auch in demokratischen Staaten, in denen populistische Parteien Einfluss gewonnen haben.“
Die Forschenden machten diverse Gegenchecks, um den Zusammenhang zwischen Wissenschaftsfreiheit und Innovationskraft zu belegen. Sie prüften beispielsweise, ob sich der Zusammenhang tatsächlich auf die Freiheit der Wissenschaft im Speziellen oder auf die gesellschaftliche Freiheit im Gesamten bezieht. Auch schlossen sie eine umgekehrte Kausalität aus, also dass Staaten mehr Wissenschaftsfreiheit zulassen, wenn die Zahl der Innovationen zu gering ist. Die Ergebnisse bestätigten sich auch dann, wenn die Forschenden nur Staaten mit besonders vielen oder besonders wenigen Patentanmeldungen betrachteten, wenn sie nur den Zeitraum ab 1980 auswerteten oder wenn sie nur bestimmte Teilaspekte der Wissenschaftsfreiheit einbezogen.
TUM / JOL