Mikroskopie ohne Grenzen
Die neuesten Trends der hochauflösenden Mikroskopie sind Titelthema der aktuellen Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“.
Wenn man in den Nachthimmel schaut, denkt man oft darüber nach, was da draußen ist. Wie schön wäre es, ferne Planeten mit einem leistungsfähigen Teleskop beobachten zu können, welches alles so stark vergrößert, dass man direkt erkennen kann, ob dort Lebewesen leben. Dabei gibt es Teleskope schon seit über 400 Jahren. Sie werden ständig weiterentwickelt, und obwohl es physikalische Grenzen gibt, können wir zunehmend mehr Details des Weltalls erforschen und verstehen. Technische Verbesserungen und moderne computergestützte Auswertungen sind hier der Schlüssel zum Erfolg. So konnte jüngst das James-Webb-Weltraumteleskop spektakuläre Aufnahmen von Galaxien aufnehmen, die 13,1 bis 13,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind.
Aber ist es nicht genauso spannend, das Leben auf unserem Planeten – und vor allem unseren eigenen Körper – im Detail zu verstehen? Um einen tieferen Einblick in den Aufbau unseres Körpers zu bekommen, um zu verstehen, aus welchen Makromolekülen er aufgebaut ist und wie diese in Wechselwirkung und Koordination miteinander funktionieren, benutzen wir ein Mikroskop, das Pendant zum Teleskop.
Die Mikroskopie ist so alt wie die Astronomie, und bei beiden Methoden gab und gibt es ähnliche Hürden zu überwinden. Wichtige Parameter sind unter anderem die Wellenlänge, das Signal-zu-Rausch-Verhältnis sowie Auflösung und Kontrast. Die Lichtmikroskopie bedient sich moderner Verfahren, um das Auflösungslimit durch die Wellenlänge des Lichts zu überwinden und dringt so in Auflösungsbereiche von 1-3 nm vor. Markus Sauer entwickelte mit seiner Gruppe die Methode der direct stochastic optical reconstruction microscopy (dSTORM). Wie diese Methode funktioniert und wie mit Hilfe der Photoswitching-Fingerprint-Analyse die Auflösungsgrenze unter 10 nm geschoben wird, erklären die Würzburger Kollegen in der neuen Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“ ab Seite 124.
Die hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie kann zwar die Abstände zwischen den Fluoreszenzfarbstoffen mit hoher Genauigkeit teilweise sogar in lebenden Zellen bestimmen. Der Rest bleibt jedoch verborgen. Licht in dieses Dunkel bringt die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM), die zudem keine Auflösungsgrenze durch die Wellenlänge des Lichts kennt und damit atomare Auflösung ermöglicht. Unter anderem wird die Kryo-EM eingesetzt, um die atomare Struktur einzelner isolierter Makromoleküle zu bestimmen oder um Ausschnitte aus Zellen bei hoher Auflösung zu visualisieren.
Im Gegensatz zu früheren Methoden wird dabei die Probe nicht fixiert und in Plastik eingebunden, sondern direkt in amorphem Eis eingebettet. Computergestützte Auswertungen sind bei der Kryo-EM wichtig, um das Signal-zu-Rausch-Verhältnis und den Kontrast der finalen Strukturen zu verbessern. Claire Ortmann de Percin Northumberland und Carsten Sachse diskutieren ab Seite 116 der neuen „Physik in unserer Zeit“ die verschiedenen modernen Anwendungsmöglichkeiten der Kryo-EM.
Sowohl die hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie als auch die Kryo-EM haben ihre Vor- und Nachteile, aber beide Methoden ergänzen sich sehr gut und werden daher in der korrelativen Licht-Elektronen-Mikroskopie (CLEM) zusammengeführt. Ziel dieser Methode ist es, nach der Beobachtung interessanter Moleküle in einer lebenden Zelle mit dem Lichtmikroskop, ein „Hinein-Zoomen“ mit dem Elektronenmikroskop zu ermöglichen. So kann man die Strukturen der Moleküle bei höherer Auflösung bestimmen. Viele Forschergruppen weltweit stellen sich dieser Herausforderung.
Ein Traum wäre es, irgendwann einmal hochaufgelöste Videos direkt in einer Zelle drehen zu können, um zu sehen, wie die Moleküle auf atomarer Ebene miteinander wechselwirken und funktionieren. Es gibt natürlich physikalische Einschränkungen, aber ich bin mir sicher, dass die technischen Entwicklungen der nahen und fernen Zukunft uns ungeahnte Möglichkeiten und Einblicke in unseren Körper geben werden, von denen wir im Moment nur träumen können.
Stefan Raunser
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
C. Ortmann de Percin Northumberland, C. Sachse: Eiskalte Schnappschüsse von Biomolekülen – Kryo-Elektronenmikroskopie, Physik in unserer Zeit 54(3), 116 (2023); DOI: https://doi.org/10.1002/piuz.202301669
D. A. Helmerich, G. Beliu, M. Sauer: Schärfer als das Mikroskop erlaubt – Molekulare Wunderkerzen und die 10-nm-Auflösungsgrenze, Physik in unserer Zeit 54(3), 124 (2023); DOI: https://doi.org/10.1002/piuz.202301668 - Mai-Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“
- Strukturbiochemie (S. Raunser), Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie, Dortmund