27.05.2025

Neue Möglichkeiten für die Orbitronik

Bahndrehimpulse der Elektronen in chiralem Halbleiter präzise untersucht.

Der Bahndrehimpuls des Elektrons galt lange eher als physikalische Nebensache, in den meisten Kristallen wird er ohnehin unterdrückt. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben nun entdeckt, dass er in bestimmten Materialien nicht nur erhalten bleibt, sondern sich sogar aktiv steuern lässt. Und zwar durch eine Eigenschaft der Kristallstruktur, die Chiralität oder auch Händigkeit genannt wird und auch sonst viele Prozesse in der Natur beeinflusst. Die Entdeckung hat das Potenzial für eine neue Klasse elektronischer Bauelemente, die Informationen besonders robust und energieeffizient übertragen können.


Abb.: Blick ins Impulsmikroskop NanoESCA
Abb.: Blick ins Impulsmikroskop NanoESCA
Quelle: FZJ

Weitere Nachrichten zum Thema

Photo
Photo
Photo

Der Bahndrehimpuls ist eine der grundlegenden Quantenzahlen des Elektrons, ähnlich wie der Spin, der eine scheinbare Eigenrotation des Elektrons beschreibt. Anders ist der Bahndrehimpuls in Kristallen jedoch höchst selten beobachtbar. Meist wird er durch die symmetrischen elektrischen und magnetischen Felder im Kristallgitter unterdrückt – ein Effekt, der auch „Quenching“ genannt wird.

In chiralen Materialen wie dem untersuchten Cobaltsilicid ist das anders, wie das Team um Christian Tusche gemeinsam mit Partnern in Taiwan, Japan, Italien, USA und Deutschland nun zeigen konnte. „Diese Kristallstrukturen besitzen keine Spiegelebene, ihre Struktur ist entweder links- oder rechtshändig – so wie die menschliche Hand. Man kann sie drehen und wenden, sie sind und bleiben spiegelbildlich verschieden“, erklärt Tusche. Chiralität kommt in der Natur häufig vor. Auch Zuckermoleküle, Aminosäuren und die DNA sind chiral aufgebaut.

Mithilfe hochauflösender Impulsmikroskopie und zirkular polarisiertem Licht gelang es den Forschern erstmals, die Bahndrehimpulse in dem chiralen Halbleiter präzise aufzulösen – sowohl im Inneren des Kristalls als auch auf seiner Oberfläche. Für die Messungen nutzten sie das Impulsmikroskop NanoESCA, das das Forschungszentrum Jülich am Elettra-Synchrotron im italienischen Triest betreibt. Dabei entdeckten sie, dass die Händigkeit des Kristalls – also ob er links- oder rechtshändig ist – den Bahndrehimpuls der Elektronen auf vorhersehbare Weise beeinflusst.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Struktur des Kristalls direkt auf den Bahndrehimpuls der Elektronen übergeht – ein Effekt, den wir direkt messen konnten. Das öffnet eine völlig neue Tür für die Materialforschung und die Informationsverarbeitung“, betont die Jülicher Experimentalphysikerin Ying-Jiun Chen.

Dongwook Go, theoretischer Physiker am Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-1), betont: „Die Entdeckung ist besonders wichtig für das neu entstehende Gebiet der Orbitronik, die den Bahndrehimpuls als Informationsträger für die nächste Generation der Quantentechnologie nutzt.“

Ein charakteristisches Merkmal der resultierenden Bahndrehimpuls-Textur sind unterschiedlich ausgebildete Fermi Arcs: offene, bogenförmige Strukturen, die in Impulsraum-Darstellungen, wie sie die Impulsmikroskopie erzeugt, sichtbar werden. Für die Anwendung eröffnet das neue Perspektiven: Informationen könnten künftig nicht mehr nur über die Ladung oder den Spin des Elektrons, sondern auch über die Richtung und Orientierung des Bahndrehimpulses übertragen und gespeichert werden. Diese Orbitronik – also Elektronik auf Basis orbitaler Eigenschaften – könnte somit die Grundlage bilden für eine ganz neue Klasse elektronischer Bauelemente.

Die EU fördert die Entwicklung dieser Zukunftstechnologie im Rahmen des EIC-Pathfinder-Projekts OBELIX, an dem auch Yuriy Mokrousov von der Universität Mainz beteiligt ist. Der theoretische Physiker ist gleichzeitig Gruppenleiter am Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-1) und steuerte grundlegende theoretische Modelle für die jüngste Entdeckung bei.

Auch Claus Michael Schneider sieht große Chancen. „Es scheint beispielsweise denkbar, mithilfe des Bahndrehimpulses als Informationsträger Informationen zu transportieren. Oder möglicherweise kann man zirkular polarisiertes Licht verwenden, um die Chiralität eines Kristalls gezielt zu beeinflussen und so einen nicht-mechanischen Schalter als Alternative zum Transistor zu erhalten, der aber lichtgesteuert ist. Und durch Kopplung zwischen Bahndrehimpuls und Spin könnte der Effekt in bestehende Spintronik-Konzepte integriert werden – etwa für hybride Quantenbauelemente so der Direktor des Peter Grünberg Instituts für Elektronische Eigenschaften (PGI-6) am Forschungszentrum Jülich.“

FZJ / DE


Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Content-Ad

Park FX200 | Das fortschrittlichste AFM für 200-mm-Proben

Park FX200 | Das fortschrittlichste AFM für 200-mm-Proben

Das Park FX200 ist ideal für Forschung und Industrie zur automatisierten Messung von bis zu 200mm großen Proben und bietet bedeutende Fortschritte in der AFM-Technologie

Meist gelesen

Themen