Neues Beobachtungsfenster in die atomare Welt
Die Kombination der Elektronenmikroskopie mit Attosekundenpulsen gibt ganz neue Einblicke, wie die neue „Physik in unserer Zeit“ schildert.
Stefan Lochbrunner
Eine zentrale Fragestellung der Physik ist das Verständnis der Eigenschaften und des Verhaltens der uns umgebenden Materie, zum Beispiel von Materialien und Molekülen. Der Schlüssel dazu ist das Zusammenspiel der elementaren Bausteine, sprich der Atome und Elektronen. Sehr viel ließ sich dabei bereits über indirekte Beobachtungen wie Emissions- und Absorptionsspektren lernen. Das führte vor hundert Jahren zur Entwicklung der Quantenmechanik.
Aber nichts ist so lehrreich und überzeugend wie die direkte Beobachtung. Aufgrund der Winzigkeit der Teilchen – ein Atom hat einen Durchmesser in der Größenordnung eines Zehnmillionstel Millimeters – erschien dies zunächst vollkommen unmöglich. Selbst die Wellenlänge des sichtbaren Lichts ist einige tausend Mal größer und damit die optische Mikroskopie chancenlos. Mit der Elektronenmikroskopie und auch mit Rastersondentechniken gelang es jedoch, diese Hürde zu nehmen.
Nun kommt aber eine zweite Herausforderung hinzu, nämlich die extrem hohe Geschwindigkeit, mit der Vorgänge auf der atomaren Skala ablaufen können. Die Bewegung von Atomen in Molekülen oder Kristallgittern, wie sie bei Schwingungen, chemischen Reaktionen oder Phasenübergängen auftreten, benötigen typischerweise nur zehn bis wenige hundert Femtosekunden. Das ist weit weniger als eine billionstel Sekunde. Rein elektronische Vorgänge können aufgrund der geringen Masse der Elektronen sogar tausendmal schneller und damit auf der Attosekundenzeitskala ablaufen.
Mit herkömmlichen Methoden, wie schnelle elektronische Detektoren, sind diese Zeitskalen nicht zugänglich. Erst mit der Verfügbarkeit extrem kurzer Laserpulse ist man Schritt für Schritt dahin vorgedrungen. Die Anrege-Abfrage-Spektroskopie erlaubte es erstmalig, den Femtosekundenbereich zu erschließen und molekulare Prozesse in Echtzeit zu verfolgen. Der Trick dabei ist, den zu untersuchenden Vorgang mit einem ultrakurzen Laserpuls auszulösen und mit einem zweiten, leicht verzögerten die Veränderung optischer Eigenschaften zu vermessen. Daraus kann man die Vorgänge auf der atomaren Skala ableiten. Mittlerweile können sogar Laserpulse im Attosekundenbereich erzeugt werden, die auch für die Echtzeitbeobachtung von Elektronen geeignet sind.
Das Ziel ist es nun, zugleich auch eine atomare Ortsauflösung zu erreichen. Dazu gibt es derzeit äußerst intensive und fruchtbare Forschungsaktivitäten. Zum Beispiel werden für die Abfrage ultrakurze Röntgenpulse eingesetzt, die mit Freie-Elektronen-Lasern erzeugt werden. Anhand der Röntgenbeugungsbilder können dann Strukturänderungen zeitaufgelöst rekonstruiert werden. Ein anderer faszinierender Ansatz ist es, in einem Elektronenmikroskop mit dem oszillierenden elektrischen Feld eines Laserbündels den Elektronenstrahl zu modulieren und in Pakete aufzuspalten, die nur mehrere hundert Attosekunden kurz sind.
Peter Baum und seine Mitarbeiter stellen in der vorliegenden „Physik in unserer Zeit“ ein solches von ihnen entwickeltes Elektronenmikroskop vor. Sie machen damit unter anderem eine kollektive Wellenbewegung von Elektronen an der Oberfläche einer Metallspitze sichtbar, die durch die Wechselwirkung mit Licht entsteht. Ihre Messungen führen zu einem Film, der zeigt, wie sich die Elektronen auf der Subfemtosekundenskala bewegen. Er demonstriert auf beeindruckende Weise, dass Elektronen sich nun in Echtzeit beobachten lassen.
Es gibt noch viele weitere Ansätze. Zum Beispiel können Laserpulse mit Rastersondentechniken kombiniert werden oder man kann Elektronen mit starken Laserfeldern treiben und ihre Streuung an ihrer Umgebung analysieren. Alle diese Methoden lassen sich noch nicht routinemäßig einsetzen. Aber in letzter Zeit wurden viele Durchbrüche erzielt, sodass wir bald an verschiedenstenen Materialien, Nanostrukturen und Molekülen die Dynamik sowohl der Atomkerne als auch der Elektronen zeit- und ortsaufgelöst verfolgen können. Dies wird unser Verständnis der atomaren Welt stark voranbringen und sowohl die physikalische Grundlagenforschung als auch die Entwicklung neuartiger Anwendungen beflügeln.