Die kürzesten Momente einfangen
Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier erhalten den Physik-Nobelpreis für ihre bahnbrechenden Beiträge zur Attosekundenphysik.
Kerstin Sonnabend
Um die Dynamik von Elektronen in Materie zu untersuchen, braucht es ultrakurze Lichtpulse, weil die Prozesse auf der Attosekundenskala stattfinden, also innerhalb von 10–18 Sekunden. Pierre Agostini, Ferenc Krausz and Anne L’Huillier haben gezeigt, wie sich diese ultrakurzen Lichtpulse erzeugen lassen und wie sich damit die schnellen Prozesse messen lassen, die dem Verhalten von Elektronen in Materie zugrundeliegen. „Für die experimentellen Methoden, die Attosekunden-Lichtpulse erzeugen, um die Dynamik von Elektronen in Materie zu untersuchen“ wird das Trio in diesem Jahr zu gleichen Teilen mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
Bereits 1987 hat Anne L’Huillier entdeckt, dass sich zahlreiche Harmonische bzw. Oberschwingungen entwickeln, wenn infrarotes Laserlicht ein Edelgas durchquert. Ihre weiteren Untersuchungen des Phänomens trugen zum theoretischen Verständnis bei und leiteten den darauffolgenden experimentellen Durchbruch ein.
Die 1958 in Paris geborene Physikerin forscht und lehrt derzeit als Professorin für Atomphysik an der schwedischen Lund University. Nachdem sie im Studium einen Schwerpunkt auf theoretische Physik gelegt hatte, begann sie sich mit der Promotion am französischen Kernforschungszentrum des CEA in Saclay in die experimentelle Atomphysik einzuarbeiten. Ihre Dissertation an der Université Pierre et Marie Curie (UPMC) behandelt die Vielfach-Ionisation in Laserfeldern hoher Intensität. Als festangestellte Wissenschaftlerin in Saclay forschte sie zeitweise auch am Chalmers Institute of Technology im schwedischen Göteborg, an der University of Southern California in Los Angeles und am Lawrence Livermore National Laboratory nahe San Francisco. 1995 folgte der Wechsel nach Schweden an die Lund University.
Basierend auf L’Huilliers Ergebnissen entwickelten Pierre Agostini und Ferenc Krausz zwei unterschiedliche Methoden, um damit Attosekundenpulse zu erzeugen. Beide sind noch heute in weiter entwickelter Form in Gebrauch, je nach dem Fokus der Anwendung. Agostini gelang es, eine Reihe aufeinanderfolgender Lichtpulse zu erzeugen, indem er das Laserlicht mit einem leicht verzögerten Anteil überlagerte; damit erreichte er Pulsdauern von etwa 250 Attosekunden. Krausz sortierte dagegen einzelne Lichtpulse aus; so gelang es, Pulsdauern von 650 Attosekunden zu erzeugen.
Pierre Agostini wurde er 1941 in Tunis geboren, der heutigen Hauptstadt von Tunesien, damals ein Protektorat Frankreichs. Er hat an der Université d’Aix-Marseille in Frankreich promoviert, nachdem er dort auch Physik studiert hatte. Danach arbeitete er für das Commissariat à l’Energie Atomique in Saclay. Heute ist er Professor Emeritus an der Ohio State University.
Der 1962 im ungarischen Mór geborene Ferenc Krausz studierte in Budapest Physik und promovierte 1991 an der Technischen Universität Wien in Österreich. Nach der Habilitation war er dort bis 2004 als Professor tätig, bevor er als Direktor an das Max-Planck-Institut für Quantenoptik nach Garching wechselte, verbunden mit einer Professur an der LMU München. Krausz ist Mitglied der DPG und hat im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere zahlreiche Auszeichnungen erhalten, beispielsweise 2006 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der DFG, 2013 den Otto-Hahn-Preis von GDCh, DPG und der Stadt Frankfurt am Main sowie 2022 den Wolf-Preis in Physik zusammen mit Anne L’Huillier und Paul Corkum.
Mit den Attosekundenpulsen war es zum Beispiel möglich zu beobachten, wie sich ein Elektron von seinem Atom löst und dass die Zeit dafür davon abhängt, wie stark das Elektron gebunden ist. Außerdem lässt sich rekonstruieren, wie die Elektronenverteilung in Molekülen oszilliert. Typische Anwendungen der Attosekundenphysik finden sich in der Elektronik, wenn das Verständnis und die Kontrolle des Verhaltens von Elektronen in Materialien nötig sind. Die Gruppe von Ferenc Krausz hat sich in jüngster Zeit auch Anwendungen in Biologie und medizinischer Diagnose zugewandt.
Die Verleihung des Nobelpreises findet traditionell am Todestag Alfred Nobels, dem 10. Dezember, in Stockholm statt.
Weitere Informationen
- Nobelpreis für Physik 2023
- Wissenschaftlicher Hintergrund (englisch, PDF)
- Physik Journal Dossier „Nobelpreis“
Weitere Beiträge
- Markus Drescher und Ferenc Krausz, Schnappschüsse im Atom, Physik Journal, März 2003, S. 45 (PDF)
- Matthias Schnürer, Christian Spielmann, Matthias Lenzner und Ferenc Krausz, Eine kompakte Quelle kohärenter Röntgenstrahlen im „Wasserfenster“, Physikalische Blätter, April 1998, S. 345
- Wolf-Preis 2022 für Ferenc Krausz, Paul Corkum und Anne L’Huillier (Physik Journal Nachrichten, 10. Februar 2022)
- Otto-Hahn-Preis für Ferenc Krausz (pro-physik.de Nachrichten, 8. August 2013)
- Matthias F. Kling und Marc J. J. Vrakking, Elektronen unter Kontrolle, Physik Journal, Januar 2012, S. 25 (PDF)
- Martin Schultze und Reinhard Kienberger, Die kürzesten Pulse der Welt, Physik Journal, Juli 2010, S. 39 (PDF)
- Maike Keuntje, Die Welt durchleuchten, Physik Journal, April 2009, S. 24 (PDF)
- Tobias Brixner und Gustav Gerber, Laser-optimierte Femtochemie, Physikalische Blätter, April 2001, S. 33 (PDF)