Protein-Tröpfchen mit Röntgenlicht auf der Spur
Untersuchung der Proteindynamik in Zellen könnte zu neuen Therapien für Krankheiten führen.
Biologische Zellen sind dicht gefüllt mit Proteinen. Ab und zu bilden sich größere Ansammlungen von Proteinen, die Protein-Kondensate. Die Bildung und Eigenschaften dieser Kondensate zu verstehen, ist Ziel eines deutsch-schwedischen Forschungsprojektes, das in diesem Monat startet. Wissenschaftler der Uni Siegen arbeiten dabei mit Kollegen der Unis Tübingen, Lund und Stockholm zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der schwedische Research Council fördern das Projekt mit insgesamt 1,7 Millionen Euro. Es läuft über vier Jahre und wird von der Uni Siegen koordiniert.
„Dass sich in Zellen Protein-Ansammlungen oder Kondensate bilden können, ist seit einigen Jahren bekannt. Die genaue biologische Funktion dieser Kondensate kennen wir jedoch nach wie vor nicht“, erläutert der Physiker Christian Gutt von der Uni Siegen, der das Projekt leitet. Proteine bewegen sich im dichten Zellplasma und erledigen dabei viele der biologisch wichtigen Aufgaben. In der Zelle können die fein verteilten Proteinmoleküle auch zu winzigen Tröpfchen kondensieren. Diese flüssigen Tröpfchen können sich von selbst wieder auflösen, manchmal nehmen sie aber auch einen gelartigen oder sogar festen Zustand an und stehen dann im Verdacht, Auslöser von Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson sein.
„Wir möchten in dem Projekt die Frage beantworten, wie sich die Proteine in so einer dichten Umgebung innerhalb der Tröpfchen verhalten und wie die Dynamik von der Form der Proteine abhängt. Wir wollen messen, wie schnell die Proteine sind, wann sich die Kondensate formen, beziehungsweise wieder auflösen und warum die Tröpfchen manchmal gelartig und letztlich fest werden“, sagt Gutt. Versteht man die Bildungsmechanismen genau, könnte man später auch in der Lage sein, sie gezielt zu beeinflussen, so die Hoffnung der Wissenschaftler. So könnten zum Beispiel neue Therapien für Krankheiten wie Alzheimer entwickelt oder Krebstherapien, die auf hochkonzentrierten Antikörpern basieren, verbessert werden.
Eine besondere Herausforderung stelle dabei die Beobachtung der zugrundeliegenden molekularen Prozesse dar, so Gutt. Denn in den Tropfen sind die Proteine hundert- bis tausendfach stärker konzentriert als außerhalb im Zellplasma. In der Folge bewegen sie sich in diesen dichten Umgebungen viel langsamer. „Wir müssen bei unseren Untersuchungen der Zellvorgänge also sehr unterschiedliche Längen- und Zeitskalen abdecken, je nachdem, ob wir es mit vielen, oder wenigen Molekülen zu tun haben und wie schnell sich diese in der jeweiligen Umgebung bewegen können“, sagt Gutt.
Durchgeführt werden die Untersuchungen an verschiedenen Großforschungsanlagen in ganz Europa, darunter auch das European XFEL in Hamburg. Die Moleküle werden dort während der Bildung der Kondensate mit hochintensivem Röntgenlicht gefilmt, um dabei ihre Bewegungen zu analysieren. „Das Röntgenlicht würde die Proteine unter normalen Umständen zerstören, deshalb müssen wir eine Methode entwickeln, sie im Dunkeln zu filmen und aus diesen Rauschfilmen anschließend die relevanten Informationen herauslesen“, so Gutt. Die einzelnen Filme von bis zu Hunderten von Terabyte an Daten auszuwerten, ist die zweite große Herausforderung des Projekts. Die Wissenschaftler wenden dazu neue Methoden des maschinellen Lernens an. Dennoch geht Gutt davon aus, dass es etwa ein Jahr dauern wird, einen einzelnen Film auszuwerten.
„Mich fasziniert besonders die Verbindung zwischen grundlegender Physik, wenn wir uns die einzelnen Pixel der Dunkelfilme hochgenau anschauen, und angewandter Forschung mit starker Verbindung zur physikalischen Chemie und Biologie“, erklärt Gutt, dessen Forschungsschwerpunkt im Bereich der Festkörperphysik liegt. Er ist sich sicher: Wenn die Auswertung der Dunkelfilme als Analysemethode funktioniert, wird das Forschungsprojekt auch in der Biologie und der Medizin auf großes Interesse stoßen.
U. Siegen / RK
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