15.09.2023

Quantencomputing mit Theorie-Kniffen

Deutsches Team gewinnt zweiten Preis beim IBM Quantum Open Science Prize.

U. Würzburg / DE

Der weltweite Wettstreit um den Quantencomputer ist in vollem Gange. Die Hightech-Industrie und eine riesige Wissenschaftscommunity arbeiten an verschiedenen Wegen zu dem einen Ziel: einen extrem leistungsfähigen und universell einsetzbaren Quantencomputer zu entwickeln. Denn Quantencomputing könnte zum Beispiel künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zum Durchbruch verhelfen. Ein QuBit kann sich in unendlich vielen Überlagerungszuständen befinden. Bisher sind diese Zwischenzustände allerdings äußerst fragil und zerfallen rasant. Das wollen die Forscher ändern, denn Voraussetzung für leistungsfähige Quantencomputer sind stabile überlagerte Quantenzustände – und viele QuBits.


Abb.: Training für den Quantencomputer!
Abb.: Training für den Quantencomputer!
Quelle: J. Bandmann / ct.qmat

Mit Wettbewerben wie dem Quantum Open Science Prize suchen globale Player wie die International Business Machines Corporation (IBM) nach verbesserten Algorithmen, um die Leistung ihrer Quantentechnologien zu trainieren. Die Zielsetzung der diesjährigen Ausschreibung von IBM war, einen 16-QuBit-Quantenchip so zu codieren, dass er eine konkrete Fragestellung genauso zuverlässig abarbeitet wie ein klassischer Computer. Anschließend – so die Hoffnung – könnte die Leistung des Quantenchips hochskaliert werden und ultrakomplexe Rechenoperationen ermöglichen, die bisher unerreichbar sind. 

IBM hat dafür den Quantenchip Falcon mit 16 QuBits zur Verfügung gestellt. „Wir haben einen neuen Algorithmus entwickelt und ihn dann wieder und wieder auf dem IBM-Chip laufen lassen. Die Rechenzeit konnte man reservieren und den Code übers Internet ausführen“, erklärt Pratyay Ghosh, Projektleiter des fünfköpfigen Preisträgerteams vom Lehrstuhl für Theoretische Physik I von Ronny Thomale sowie Postdoktorand des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter.

„Üblicherweise lassen IT-Riesen wie IBM ihre Quantentechnologien von Computerwissenschaftlern optimieren, weil das die Experten für Algorithmen sind. Jetzt haben von über 130 weltweiten Einreichungen fünf junge theoretische Physiker von meinem Lehrstuhl den zweiten Platz belegt. Das freut uns außerordentlich und zeigt zudem, dass der Paradigmenwechsel vom klassischen zum Quantencomputer nicht nur computerwissenschaftlich, sondern ebenso physikalisch-grundlagenwissenschaftlich begleitet werden sollte“, kommentiert Ronny Thomale den IBM-Preis. „Mein Team hat viele physikalisch motivierte Programmiertricks angewendet, um die Algorithmik präzise an die Problemstellung anzupassen. Bei ct.qmat erforschen und entwickeln wir Quantenmaterialien, befassen uns mit Kagome-Gittern und Quantenmagnetismus – alles Inhalte der diesjährigen Fragestellung. Deshalb war unser Vorteil, dass wir Physiker sind.“ Aktuell bereiten die Wissenschaftler eine Publikation vor, welche die Forschungsarbeit aus physikalischer Perspektive diskutiert.

Beim IBM Quantum Open Science Prize 2023 sollte mithilfe des IBM Quantum Falcon mit 16 QuBits die Energie des Grundzustands eines magnetischen Quantenmaterials möglichst genau bestimmt werden. Dieses Material basiert auf einem Kagome-Gitter mit 12 Atomen. „Um den Grundzustand eines Kagome-Sterns zu bestimmen, der aus 12 Atomen besteht, hatten wir einen 16-QuBit-Chip zur Verfügung. Einen effizienten Algorithmus für den Quantenschaltkreis hatten wir schnell gefunden. Der kniffligere Teil unserer Arbeit war, das richtige Signal aus dem Quantenrauschen heraus zu filtern – also Fehlerkorrektur. Das hat uns zwei Monate beschäftigt“, so Ghosh.

Ein klassischer Computer ist problemlos in der Lage, die diesjährige Fragestellung von IBM exakt auszurechnen. „Das Ergebnis des klassischen Computers ist eine notwendige Referenz, um die Codierung des Quantencomputers zu bewerten“, sagt Thomale. Denn jedes Problem, was ein Quantenchip löst, erzeugt ein Rauschen – das Quantenrauschen. Es entsteht, weil die Überlagerungszustände sehr fragil sind und muss geschickt überwunden werden, damit der Quantencomputer die klassischen Computertechnologien überhaupt überholen kann. „Mein Team hat es geschafft, die Abweichung von unserem Quantenalgorithmus zum klassischen Referenzwert auf unter ein Prozent zu reduzieren. Damit haben wir den Algorithmus so optimiert, dass er den Grundzustand des 12er-Kagome-Gitters exakt definiert – trotz Quantenrauschen.“

IBM hat nicht nur die Effizienz des Codes bewertet, sondern ebenfalls die Skalierbarkeit: Zunächst musste das Team einen Algorithmus finden, der das kleine 12er-Quantensystem genauso gut beschreibt wie der klassische Computer. „Nachdem wir das geschafft haben, hoffen wir auf einen baldigen Übergang unseres Ansatzes auf größere Quantensysteme. Denn das, was uns vor allem interessiert, ist ein Phänomen, das die Physik schon seit vierzig Jahren nachweisen möchte“, verrät Thomale: „Zu den ungelösten Problemen im Feld des frustrierten Magnetismus gehört es, die Eigenschaften des Grundzustands eines Kagome-Heisenberg-Magneten zu bestimmen.“ 

Der Quantenmagnetismus gehört zu den zentralen Forschungsgebieten des Exzellenzclusters ct.qmat. „Wir vermuten, dass sich im Kagome-Magnet eine Spinflüssigkeit verbirgt. Um dieses Rätsel zu lösen, wäre aber die Berechnung eines sehr viel größeren Kagome-Gitters notwendig“, so Thomale. Eine Spinflüssigkeit beschreibt den Zustand eines Quantenmagneten, der keine Ordnung einnimmt. Ein neuartiger Materiezustand, der völlig neue Ansatzpunkte für Technologien eröffnen könnte. „Zwölf QuBits reichen nicht, um eine Spinflüssigkeit nachzuweisen. Wir bräuchten vermutlich mindestens tausend.“


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