01.03.2022

Quantenoptik mit Kernphysik verknüpfen

Überblick über Fortschritte in der nuklearen Photonik.

„Wo im Universum, und vor allem wie, werden die uns bekannten chemischen Elemente erzeugt?“ gehört zu den grund­legenden Frage­stellungen in der Kernphysik. Neue Einblicke und Antworten, vor allem in den Aufbau von Kernmaterie, liefert das junge Forschungs­gebiet „Nukleare Photonik“. Nun haben Forschende unter Beteiligung der TU Darmstadt den aktuellen Forschungs­stand und potentielle Anwendungen in Industrie und Technik zusammen­gefasst.

Abb.: Johann Isaak forscht an der TU Darmstadt unter anderem am...
Abb.: Johann Isaak forscht an der TU Darmstadt unter anderem am supra­leitenden Elektronen­linear­beschleuniger S-DALINAC. (Bild: C. Völker, TU Darmstadt)

Die nukleare Photonik ist ein Forschungs­gebiet, das moderne Höchst­leistungslaser nutzt und dabei Teilgebiete der Optik mit der Kernphysik verbindet. Bestandteil der nuklearen Photonik sind Präzisions­messungen von photo­nuklearen Reaktionen. Darunter versteht man die Wechselwirkung von hoch­energetischen Photonen mit Atomkernen. Diese Form der Kern­reaktionen erlaubt besonders präzise Einblicke in die Struktur und Eigenschaften von Kernmaterie und ermöglicht wichtige experi­mentelle Forschungs­methoden für grundsätzliche Frage­stellungen. Im Zuge des Loewe Programms des Landes Hessen wurde 2019 an der TU Darmstadt der Loewe-Schwerpunkt für nukleare Photonik ein­gerichtet, um Darmstadt – und vor allem Hessen – als einen der führenden Forschungs­standorte in diesem neuen Forschungs­feld zu festigen und auszubauen.

Die Europäische Union fördert zudem den Aufbau einer euro­päischen Infrastruktur für Höchst­leistungslaser im Rahmen der europäischen „Extreme Light Infra­structure“ (ELI). ELI ist ein Verbund aus drei großen Forschungs­einrichtungen, die derzeit in Bukarest (Rumänien, ELI-Nuclear Physics), Prag (Tschechien, ELI-Beamlines) und Szeged (Ungarn, ELI-ALPS) errichtet werden und an deren Planung und Aufbau Wissen­schaftlerinnen und Wissen­schaftler der TU Darmstadt beteiligt sind.

Den Forschungs­stand der nuklearen Photonik haben nun Forschende des Instituts für Kernphysik der TU Darmstadt gemeinsam mit Kollegen der Universität zu Köln und des ELI-NP in Bukarest zusammen­gefasst. Physikalische Grundlagen zu Kern­reaktionen mit Photonen werden detailliert vorgestellt, um Nachwuchs­wissenschaftler einen Einstieg in die Thematik und einen umfassenden Überblick zu bieten und somit die Physiker der Zukunft für dieses Forschungs­feld zu begeistern.

Photo­nukleare Reaktion erlauben Präzisions­messungen in der Kern­strukturphysik, die mit bisherigen Methoden noch nicht möglich waren. Beispiele hierfür sind die erstmalige Vermessung von zuvor nur theoretisch postulierter Mehrteilchen­effekte zu elektro­magnetischen Zerfalls­prozessen in Atomkernen, das Studium der Quanten­eigenschaften von Materialien, die für den quantitativen Nachweis von Neutrinos benötigt werden oder die Häufigkeits­bestimmung unterschiedlicher geometrischer Verformungen, die schwere Atomkerne wie etwa Uran- oder Plutonium­kerne durchlaufen, wenn sie spalten und dabei Energie freisetzen.

So gelang es beispiels­weise jüngst dem Team an der TU Darmstadt, die Halbwertszeit eines Kern­zustands mit einer Genauigkeit von einer Attosekunde zu bestimmen. Diese Genauigkeit der Zeitmessung entspricht der Zeit, in der Licht gerade eine Strecke von einem Atom­durchmesser zurücklegt. Derartige Genauigkeiten können prinzipiell nur noch mit kern­physikalischen Methoden erzielt werden. Die Forschenden hoffen, dass photo­nukleare Reaktionen, und die auf ihr beruhenden neuartigen Messmethoden, zur Lösung von drängenden wissen­schaftlichen Problemen der Gegenwart beitragen können, beispiels­weise ob sehr langlebiger, zehntausende von Jahren radioaktiver Abfall in vergleichsweise kurzlebige Produkte umgewandelt werden kann, die nur noch einige Dutzend bis Hundert Jahre signifikant strahlen und geschützt verwahrt werden müssen.

Mit den nochmals um Größen­ordnungen erhöhten Intensitäten der Photonen­strahlen, die ab dem Jahr 2023 am ELI-NP verfügbar sein werden, wird es dann erstmals möglich sein, auch sehr seltene stabile und langlebige radioaktive Isotope mit bislang nicht erreichter Präzision zu studieren. Insbesondere durch die Bandbreite der Photonen­strahlen können einzelne Kern­anregungen separiert und untersucht werden. Hierzu werden an der TU Darmstadt hochsensitive Messverfahren weiterentwickelt. Die erwarteten hochpräzisen experi­mentellen Daten werden dabei helfen, die Eigenschaften von Atomkernen, ihre Entstehung im Universum und ihre Nutzung als Quantenlabors für den Nachweis weiterer, unter Umständen noch unbekannter Elementar­teilchen oder die zukünftige Behandlung des kommer­ziellen radioaktiven Abfalls besser zu verstehen. Für die langfristige Entwicklung des Felds wird bereits an einer noch leistungsfähigeren Anlage für photo­nukleare Reaktionen geforscht.

TU Darmstadt / JOL

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