Rätsel um Koexistenz von Phasen geklärt
Ein neuronales Netzwerk liefert präzise Vorhersagen für die Dichte von Gas und Flüssigkeit.
Unter bestimmten Bedingungen kann Wasser gleichzeitig flüssig und gasförmig sein, zum Beispiel bei der Wolkenbildung: Je nach Temperatur kondensiert Wasserdampf in der Luft zu Tröpfchen. Die Theorie der Phasentrennung erklärt, warum und wie sich eine Flüssigkeit und ihr Dampf in zwei verschiedene Phasen aufspalten können – flüssig und gasförmig. Experimentelle Beobachtungen von Thomas Andrews im späten 19. Jahrhundert wiesen auf die Existenz einer kritischen Temperatur hin und kurz darauf beschrieb Johannes Diderik van der Waals die Phasentrennung anhand eines einfachen theoretischen Modells. Van der Waals' Theorie der Phasentrennung hat Lehrbuchcharakter, beruht jedoch auf groben Näherungen. Es bleibt schwierig vorherzusagen, ob eine Substanz unter gegebenen Bedingungen flüssig oder gasförmig sein wird.
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Moderne statistische Theorien wie die klassische Dichtefunktionaltheorie gehen viel weiter, beruhen jedoch ebenfalls auf schwer kontrollierbaren Näherungen. Florian Sammüller und Matthias Schmidt vom Lehrstuhl für Theoretische Physik II der Universität Bayreuth haben gemeinsam mit dem britischen Physiker Robert Evans, dem Begründer der klassischen Dichtefunktionaltheorie, einen neuen Ansatz entwickelt, der präzise Vorhersagen des Phasenübergangs ermöglicht. Dies gelang ihnen durch die Kombination von theoretischer Physik und einem neuronalen Netz – einem Computermodell, das aus künstlichen Nervenzellen besteht, die miteinander verbunden sind und Informationen verarbeiten.
Die Forscher kombinierten die leistungsfähige theoretische Beschreibung mit der Genauigkeit von Computersimulationen. Die Eingangsdaten des neuronalen Netzes werden dabei entsprechend einer von Evans 1979 formulierten funktionalen Beziehung verknüpft, wonach alle Eigenschaften eines Systems allein durch die Teilchendichte bestimmt werden. „Bisher waren funktionale Beziehungen der Modellierung durch physikalische Intuition und der Arbeit mit Stift und Papier vorbehalten. Maschinelles Lernen ermöglicht es nun, die damit verbundenen Einschränkungen zu überwinden und die Genauigkeit enorm zu verbessern. Eine Fülle von Annahmen, die seit van der Waals nur vermutet werden konnten, lassen sich nun quantitativ untersuchen und überraschenderweise größtenteils sehr eindeutig bestätigen“, sagt Schmidt.
Die verwendete hybride Methodik, die maschinelles Lernen und Fluidtheorie kombiniert, bietet ein breites zukünftiges Anwendungspotenzial in der vielseitigen Modellierung des Verhaltens von Substanzen und der in ihnen auftretenden Phänomene, wie etwa der Benetzung von Substraten, dem Kapillarverhalten in Poren oder Entmischungsphänomenen. „Die theoretische Physik, insbesondere die statistische Mechanik von Fluiden, bietet eine Fülle konkreter Tests in Form rigoros gültiger Gleichungen, mit denen sich die Qualität von KI-Vorhersagen beurteilen und letztlich kontrollieren lässt“, sagt Sammüller.
U. Bayreuth / JOL