16.01.2019

Satelliten messen Eisverlust von Gletschern

Detaillierte Untersuchung aller ver­gletscherten Gebiete Süd­amerikas.

Ein Vergleich historischer Fotos von Gletschern mit aktu­ellen Auf­nahmen zeigt: Wo einst Eis lag, ist mittler­weile häufig Fels zu sehen. Geo­graphen inte­res­sieren sich nicht vor­rangig für die Aus­deh­nung, sondern für die Masse eines Gletschers. Forscher der Uni Erlangen-Nürn­berg haben erst­mals alle ver­gletscherten Gebiete Süd­amerikas so detail­liert wie nie unter­sucht – von den tropischen Gebieten Vene­zuelas bis zu den sub­polare Regionen Feuer­lands. Ihre zwei wich­tigsten Erkennt­nisse: Die größten Massen­ver­luste gibt es im patago­nischen Inland­eis und die Gletscher in den Tropen haben deut­lich weniger Masse ver­loren als bisher hoch­ge­rechnet.

Abb.: Gletscher in den Zentralanden haben zwar deut­lich weniger Masse...
Abb.: Gletscher in den Zentralanden haben zwar deut­lich weniger Masse ver­loren als bisher ange­nommen, aber möglicher­weise sind die Gletscher in abseh­barer Zeit ganz ver­schwunden. (Bild: M. Braun, FAU)

Die Forscher der Uni Erlangen-Nürnberg haben für ihre Ver­mes­sung der süd­ameri­ka­nischen Gletscher auf Satel­liten­daten gesetzt, jedoch auf Höhen­messungen und nicht – wie sonst üblich – auf Schwere­feld­analysen. Seit 2010 kreisen zwei Radar­satel­liten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raum­fahrt um die Erde. Ziel der TanDEM-X-Mission war ein drei­dimen­sio­nales Abbild der Erde in ein­heit­licher Qualität und bislang uner­reichter Genauig­keit – Höhen­unter­schiede im Gelände wurden auf einen Meter genau erfasst. Diese Daten aus dem Zeit­raum 2011 bis 2015 nutzte das Team und ver­glich sie mit Messungen der Shuttle Radar Topo­graphy Mission aus dem Jahr 2000. Aus den Diffe­renzen berech­neten sie in einem komplexen Ver­fahren – unter anderem mussten sie ver­schie­dene Korrek­turen und Fehler­berech­nungen durch­führen – die Höhen­ver­ände­rungen in den Gletscher­regionen Süd­amerikas und daraus die Ver­ände­rungen der Gletscher­massen. Das Besondere daran: Sie konnten mit einem einheit­lichen Mess­ver­fahren alle ver­gletscherten Gebiete in der Region erfassen. Zudem lieferte die Methode sogar präzise Daten für einzelne Gletscher. Durch den Ver­gleich der Messungen aus den beiden Raum­fahrt­missionen ent­stand so ein detail­liertes Bild für ganz Süd­amerika. Erst­mals war es den Forschern auch möglich, die großen patago­nischen Inland­eis­flächen getrennt von um­liegenden, kleineren Gletschern zu analy­sieren.

Die größte Abnahme, sowohl absolut als auch relativ im Vergleich zu den anderen süd­amerika­nischen Gletschern, stellten sie bei den beiden patago­nischen Inland­eis­feldern fest – zwei Gebiete, die mit einer Fläche von rund 18.000 Quadrat­kilo­metern in etwa so groß sind wie Rhein­land-Pfalz. Die Masse der Gletscher ist dort um rund 17,4 Giga­tonnen pro Jahr geschrumpft, das ent­spricht 19,3 Kubik­kilo­meter pro Jahr. Selbst Gletscher­gebiete, die in den Tropen liegen, haben nicht einen derart hohen Anteil ihrer Masse ver­loren. Der Grund dafür könnte sein, dass die großen Aus­lass­gletscher in Pata­gonien, die nach engen Tälern zum Beispiel ins Meer oder in Seen fließen, eine dyna­mische Anpas­sung unter­laufen: Sie haben sich von einer stabilen Position zurück­gezogen und müssen erst wieder eine neue stabile Front aus­bilden. Diese Prozesse sind für Gezeiten­gletscher, die im Meer enden, bekannt und zunächst unab­hängig von klima­tischen Ein­flüssen, auch wenn diese Aus­löser gewesen sein können. Dieses Phänomen spielt bei großen Gletschern, wie sie in Pata­gonien vor­kommen, sogar eine bedeuten­dere Rolle als Ein­flüsse durch Tempe­ratur­ände­rungen. Was die Wissen­schaftler bereits bei vorher­gehenden Unter­suchungen fest­ge­stellt hatten: Ganze Gletscher sind in Pata­gonien ver­schwunden – ein Ergebnis, das zwar für andere Gebiete in Bolivien bereits bekannt war, nicht jedoch in Pata­gonien.

Die zweite wichtige Erkenntnis: Die Massenänderungen der Gletscher in den tropischen Regionen Süd­amerikas, in Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien, sind deut­lich geringer als bisher gedacht. So kamen bis­lang Hoch­rech­nungen zu dem Ergebnis, dass die rund 2900 Gletscher dort eine Massen­ände­rung von etwa sechs Giga­tonnen pro Jahr zeigen. Die aktu­elle Studie zeigt jedoch, dass es nur 0,55 Giga­tonnen pro Jahr sind. Dieses Ergebnis ist wichtig, weil in den tropischen und sub­tropischen Regionen die Gletscher rele­vant für die Wasser­ver­sorgung in der Trocken­zeit sind. Wenn kein Regen fällt und die Tempera­turen am höchsten sind, wird aus dem Schmelz­wasser der Gletscher Trink­wasser gewonnen, werden damit Pflanzen bewässert und Kraft­werke ange­trieben. Gerade für diese Regionen ist es daher wichtig zu wissen, wie stark sich die Gletscher ändern – und dafür sind quanti­tative Aus­sagen zu den Volumina und Massen von Bedeu­tung, nicht nur zu den Flächen­ände­rungen. In einigen Gebieten wie den zentralen Anden von Chile und Argen­tinien oder der Cordillera Real in Bolivien gehen Experten sogar davon aus, dass die maxi­male Wasser­menge durch Abschmelzen bereits über­schritten ist. Das ist ein Hinweis darauf, dass Gletscher unauf­haltsam auf dem Rück­zug sind und in abseh­barer Zeit ganz ver­schwunden sein werden. Diese Gebiete werden also in Zukunft in der Trocken­zeit mit weniger Wasser rechnen müssen.

Im Rahmen der Studie wurden auch einige Gebiete erstmals systema­tisch unter­sucht, die kaum Ände­rungen zeigten wie zum Beispiel die Anden im nörd­lichen Chile und Argen­tinien sowie im süd­lichen Bolivien auf der geo­gra­phischen Breite der Atacama-Wüste. Die Forscher hoffen nun, dass ihre Studie Eingang in den nächsten Bericht des Welt­klima­rats findet – schließ­lich trägt ein Teil des abge­schmol­zenen Gletscher­eises zum Anstieg der Meeres­spiegel bei, vor allem die riesigen Eis­flächen in Pata­gonien sind dafür rele­vant. Doch auch für andere Über­sichts­analysen werden Gletscher als ein Indikator für Klima­ände­rungen heran­gezogen. Das Team möchte jetzt seine Analysen weiter aus­dehnen auf andere Regionen und vor allem zeit­lich fort­schreiben. Derzeit läuft eine Aktua­lisie­rung des globalen Gelände­modells der TanDEM-X-Mission – die Forscher hoffen, von diesen Daten in Zukunft profi­tieren zu können. Zudem setzen sie auf weitere geplante natio­nale Missionen wie die Tandem-L-Satelliten, die unter anderem solche Messungen mit höherer zeit­licher Wieder­holungs­rate ermög­lichen würden.

FAU / RK

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