Satelliten messen Eisverlust von Gletschern
Detaillierte Untersuchung aller vergletscherten Gebiete Südamerikas.
Ein Vergleich historischer Fotos von Gletschern mit aktuellen Aufnahmen zeigt: Wo einst Eis lag, ist mittlerweile häufig Fels zu sehen. Geographen interessieren sich nicht vorrangig für die Ausdehnung, sondern für die Masse eines Gletschers. Forscher der Uni Erlangen-Nürnberg haben erstmals alle vergletscherten Gebiete Südamerikas so detailliert wie nie untersucht – von den tropischen Gebieten Venezuelas bis zu den subpolare Regionen Feuerlands. Ihre zwei wichtigsten Erkenntnisse: Die größten Massenverluste gibt es im patagonischen Inlandeis und die Gletscher in den Tropen haben deutlich weniger Masse verloren als bisher hochgerechnet.
Die Forscher der Uni Erlangen-Nürnberg haben für ihre Vermessung der südamerikanischen Gletscher auf Satellitendaten gesetzt, jedoch auf Höhenmessungen und nicht – wie sonst üblich – auf Schwerefeldanalysen. Seit 2010 kreisen zwei Radarsatelliten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt um die Erde. Ziel der TanDEM-X-Mission war ein dreidimensionales Abbild der Erde in einheitlicher Qualität und bislang unerreichter Genauigkeit – Höhenunterschiede im Gelände wurden auf einen Meter genau erfasst. Diese Daten aus dem Zeitraum 2011 bis 2015 nutzte das Team und verglich sie mit Messungen der Shuttle Radar Topography Mission aus dem Jahr 2000. Aus den Differenzen berechneten sie in einem komplexen Verfahren – unter anderem mussten sie verschiedene Korrekturen und Fehlerberechnungen durchführen – die Höhenveränderungen in den Gletscherregionen Südamerikas und daraus die Veränderungen der Gletschermassen. Das Besondere daran: Sie konnten mit einem einheitlichen Messverfahren alle vergletscherten Gebiete in der Region erfassen. Zudem lieferte die Methode sogar präzise Daten für einzelne Gletscher. Durch den Vergleich der Messungen aus den beiden Raumfahrtmissionen entstand so ein detailliertes Bild für ganz Südamerika. Erstmals war es den Forschern auch möglich, die großen patagonischen Inlandeisflächen getrennt von umliegenden, kleineren Gletschern zu analysieren.
Die größte Abnahme, sowohl absolut als auch relativ im Vergleich zu den anderen südamerikanischen Gletschern, stellten sie bei den beiden patagonischen Inlandeisfeldern fest – zwei Gebiete, die mit einer Fläche von rund 18.000 Quadratkilometern in etwa so groß sind wie Rheinland-Pfalz. Die Masse der Gletscher ist dort um rund 17,4 Gigatonnen pro Jahr geschrumpft, das entspricht 19,3 Kubikkilometer pro Jahr. Selbst Gletschergebiete, die in den Tropen liegen, haben nicht einen derart hohen Anteil ihrer Masse verloren. Der Grund dafür könnte sein, dass die großen Auslassgletscher in Patagonien, die nach engen Tälern zum Beispiel ins Meer oder in Seen fließen, eine dynamische Anpassung unterlaufen: Sie haben sich von einer stabilen Position zurückgezogen und müssen erst wieder eine neue stabile Front ausbilden. Diese Prozesse sind für Gezeitengletscher, die im Meer enden, bekannt und zunächst unabhängig von klimatischen Einflüssen, auch wenn diese Auslöser gewesen sein können. Dieses Phänomen spielt bei großen Gletschern, wie sie in Patagonien vorkommen, sogar eine bedeutendere Rolle als Einflüsse durch Temperaturänderungen. Was die Wissenschaftler bereits bei vorhergehenden Untersuchungen festgestellt hatten: Ganze Gletscher sind in Patagonien verschwunden – ein Ergebnis, das zwar für andere Gebiete in Bolivien bereits bekannt war, nicht jedoch in Patagonien.
Die zweite wichtige Erkenntnis: Die Massenänderungen der Gletscher in den tropischen Regionen Südamerikas, in Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien, sind deutlich geringer als bisher gedacht. So kamen bislang Hochrechnungen zu dem Ergebnis, dass die rund 2900 Gletscher dort eine Massenänderung von etwa sechs Gigatonnen pro Jahr zeigen. Die aktuelle Studie zeigt jedoch, dass es nur 0,55 Gigatonnen pro Jahr sind. Dieses Ergebnis ist wichtig, weil in den tropischen und subtropischen Regionen die Gletscher relevant für die Wasserversorgung in der Trockenzeit sind. Wenn kein Regen fällt und die Temperaturen am höchsten sind, wird aus dem Schmelzwasser der Gletscher Trinkwasser gewonnen, werden damit Pflanzen bewässert und Kraftwerke angetrieben. Gerade für diese Regionen ist es daher wichtig zu wissen, wie stark sich die Gletscher ändern – und dafür sind quantitative Aussagen zu den Volumina und Massen von Bedeutung, nicht nur zu den Flächenänderungen. In einigen Gebieten wie den zentralen Anden von Chile und Argentinien oder der Cordillera Real in Bolivien gehen Experten sogar davon aus, dass die maximale Wassermenge durch Abschmelzen bereits überschritten ist. Das ist ein Hinweis darauf, dass Gletscher unaufhaltsam auf dem Rückzug sind und in absehbarer Zeit ganz verschwunden sein werden. Diese Gebiete werden also in Zukunft in der Trockenzeit mit weniger Wasser rechnen müssen.
Im Rahmen der Studie wurden auch einige Gebiete erstmals systematisch untersucht, die kaum Änderungen zeigten wie zum Beispiel die Anden im nördlichen Chile und Argentinien sowie im südlichen Bolivien auf der geographischen Breite der Atacama-Wüste. Die Forscher hoffen nun, dass ihre Studie Eingang in den nächsten Bericht des Weltklimarats findet – schließlich trägt ein Teil des abgeschmolzenen Gletschereises zum Anstieg der Meeresspiegel bei, vor allem die riesigen Eisflächen in Patagonien sind dafür relevant. Doch auch für andere Übersichtsanalysen werden Gletscher als ein Indikator für Klimaänderungen herangezogen. Das Team möchte jetzt seine Analysen weiter ausdehnen auf andere Regionen und vor allem zeitlich fortschreiben. Derzeit läuft eine Aktualisierung des globalen Geländemodells der TanDEM-X-Mission – die Forscher hoffen, von diesen Daten in Zukunft profitieren zu können. Zudem setzen sie auf weitere geplante nationale Missionen wie die Tandem-L-Satelliten, die unter anderem solche Messungen mit höherer zeitlicher Wiederholungsrate ermöglichen würden.
FAU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
M. H. Braun et al.: Constraining glacier elevation and mass changes in South America, Nat. Climate Change, online 14. Januar 2019); DOI: 10.1038/s41558-018-0375-7 - Institut für Geographie, Naturwissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- TanDEM-X-Mission, Deutsches Zentrum für Luft- und Raum