22.06.2006

Schlechte Schätzung

Der Treibhausgas-Ausstoß einiger Industrieländer ist offensichtlich deutlich höher als von den jeweiligen Regierungen geschätzt.


Schlechte Schätzung

London (dpa) - Der Treibhausgas-Ausstoß einiger Industrieländer ist nach Schätzungen von Experten deutlich höher als von den jeweiligen Regierungen angegeben. So gebe Großbritannien möglicherweise über 90 Prozent mehr Methan in die Atmosphäre ab. Frankreich liege bei bis zu 47 Prozenten über den Werten, die für den Emissionshandel im Kyoto-Protokoll angegeben worden seien, berichtet das britische Magazin «New Scientist» mit Verweis auf Peter Bergamaschi vom EU-Forschungszentrum in Ispra (Italien). Methan gilt nach Kohlendioxid als das zweitbedeutendste Treibhausgas beim menschengemachten Treibhauseffekt.

Der Grund für den Unterschied seien unzureichende Berechnungen von «unten nach oben», die jedoch den tatsächlichen Treibhaus-Gasgehalt der Atmosphäre gar nicht berücksichtigten, hieß es. Während die Regierungen quasi zusammenrechneten, was Industrie, Haushalte oder Landwirtschaft an Treibhausgasen produzieren, betrachtete Bergamaschis Team weiträumige Messdaten direkt aus der Atmosphäre, jeweils unter Berücksichtigung von Witterungsverhältnissen. Er beachtete dabei auch im Detail die Unterschiede in den Erdregionen. So sind Methankonzentrationen über Großstätten generell höher als über natürlichen Senken wie Ozeanen. Es gibt jedoch auch natürliche Methanquellen wie Sümpfe.

Demnach stieß allein Großbritannien 2004 rund 4,21 Millionen Tonnen Methan aus, während nur 2,19 Millionen deklariert worden seien. In Frankreich lag das Verhältnis nach Bergamaschis Rechnungen bei 4,43 Millionen Tonnen tatsächlichem Ausstoß im Vergleich zu 3,01 Millionen deklariertem. Deutschland schätzt seinen Methan-Ausstoß demnach auf immerhin etwa 70 Prozent des tatsächlich in der Atmosphäre gemessenen ein.

Neben viel Unwissen über Berechnungsgrundlagen, vor allem in den späten 90er Jahren, komme der Emissionshandel als Beweggrund für die niedrigeren Deklarationen hinzu, monierte auch Euan Nisbet von der Royal Holloway University in London. Als Mitglied der Global Atmosphere Watch (GAW), einem Zusammenschluss aus Experten der Welt-Meteorologie-Organisation, spricht er sich für den Ausbau eines unabhängigen globalen Netzwerks von Messstationen aus, deren Daten frei zugänglich sein sollten. «Denn nun, wo mit den Regeln des Kyoto-Protokolls und dem Emissionshandel Geld ins Spiel kommt, kommt möglicherweise auch der Betrug ins Spiel. Denn jetzt gibt es Anreize dafür, die eigenen Ausstöße zu niedrig einzuschätzen», sagt Nisbet.

Die Industrieländer wollen den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2010 um mindestens fünf Prozent unter das Niveau von 1990 senken. In der EU wurde dazu der Handel mit Verschmutzungsrechten im vergangenen Jahr eingeführt: Wer vergleichsweise sauber produziert, kann Emissionszertifikate verkaufen. Wer stärker verschmutzt, muss zukaufen.

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