16.06.2020

Theoretiker mit Weitblick

Valery Rubakov erhält den diesjährigen Hamburger Preis für theoretische Physik.

Forschungsteams auf der ganzen Welt konnten in den vergangenen Jahren wichtige Erkenntnisse über die Entstehung des Universums gewinnen. Sie stützten sich dabei auch auf die Arbeiten von Valery Rubakov. Für seine Forschung erhält der russische Physiker in diesem Jahr den mit 137.036 Euro dotierten Hamburger Preis für  theoretische Physik. Rubakov ist leitender Wissenschaftler am Institut für Kernforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau und Professor an der Staatlichen Lomonossov-Universität Moskau. Der Preis wird Rubakov im November 2020 in Hamburg gemeinsam von der Joachim Herz Stiftung, dem Wolfgang-Pauli-Centre von DESY und der Universität Hamburg, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) und den beiden Exzellenz­clustern „CUI: Advanced Imaging of Matter“ und „Quantum Universe“ der Universität Hamburg verliehen.
 

Abb.: Valery Rubakov erhält den Hamburger Preis für theoretische Physik 2020...
Abb.: Valery Rubakov erhält den Hamburger Preis für theoretische Physik 2020 (Bild: J. Herz Stiftung)

Der Hamburger Preis für theoretische Physik ist eine der höchst­dotierten Auszeichnungen für Physik in Deutschland. Das Preisgeld ist eine Anspielung auf die Sommerfeldsche Fein­struktur­konstante. Rubakov gehört zu den anerkanntesten zeitgenössischen russischen theoretischen Physikern. Er deckt ein breites Forschungs­feld ab und gilt als Experte in der Quanten­feldtheorie, der Elementar­teilchen­physik und der Kosmologie.

„Mit Valery Rubakov zeichnen wir in diesem Jahr einen Forscher aus, der weitreichende Impulse in vielen Bereichen der theoretischen Physik gegeben hat. Sie haben unsere Sicht auf das Universum maßgeblich geprägt. Er hat wichtige Beiträge für unser Verständnis der Zeit kurz nach dem Urknall und der weiteren Entwicklung unseres Kosmos geleistet, zum Beispiel zur Entstehung von Materie und zum Verschwinden der Antimaterie und damit zur Frage, warum sich Planeten und auch unsere Existenz auf der Erde überhaupt entwickeln konnten“, so Henneke Lütgerath, Vorstands­vorsitzender der Joachim Herz Stiftung.

Als Preisträger wird Rubakov ab Herbst 2020 auch Forschungs­aufenthalte in Hamburg absolvieren und sich mit hiesigen Wissenschaftlern austauschen. „Wir freuen uns, dass mit Valery Rubakov ein Wissenschaftler mit Visionen ausgezeichnet wurde. Er hat tiefgreifende theoretische Fragen aufgeworfen, die noch immer Forschungs­aktivitäten in der theoretischen Physik antreiben und somit auch für die Grundlagen­forschung der Hamburger Teilchen­physiker relevant sind. Durch seine fundierten Forschungen hat Rubakov einen großen und weitreichenden Einfluss auch auf benachbarte Fachgebiete und ist somit nicht nur für uns Theoretiker ein spannender Preisträger, sondern auch für die Mathematiker und Experimental­physiker“, sagte Volker Schomerus, Jury­vorsitzender für die Preisvergabe und Sprecher des Wolfgang-Pauli-Centre. Das 2013 gegründete Institut bündelt die Forschungs­aktivitäten in der theoretischen Physik in Hamburg.

Valery Rubakov, geboren 1955, hat Physik an der Lomonosov Universität in Moskau studiert und wurde 1981 am Institut für Kernforschung promoviert. 1987 wurde er dort Vizedirektor der Forschung und 1994 leitender Wissenschaftler. Er ist seit 1998 Vollmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, seit 2015 Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und korrespondierendes Mitglied der Hamburger Akademie der Wissenschaften. Für seine Forschungen erhielt Rubakov zahlreiche Preise. 

Im klassischen Standardmodell der Elementarteilchenphysik wird das Proton als stabil angesehen. Rubakov stellte diese Annahme in Frage und entwickelte die Theorie zur Katalyse des Protonen­zerfalls durch magnetische Monopole, den Callan-Rubakov-Effekt. Dieser Effekt besagt, dass ein magnetischer Monopol den Zerfall von Protonen, also den Grundbausteinen unserer Materie, erzeugen und einen beobachtbaren Fußabdruck in Form von Neutrinos hinterlassen würde. Magnetische Monopole müssten kurz nach dem Urknall des Universums entstanden sein und theoretisch auch heute noch vereinzelt auftreten. 

Auch für die Suche nach einer allumfassenden Theorie, die das Standard­modell der Elementar­teilchen und die allgemeine Relativitäts­theorie vereint, gab Rubakov wichtige Impulse. Das Standard­modell der Elementar­teilchen versagt, wenn es darum geht, die Schwer­kraft zu erklären. Um beide Theorien zusammenzuführen, sind weitere räumliche Dimensionen notwendig. Rubakov hat etwa zeitgleich mit den String­theoretikern Anfang der 1980er Jahre ein theoretisches Model mit solchen zusätzlichen Dimensionen vorgestellt. Ihm zufolge könnten Raum und Zeit unseres Weltalls wie die zwei Richtungen eines flachen Blatt Papiers oder einer Membran dargestellt werden. Rubakov vermutete, dass wir in einer vier­dimensionalen Raumzeit leben, die Teil eines höher­dimensionalen Universums ist, das als mehrere Papierschichten, die „Branen“ dargestellt werden könnte. 

Auch zur Entstehung von Materie und zum Verschwinden der Antimaterie aus dem Universum lieferte Rubakov wichtige Erklärungs­modelle. Da unser Universum aus Materie besteht, muss kurz nach dem Urknall in der frühen Entstehungsphase unseres Universums ein asymmetrischer Prozess für ein Ungleich­gewicht zwischen Materie und Antimaterie gesorgt haben. Die Verletzung der Baryonen­zahl im Standard­modell, die Rubakov bereits Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte, liefert eine wichtige theoretische Erklärung für die Entstehung dieses Ungleich­gewichts und ist auch heute noch eine der drängendsten Fragen und ein aktives Forschungsfeld. Zahlreiche Experimente in Teilchen­beschleunigern zielen heute darauf ab, die Eigenschaften von Anti­materie zu untersuchen und so Hinweise auf die Entstehung unseres Universums und seine bis heute andauernde Expansion zu finden. 

J. Herz Stiftung / DE
 

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