Tüftler-Ehre: Deutscher Zukunftspreis geht nach Baden-Württemberg
Liebling, ich hab' die Sensoren geschrumpft - Zukunftspreis für Bosch
Liebling, ich hab' die Sensoren geschrumpft - Zukunftspreis für Bosch
Reutlingen (dpa) - Der große Stolz der Ingenieure aus Baden- Württemberg ist nur drei tausendstel Millimeter groß und wackelt ständig hin und her. Die cleveren Mini-Sensoren, die Bundespräsident Horst Köhler am Mittwochabend mit dem begehrten Deutschen Zukunftspreis auszeichnete, sind eine Erfindung für viele Bereiche - von der Unterhaltungselektronik bis hin zur Altenpflege. In wirtschaftlichen Krisenzeiten gilt die Preisvergabe an ein Tochterunternehmen der Firma Bosch in Reutlingen auch als Signal für den Arbeitsmarkt. In einem neuen Halbleiterwerk soll die Produktion der Messfühler aus Silizium in den kommenden Jahren 800 Arbeitsplätze schaffen.
Die Freude über die Auszeichnung war den Siegern am Abend anzusehen. Sie erhalten nicht nur 250 000 Euro Preisgeld. Der Zukunftspreis ist auch ein gutes Qualitätssiegel für die Vermarktung. «Das war keine Einzelleistung. Das war nur zu realisieren, weil viele Leute mitgemacht haben», sagte Entwicklungs-Ingenieur Jiri Marek als Teamsprecher. Bundespräsident Horst Köhler nannte die Wahl der Jury eine «schöne Entscheidung». Der Zukunftspreis stehe in besonderem Maße für die Umsetzung in Produkte - und damit für Arbeitsplätze. In der Globalisierung käme es nicht auf die Größe an, sondern auch auf Pfiffigkeit.
Die pfiffigen kleinen Bosch-Sensoren aus Silizium, die nur unter einem Mikroskop zu sehen sind, können Bewegungen wie Sinnesorgane wahrnehmen und darauf reagieren. Sie funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Eine Beschleunigung überträgt sich auf die winzige Feder, elektronische Bauteile können die Beschleunigung dadurch messen.
Einige Anwendungen sind alt und bewährt. Fährt ein Auto gegen einen Baum, registrieren Sensoren den Aufprall und lösen den Airbag aus. Doch die Reutlinger Forscher haben ganz andere Anwendungen im Blick. Als Beispiel holt Ingenieur Frank Melzer sein Mobiltelefon aus der Tasche. «Wenn ich mein Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch lege, ist es stumm geschaltet.» So müsse man die Stumm-Funktion etwa bei Konferenzen nicht mehr aufwendig über die Tasten auswählen. Auch moderne Spielkonsolen nutzen die Technik bereits. Je nach Spiel wird die Fernbedienung etwa wie ein Tennisschläger benutzt. Winzige Sensoren übertragen die Schlag-Bewegung an die Konsole.
Größe und Stromverbrauch der elektronischen Messfühler spielten bisher im Auto kaum eine Rolle. Allerdings sei kein Kunde bereit, für eine kleine Spielerei im Handy ähnlich viel Geld auszugeben wie für einen lebensrettenden Airbag, ergänzt Melzer. Auch beim Verbrauch müssen die Handy-Sensoren viel genügsamer sein. Also haben die Reutlinger ihre Messfühler systematisch immer weiter «geschrumpft» und entwickelten eine Methode, mit der sie winziger, stromsparender und kostengünstiger produziert werden können als bisher. Knapp einen Euro kostet nun das preisgünstigste Modell.
Schon jetzt produziert Bosch in Reutlingen 200 Millionen Sensoren pro Jahr und verzeichnete im vergangenen Jahr eine Wachstumsrate von 50 Prozent. 2000 Menschen arbeiten im Bereich Sensoren-Technik. Und ein Ende des Wachstums ist nach Überzeugung der Entwickler nicht in Sicht.
Denn noch gibt es viele ungenutzte Anwendungsmöglichkeiten. In der Altenpflege würden die Sensoren Alarm schlagen, wenn ein Mensch hingefallen ist. Wenn ein Laptop vom Tisch rutscht, könnte die Festplatte vor dem Aufprall noch schnell die Daten sichern. Ein Navigationssystem wüsste, auf welcher Etage in einem Einkaufszentrum sich sein Besitzer befindet - die Suche nach der Pizzeria würde noch einfacher. Allerdings sind den Reutlingern ihre Mini-Sensoren noch immer zu groß. «Das Ende der Fahnenstange ist längst noch nicht erreicht», sagt Melzer. Seine Devise lautet: weiterschrumpfen.
Marc Herwig und Ulrike von Leszczynski
Hintergrund: Die bisherigen Träger des Deutschen Zukunftspreises
Der Deutsche Zukunftspreis wurde 1997 zum ersten Mal verliehen. Die bisherigen Träger der mit 250 000 Euro dotierten Auszeichnung sind:
1997: Der Ingenieur Christhard Deter von der Geraer Firma Laser- Display-Technologie KG für das «Laser-TV», eine Großbildprojektion mit Hilfe von Lasern.
1998: Der Physiker Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich für einen hochsensiblen Festplatten-Sensor, der die Speicherkapazität drastisch erhöht hat und heute in praktisch allen modernen Festplatten zu finden ist.
1999: Die Direktoren Peter Gruss und Herbert Jäckle vom Max- Planck- Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen für ihre Arbeiten zu molekularbiologischen Verfahren für eine innovative medizinische Therapie, etwa bei Diabetes.
2000: Bernhard Grill und Harald Popp vom Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen sowie Professor Karlheinz Brandenburg vom IIS in Ilmenau für das Datenkompressionsverfahren MP3 («Motion Picture Experts Group audio layer 3»).
2001: Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) für sprachverstehende Computer als Dialog- und Übersetzungsassistenten.
2002: Die Biochemikerinnen Maria-Regina Kula und Martina Pohl des Instituts für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für «sanfte» Chemie mit biologischen Katalysatoren, mit denen etwa hochwertige Chemikalien für die Herstellung von Medikamenten oder Duftstoffen erzeugt werden können.
2003: Ein Team um Kazuaki Tarumi von der Firma Merck in Darmstadt für die Entwicklung von Flüssigkristallen für Fernseh- Flachbildschirme geehrt.
2004: Rainer Hintsche, Walter Gumbrecht und Roland Thewes vom Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie im schleswig- holsteinischen Itzehoe und von Siemens für ein Labor auf dem Chip, mit dem sich schnell etwa Krankheitserreger feststellen lassen.
2005: Drei Forscher von Robert Bosch in Stuttgart und Siemens VDO Automotive in Regensburg für die Entwicklung sparsamer Automotoren. Friedrich Boecking, Klaus Egger und Hans Meixner entwickelten gemeinsam die sogenannte Piezo-Einspritztechnik, die Kraftstoff sparen und Abgase verringern hilft.
2006: Der Göttinger Physiker Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie für ein verbessertes Lichtmikroskop, das winzige Details in einer Schärfe abbilden kann, die lange als physikalisch unerreichbar galt. So gewährt es zum Beispiel Einblicke in das Innere lebender Zellen.
2007: Forscher des Jenaer Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik sowie der Regensburger Firma Osram Opto Semiconductors für die Entwicklung leistungsstärkerer Leuchtdioden (LEDs).
Weitere Infos:
- Deutscher Zukunftspreis
www.deutscher-zukunftspreis.de
GWF