26.01.2024

Turbulenz und das Rätsel der Wolken

Das komplexe Geschehen in der Atmosphäre und die kommenden Beobachtungsmöglichkeiten sind Titelthema der neuen „Physik in unserer Zeit“.

Eberhard Bodenschatz

Was sind Wolken? Wasserdampf, der in der Atmosphäre aufsteigt, kondensiert an kleinen Aerosolen. Tröpfchen oder Eiskristalle keimen, wachsen, schrumpfen und stoßen zusammen, wenn sich die Luftpakete in den inhomogenen und instabilen turbulenten Bedingungen einer Wolke bewegen. Wolken sind räumlich und zeitlich hochgradig variabel und inhomogen. Die turbulente Strömungsdynamik und die mikrophysikalischen Prozesse sind auf diesen Skalen eng miteinander verknüpft und spielen eine wesentliche Rolle bei der Wolkenentwicklung. Wie genau diese Prozesse zusammenwirken, ist bis heute ein Rätsel. Die Schwierigkeit, die turbulente Wolkenphysik zuverlässig zu parametrisieren, ist eine der Hauptursachen für die Unsicherheit von Wetter- und Klimaprognosen.


Eberhard Bodenschatz
Abb.: Eberhard Bodenschatz ist Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und lehrt an der Universität Göttingen. Er erforscht die Effekte von Turbulenz und thermische Konvektion.
Quelle: MPI-DS

In der neuen „Physik in unserer Zeit“ stellt Jörg Asmus die kommende Generation der Metop-Wettersatelliten vor, und der Artikel von Thomas Foken und Christoph Kottmeier widmet sich der bodennahen Turbulenz der Luft. Doch Turbulenz treibt auch den Transport, die Aufwirbelung und die Durchmischung in den Wolken an und führt zu starken Schwankungen der Temperatur, der Feuchte und der Aerosolkonzentration. Dies führt zu Temperatur- und Dichteänderungen, die die Strömung auf- und absteigen lassen. Mit anderen Worten: Die Turbulenz der Wolke ist aktiv – nicht unähnlich der Turbulenz bei Verbrennungsprozessen. In der Wolkenphysik wirken all diese Faktoren in ihrer Komplexität dynamisch zusammen und beeinflussen das Verhalten der Wolke von Millimetern bis zu Hunderten von Metern. 

Wir verstehen die großskaligen Strömungsvorgänge in einer Wolke bis hin zu Wetter und Klima recht gut. Über Aerosole wissen wir immer mehr. Die Physik der Phasenübergänge ist gut bekannt. Auch das Verständnis voll ausgebildeter turbulenter Strömungen hat sich rasant entwickelt. Mit modernen Laborapparaturen können etwa die Nukleation und das Wachstum von Wolkenpartikeln unter gut kontrollierten Bedingungen untersucht werden, wie im Cloud Experiment am CERN, bei AIDA in Karlsruhe oder unter turbulenten Bedingungen an LACIS-T in Leipzig. Computermodelle von der Wolke bis zur globalen Skala klären Wechselwirkungen zwischen Aerosolen und Wolkendynamik auf. 

Die großen, noch ungelösten Fragen sind: Warum bildet sich Niederschlag schneller, als die Modelle vorhersagen, oder: Warum wachsen einige wenige Wolkenteilchen – Wassertröpfchen und Eiskristalle – in einer vergleichsweise homogenen Wolke viel schneller als andere?

Lange Zeit hat man die Entstehung von Regen auf Zusammenballungen der Wolkenteilchen zurückgeführt, die mit unterschiedlichen Endgeschwindigkeiten in eine ruhige Flüssigkeit fallen. Diese Sichtweise vernachlässigt, dass Wolken turbulent sind. Die Turbulenz erzeugt Beschleunigungen, die mit der Schwerkraft konkurrieren. Das sorgt für komplexe Partikelbahnen, welche die Stromlinien des Fluids kreuzen und zu räumlich gebündelten Partikelverteilungen führen – ganz ähnlich wie die Kaustiken in der Optik, wie man sie sehr gut auf dem Boden eines Schwimmbeckens sehen kann. Es wird spekuliert, dass dieser Prozess die Kollisionsraten deutlich erhöht und damit die Bildung größerer Wolkenteilchen aus einer sonst homogenen Teilchenverteilung begünstigt. Dies wiederum beschleunigt die Niederschlagsbildung. Diese großen Teilchen fallen dann schneller nach unten als die anderen und sammeln auf ihrem Weg nach unten die kleineren Teilchen auf. Je schwerer sie werden, desto schneller wachsen sie. Das könnte erklären, warum es so viel schneller regnet, als die Modelle bisher vorhersagen.

Immer bessere Messungen offenbaren faszinierende kleinskalige Wolkenstrukturen, die früher nicht sichtbar waren. Laborexperimente und numerische Simulationen liefern Informationen über die Wolkenmikrophysik und die Turbulenzdynamik. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in zehn Jahren die Wolkenphysik deutlich besser im Griff haben werden. 

Hoffen wir, dass die Forschung schnell genug ist. Für das „Solar-Engineering“, das aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen schnell notwendig werden könnte, liegen zwei wesentliche Vorschläge auf dem Tisch: zum einen die Verdunkelung der Stratosphäre durch Aerosole, zum anderen die Beeinflussung der Wolken, um sie weißer zu machen. Beim „Cloud Whitening“ werden Aerosole, Salzkristalle aus Meerwasser, von Spezialschiffen in die Luft geblasen, um die Wolkentröpfchen zu vermehren. Diese weißen Wolken strahlen mehr Licht zurück und kühlen ab. Dadurch wird aber das Wetter und das Klima weltweit direkt beeinflusst. Dies ohne ausreichende wissenschaftliche Kenntnisse zu tun ist fahrlässig. Deshalb appelliere ich für eine massive Stärkung der Forschung auf diesem Gebiet. 

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