16.03.2023

Überflieger heben ab

Gewinnerexperimente des Überflieger-2-Wettbewerbs brechen auf zur ISS.

Gerade einmal anderthalb Jahre ist es her, seitdem die Deutsche Raumfahrt­agentur gemeinsam mit der Luxembourg Space Agency (LSA) den Startschuss für den Überflieger-2-Wettbewerb gegeben hatte. Vom 23. August bis zum 15. Oktober 2021 hatten beide Raumfahrtagenturen Studierende dazu aufgerufen, Ideen für eigene Experimente auf der Internationalen Raum­station ISS einzureichen. Nach der Bekanntgabe der Gewinner am 2. Dezember 2021 hatten die Teams ein Jahr Zeit, ihre Technik zu entwickeln, zu bauen und fit für den Flug ins All zu machen. Am 15. März 2023 ist es dann so weit: Die Gewinner­experimente werden an Bord einer Falcon-9-Rakete des US-amerikanischen Raum­fahrt­unternehmens SpaceX von Cape Canaveral (Florida) zur Internationalen Raumstation ISS aufbrechen.

 

Abb.: Gehirn­forschung unter Weltraum­bedingungen (Bild: yuri GmbH / German...
Abb.: Gehirn­forschung unter Weltraum­bedingungen (Bild: yuri GmbH / German Space Agency at DLR)

„Wir freuen uns sehr, dass wir vier ambitionierte Experimente von engagierten Studentinnen und Studenten aus Deutschland und Luxemburg gemeinsam mit unseren Kollegen aus dem Nachbarland in so kurzer Zeit auf den Weg zur ISS gebracht haben. Mit Überflieger 2 unterstützen wir junge Talente in enger länderübergreifender Zusammen­arbeit und zeigen dabei: Raumfahrt kann auch schnell gehen und ist keine Frage des Geschlechts. Denn alle Teams werden von Frauen geleitet“, betont Walther Pelzer, DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. Mit dabei an Bord der Rakete sind „ADDONISS“ von der TU München, „BRAINS“ von der University of Luxembourg, „FARGO“ von der Universität Stuttgart und "Glücksklee" von der Leibniz Universität Hannover.

Die Gewinner mussten zunächst ein interdisziplinäres Team aus Studierenden verschiedenster Fach­richtungen zusammenstellen, um alle wissenschaftlichen, technischen und organisatorischen Aspekte der Experiment­entwicklung abzudecken und so in der Lage zu sein, sowohl ihr Experiment zu entwickeln und zu bauen als auch das Projektmanagement und die Qualifikation für den Weltraum zu bewältigen. Geholfen hat ihnen dabei die yuri GmbH – ein deutsches Weltraum-Start-up aus Meckenbeuren, Baden-Württemberg. „

Ein Jahr spannender Arbeit liegt nun hinter den Teams. Sie müssen neben ihrem Studium eine komplette Raumfahrt­mission selbst stemmen. Das ist eine große Leistung und erfordert ein gutes Teamwork. Nun folgt die Kür mit dem Flug zur ISS und dem Betrieb der Experimente. Auf die Ergebnisse dürfen wir schon jetzt sehr gespannt sein“, freut sich Julianna Schmitz, Projektleiterin des Überflieger-2-Wettbewerbs bei der Deutschen Raumfahrt­agentur im DLR. Wenn die Experimente in ihren zehn mal zehn mal zwanzig Zentimeter kleinen Containern auf der Internationalen Raumstation angekommen sind, werden sie von NASA-Astronaut Warren „Woody“ Hoburg oder dem ersten arabischen ISS-Raumfahrer Sultan Alneyadi in Empfang genommen und in das Tango-Lab im US-amerikanischen Destiny-Modul eingebaut.

Dreißig Tage lang werden sie dort voll automatisiert laufen. Programm­änderungen sind aber durch Kommandos möglich, die die Teams an die Betreiberfirma SpaceTango übermitteln können. Auch die Experimentdaten bekommen die Teams von der Betreiberfirma übermittelt. Nach dem Ende der Betriebszeit werden die Experimente ausgebaut und kehren in der Dragon-Kapsel CRS-27 im April 2023 wieder zur Erde zurück.

Unter Weltraumbedingungen laufen in vielen Bereichen Alterungsprozesse deutlich schneller ab. Das hat die bisherige Forschung auf der ISS gezeigt. „Wir wollen uns diese Bedingungen auf der Raumstation nun zunutze machen, um mit unserem Experiment degenerative Erkrankungen des Gehirns – etwa Alzheimer – zu untersuchen. Dazu werden wir versuchen elektrische Signale von neuronalen Zellkulturen unter den dortigen Umgebungsbedingungen zu messen“, erklärt Selina Kanamüller vom Team WARR Space Labs der TU München in ihrem Experiment ADDONISS (Ageing and Degenerative Diseases of Neurons on the ISS).

Die Hälfte der Kulturen wird mit einem Mittel versetzt, welches ähnliche Stoffwechsel­störungen hervorruft wie die Alzheimer-Krankheit. Die Zellkulturen wachsen dabei direkt auf einem Mikrochip, der elektrische Signale und damit die Aktivität der Zellen messen kann. Gleichzeitig wird das Wachstum der Zellen auch von einem miniaturisierten Kamera-Mikroskop beobachtet. „Die Ergebnisse werden wir dann mit Experimenten auf dem Boden vergleichen und so hoffentlich mit unseren Weltraumergebnissen die Alzheimer­forschung auf der Erde vorantreiben“, erklärt Selina Kanamüller.

Im Rahmen des BRAINS-Projekts wird das Wachstum von 3D-Zellkultursystemen, Organoiden, unter Mikrogravitationsbedingungen an Bord der ISS untersucht. Derzeit versuchen Forschergruppen mit Hilfe von Organoiden das menschliche Mittelhirn möglichst genau nachzuahmen. Wenn sie im Labor kultiviert werden, sind die Zellen dichter gepackt und ihre Größe ist in der Regel auf einen Durchmesser von zwei bis drei Millimeter begrenzt. Das schränkt ihre räumliche Organisation und die Vielfalt der Zellpopulationen ein. „Wir wollen uns die Umgebungs­bedingungen auf der Raumstation zunutze machen und die 3D-Zellorganisation der Organoide untersuchen. Wir erhoffen uns größere und weniger dicht gepackte Organoide, die das physiologische menschliche Gehirn genauer nachahmen“, erklärt Elisa Zuccoli vom Team BRAINS (Biological Research using Artifical Intelligence for Neuroscience in Space) der University of Luxembourg. Die Forscher gehen davon aus, dass das Wachstum der Mittel­hirn­organoide unter Mikrogravitation einen großen Einfluss auf die zukünftige Pharma­industrie und die regenerative Medizin haben könnte.

Während des ersten Überflieger-Wettbewerbs kam im Jahr 2018 das PAPELL-Experiment auf die ISS. Nun ist das Team des studentischen Vereins KSat e.V. von der Universität Stuttgart zum zweiten Mal dabei. „Wir bringen mit unserem neuen Experiment drei Anwendungen von Ferrofluiden auf die Raumstation, um die Reaktion ihrer magnetischen Partikel auf Magnetfelder unter den dortigen Umgebungs­bedingungen auf die Probe zu stellen. Wir testen zum Beispiel einen thermischen Flüssigkeits­schalter, der die Übertragung von Wärme zwischen zwei Bauteilen regelt, und einen elektrischen, der einen Stromkreis schließen und öffnen soll. Außerdem erproben wir ein neuartiges System, bei dem wir durch Verwendung von Ferrofluid die Lageregelung von Kleinsatelliten übernehmen möchten“, erklärt Nicolas Heinz vom Team FARGO (Ferrofluid Application Research Goes Orbital). Allen drei Anwendungen ist gemeinsam, dass sie auf mechanische Teile weitestgehend verzichten, um die Gefahr eines Ausfalls aufgrund von Verschleiß deutlich zu reduzieren. Das Experiment untersucht nun, inwiefern die drei Konzepte in der Schwerelosigkeit funktionieren, um sie zukünftig bei Raumfahrt­missionen einsetzen zu können.

Für zukünftige Langzeitmissionen im Weltraum müssen die astronautischen Crews auch zu „Selbst­versorgern“ werden und Pflanzen als Nahrungsquelle in den Raum­fahrzeugen anbauen können. „Allerdings wirkt sich die veränderte Schwerkraft während solcher Missionen auf das Pflanzenwachstum aus. Daher wollen wir auf der Raumstation die Veränderungen in der symbiotischen Beziehung von Klee (Medicago truncatula) und in der Erde lebenden Bakterien (Sinorhizobium melilot) in der Schwerelosigkeit erforschen“, erklärt Pia Bensch vom Team Glücksklee der Leibniz Universität Hannover.

Am Boden nisten sich die Bakterien in den Wurzeln des Klees ein. Sie erhalten dabei Nährstoffe von der Pflanze und geben an diese Stickstoff ab, den die Pflanze wiederum zum Wachstum braucht. Doch wie läuft dieser Kreislauf unter diesen extremen Bedingungen ab? Um diese Frage zu beantworten, werden mehrere Kleesetzlinge unter kontrollierten Bedingungen im Experiment­container wachsen. Während des Aufenthalts auf der ISS wird das Wachstum von einer Kamera beobachtet. Nach der Rückkehr zur Erde wird der „Weltraum-Klee“ im Labor dann intensiv auf schwerkraft­bedingte Veränderungen genetisch untersucht.

DLR / DE

 

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