21.01.2025

Uraltes Eis aus der Antarktis

Antarktiskampagne Beyond EPICA fördert mehr als 1,2 Millionen Jahre altes Eis zutage.

Die vierte Antarktiskampagne des von der Europäischen Kommission finanzierten Projekts „Beyond EPICA - Oldest Ice“ hat einen historischen Meilenstein für die Klimawissenschaft gesetzt. Ein internationales Team von Forschern mit maßgeblicher Beteiligung der Universität Bern hat erfolgreich einen 2800 Meter langen und über 1,2 Millionen alten Eiskern gebohrt und damit das Grundgestein unter dem antarktischen Eisschild erreicht.


Abb.: Der neue Eiskern, der aus einer Tiefe von bis zu 2800 Metern geborgen...
Abb.: Der neue Eiskern, der aus einer Tiefe von bis zu 2800 Metern geborgen wurde.

Quelle: Mulnavey_PNRA_IPEV

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Die Eisproben sollen zum ersten Mal entscheidende Details über die Geschichte des Klimas und der Atmosphäre der Erde enthüllen, die über 800.000 Jahre hinausreichen und eine kontinuierliche Aufzeichnung der Geschichte unseres Klimas bis zu 1,2 Millionen Jahre zurück und wahrscheinlich darüber hinaus ermöglichen. Das vom Institut für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italiens koordinierte Projekt zielt darauf ab, eines der komplexesten Rätsel der Klimawissenschaft zu lösen.

Am abgelegenen Standort Little Dome C in der Antarktis hat ein Forschungsteam, das zwölf Forschungseinrichtungen aus zehn europäischen Ländern vertritt, gerade diesen historischen Meilenstein erreicht. Das entnommene Eis enthält eine noch nie dagewesene Aufzeichnung der Klimageschichte der Erde, kontinuierliche Informationen über die atmosphärischen Temperaturen und unberührte Proben alter Luft mit Treibhausgasen, die über 1,2 Millionen Jahre und wahrscheinlich älter sind.

„Wir haben einen historischen Moment für die Klima- und Umweltwissenschaft erreicht“, kommentiert Carlo Barbante, Professor an der Universität Ca' Foscari in Venedig, leitendes Mitglied des Instituts für Polarwissenschaften des Nationalen Forschungsrats Italiens (Cnr-Isp) und Koordinator von Beyond EPICA. „Dies ist die längste kontinuierliche Aufzeichnung unseres vergangenen Klimas aus einem Eiskern, und sie kann den Zusammenhang zwischen dem Kohlenstoffzyklus und der Temperatur unseres Planeten aufzeigen. Diese Leistung wurde durch die außergewöhnliche Zusammenarbeit verschiedener europäischer Forschungseinrichtungen und die engagierte Arbeit der Forschenden und des Logistikpersonals vor Ort in den letzten zehn Jahren ermöglicht.“ Das Projekt profitiert auch von der Synergie mit dem von der EU finanzierten ITN-Projekt DEEPICE, das drei Doktoranden zu dieser Feldkampagne entsandte.

„Vorläufige Analysen von Little Dome C deuten darauf hin, dass die obersten 2480 Meter eine Klimaaufzeichnung enthalten, die bis zu 1,2 Millionen Jahre zurückreicht – und zwar in einer hochauflösenden Aufzeichnung, bei der bis zu 13.000 Jahre in einem Meter Eis komprimiert sind“, berichtet Julien Westhoff, leitender Feldwissenschaftler und Postdoc an der Universität Kopenhagen.

Der Forschungsleiter vor Ort, Frank Wilhelms, Professor an der Universität Göttingen und am Alfred-Wegener-Institut, fügt hinzu: „Die Identifizierung des richtigen Ortes erforderte große Anstrengungen mit der Anwendung modernster Radio-Echolot-Technologien und der Modellierung des Eisflusses. Beeindruckend ist, dass wir die Aufzeichnung, die von vor 0,8 bis vor 1,2 Millionen Jahren reicht, genau dort gefunden haben, wo sie vorhergesagt wurde, im Tiefenbereich zwischen 2426 und 2490 Metern, und damit unsere zwanzig Jahre alte EPICA-Eiskernaufzeichnung erweitern können.“

Unterhalb des Eises, das die Klimaaufzeichnungen von mehr als 1,2 Mio. Jahren enthält, bestehen die untersten 210 Meter des Eiskerns über dem Grundgestein aus altem Eis, das stark verformt, möglicherweise vermischt oder wiedergefroren ist und dessen Ursprung unbekannt ist. Fortgeschrittene Analysen könnten dazu beitragen, bisherige Theorien über das Verhalten von wiedergefrorenem Eis unter dem antarktischen Eisschild zu überprüfen und die Vergletscherungsgeschichte der Ostantarktis aufzudecken.

Die europäischen Teams vor Ort haben eine beeindruckende Leistung vollbracht: insgesamt mehr als 200 Tage erfolgreicher Bohrungen und Eiskernbearbeitungen über vier Feldsaisons hinweg in der rauen Umgebung des zentralantarktischen Plateaus auf einer Höhe von 3200 Metern über dem Meeresspiegel und mit einer durchschnittlichen Sommertemperatur von -35°C.

Der Eiskern von Beyond EPICA wird beispiellose Einblicke in den Übergang des mittleren Pleistozäns bieten, einen bemerkenswerten Zeitraum zwischen 900.000 und 1,2 Millionen Jahren, in dem sich die Gletscherzyklen von 41.000 auf 100.000 Jahre verlangsamten. Die Gründe für diese Verschiebung sind nach wie vor eines der größten Rätsel der Klimawissenschaft, das mit diesem Projekt gelüftet werden soll.

„Die wertvollen Eiskerne, die während dieser Kampagne gewonnen wurden, werden an Bord des Eisbrechers Laura Bassi zurück nach Europa transportiert, wobei die Kühlkette von -50°C aufrechterhalten wird, was eine große Herausforderung für die Logistik des Projekts darstellt“, sagt Gianluca Bianchi Fasani, leitender Forscher bei ENEA-UTA (Nationale Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung - Technische Einheit Antarktis) und Leiter der ENEA-Logistik für Beyond EPICA. „Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Strategie entwickelt, die die Konstruktion spezieller Kühlcontainer und eine genaue Planung der Luft- und Seetransportmittel des Nationalen Antarktis-Forschungsprogramms (PNRA) vorsieht.“

Sobald diese Eiskerne in Europa sind, wird sich das Projekt auf die Analyse der Eisproben konzentrieren, um die Klima- und Atmosphärengeschichte der Erde in den letzten 1,2 Millionen Jahren und wahrscheinlich darüber hinaus aufzudecken. In den tiefsten Abschnitten des Kerns könnte sogar noch älteres Eis aus der Zeit vor dem Quartär vorhanden sein. Die darunter liegenden Gesteine werden datiert, um herauszufinden, wann diese Region der Antarktis zum letzten Mal eisfrei war.

Das Lager Little Dome C konnte dank der äußerst effizienten Logistik des französischen Polarinstituts und der ENEA eingerichtet und aufrechterhalten werden, und zwar sowohl dank ihres Fachwissens als auch dank der verschiedenen Transportmittel, die ihnen zur Verfügung standen. Dazu gehörten Flugzeuge für den Transport des Personals zur Station Mario Zucchelli und weiter zur Station Concordia, die Schwertransporte über Eis zwischen den Stationen Dumont d'Urville und Concordia, sowie der Einsatz der französischen und italienischen Forschungsschiffe L'Astrolabe und Laura Bassi.

Die Abteilung für Klima- und Umweltphysik (KUP) der Universität Bern ist eine der zwölf europäischen Mitgliedsinstitutionen des Projekts Beyond EPICA – Oldest Ice und verfügt über umfassende Erfahrung in den Eiskernwissenschaften seit den Anfängen in den 1960er Jahren. Hubertus Fischer ist der Schweizer Untersuchungsleiter des EU-Projekts Beyond EPICA und Co-Vorsitzender der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe von BE-OIC. Thomas Stocker und Hubertus Fischer sind die Untersuchungsleiter des Schweizerischen Nationalfonds-Projekts „Beyond EPICA – The Swiss contribution“, das zusätzlich zu den EU-Mitteln in Höhe von 11 Mio. Euro 3 Mio. CHF für die Logistikkosten des Projekts bereitstellt.

Spezialisiert auf die Analyse atmosphärischer Spezies im Eis (Treibhausgase und ihre Isotope, Edelgase und ihre Isotope, partikuläre und gelöste Aerosolkomponenten im Eis), werden die Analysen der KUP für mehrere der zentralen Ziele des BE-OIC-Projekts, wie die Rekonstruktion der Treibhausgas-, der mittleren Ozeantemperatur-, der Verwitterungs- und der Aerosolaufzeichnungen über die letzten 1,2 Millionen Jahre und darüber hinaus, von wesentlicher Bedeutung sein. Zur Vorbereitung des BE-OIC-Eiskerns hat die KUP in den letzten Jahren völlig neue Analysetechniken entwickelt,etwa im Rahmen des ERC Advanced Grant deepSlice von Hubertus Fischer, die es ermöglichen, diese Aufzeichnungen mit beispielloser Präzision und minimalem Verbrauch dieses außerordentlich alten und wertvollen Eises zu messen. Fischer war auch der Hauptautor einer der ersten Studien, in dem die Ziele von BE-OIC und die Strategie zum Auffinden dieses alten Eises definiert wurden.

„Es ist absolut überwältigend und lohnend zu sehen, dass die Arbeit von mehr als zehn Jahren, um einen Eiskernbohrplatz zu finden und anschließend einen tiefen Eiskern bis zum Grundgestein zu bohren, schließlich genau das Eis liefert, das wir uns vorgestellt haben“, sagt Fischer. „Dies ist ein großer Erfolg und war nur dank der engagierten Arbeit des gesamten Logistik-, Bohr- und Wissenschaftspersonals vor Ort möglich. Jetzt nimmt die spannende BE-OIC-Geschichte richtig Fahrt auf, denn die eigentliche Arbeit an den Eiskernaufzeichnungen beginnt erst und wird uns in den kommenden Jahren sehr beschäftigen.“

Thomas Stocker, der von 1995 bis 2005 auch den Schweizer Beitrag zum Mutterprojekt EPICA leitete, das die bisher längsten Treibhausgasaufzeichnungen von CO2 und CH4 über die letzten 800.000 Jahre lieferte, ist begeistert: „Ein Traum ist wahr geworden, dass die europäische Eiskern-Wissenschaftsgemeinschaft einmal mehr die Führung übernimmt, die Grenzen verschiebt und einen neuen Rekord aufstellt. Zum ersten Mal bringen wir Eiskernproben an die Oberfläche, die kontinuierliche Treibhausgasinformationen während der großen Verlangsamung der Eiszeituhr enthalten.“

An der KUP leitete Stocker auch die Entwicklung von physikalisch-biogeochemischen Klimamodellen mittlerer Komplexität. „Diese Modelle sind der Schlüssel zum Verständnis der neuen Eiskerndaten, der Treibhausgasschwankungen und letztlich der globalen Energiebilanz der Erde“. Und er fügt hinzu: „Mit denselben Modellen untersuchen wir, wie unser Klimasystem in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten auf die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursachten Treibhausgasemissionen reagieren wird.“

U. Bern / DE


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