16.11.2007

Welche Grafik, welche Formulierung?

Bei der Zusammenfassung des UN-Klimaberichts wird über fast jede Grafik und selbst über einzelne Wörter kontrovers diskutiert.

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Bei der Zusammenfassung des UN-Klimaberichts wird über fast jede Grafik und selbst über einzelne Wörter kontrovers diskutiert.

Valencia (dpa) - Vor dem futuristischen Museum ist kaum zu erkennen, dass drinnen bis zum Samstag eines der wichtigsten Dokumente zur Zukunft der Menschheit verhandelt wird. Eine Schulklasse läuft durch das Museu de les Ciències Principe Felipe in Valencia, zwei Polizisten reiten auf Pferden einher, ein paar Delegierte des Weltklimarates eilen im schwarzen Anzug vorbei. Die Träger des diesjährigen Friedensnobelpreises arbeiten an der Zusammenfassung des UN-Klimaberichtes. Dieser Synthesereport kondensiert auf wenigen Seiten, was mehr als 2500 Forscher in den vergangenen Jahren an Warnungen und Empfehlungen in ihrem vierten Klimareport zusammengetragen haben. Eines der Ziele des Weltklimarates (IPCC): Kein Politiker soll sagen können, er habe die vielen tausend Seiten der bisherigen drei Teile nicht lesen oder nicht verstehen können.

In wenigen Tagen, am 3. Dezember, beginnt in Bali auf Grundlage dieses Synthesereports die Verhandlung über einen Nachfolger des Kyoto-Protokolls. Der Rat der Forscher ist klar: Der Mensch darf maximal so viel Kohlendioxid in die Luft blasen, dass er die Atmosphäre um höchstens zwei Grad Celsius erwärmt. Davon hat er in den vergangenen Jahrzehnten bereits etwa 0,7 Grad ausgeschöpft. Nun heißt es also zu sparen.

Vor der Halle hängt schlaff eine UN-Fahne. In dem von Ordnern abgeschirmten Saal haben die Autoren des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) und die politischen Delegationen Platz an langen Tischreihen genommen. Alle haben ihre Laptops aufgeklappt, deren Bildschirme das Halbdunkel etwas erhellen. Der Entwurf wird an mehrere große Leinwände über ihren Köpfen geworfen, jedermann hat dasselbe vor Augen. Mancher Delegierte folgt indes eher seinen E-Mails denn der Diskussion, die sich mitunter nur um einzelne Wörter dreht. Mitunter dämmert einer auch mal leicht weg oder streckt sich ausführlich. Die Sitzung zehrt sichtlich an den Kräften und den Nerven.

Ein Beispiel aus der aktuellen Diskussion: Teil II des Reports, er beschreibt die möglichen Anpassungen an den Klimawandel, enthält eine Grafik. Aus der ist abzulesen, welche Folgen welche steigende Temperatur hätte. Bei zwei Grad ist zum Beispiel die Mehrheit der Korallen ausgebleicht. Bei drei Grad mehr gehen 30 Prozent der Küstenfeuchtgebiete verloren, lautet die Prognose.

Teil III des Reports - er sagt dem Menschen, was er gegen den Klimawandel tun kann - zeigt, bei welchem CO2-Ausstoß welche Temperaturerhöhung zu erwarten ist. Die wissenschaftlichen Autoren des Synthesereports von Valencia schlagen nun vor, beide Grafiken zu einer zu verdichten.

Ihre Ansicht: Mit nur einem Blick wäre klar, welche CO2-Konzentration welche Temperaturerhöhung und welche Konsequenzen zur Folge hätte. Die USA, die Saudis und andere, auf den Korridoren die «üblichen Verdächtigen» genannte Staaten, möchten das indes nicht so klar in der Zusammenfassung wiederfinden. «Dann würde klar, dass nur die Szenarien mit geringem CO2-Ausstoß infrage kommen», urteilt ein IPCC-Mitglied. «Das ist einigen Leuten zu viel. Dadurch entstünde ein zu großer politischer Handlungsdruck.» Die Grafik wird also in kleiner Gruppe weiterverhandelt. Und damit geht die geschlossene Gesellschaft im musealen Halbdunkel weiter zum nächsten Detail über, auf das sich Forscher und Politiker einigen müssen - so lautet nun einmal der Auftrag der Vereinten Nationen.

Erst am Sonnabendvormittag wird die Zusammenfassung präsentiert. Sie kann laut den IPCC-Statuten keine grundsätzlich neuen Informationen enthalten. Dass der Mensch dabei ist, bereits jetzt das Klima auch nach 2100 zu ändern, ist nur eine der lange bekannten IPCC-Aussagen. Mehr Dürren, schmelzende Eiskappen, stärkere Stürme und Lebensgefahr für viele Millionen Menschen sind weitere.

Einige Beobachter, wie die Umweltstiftung WWF oder Greenpeace, fürchteten schon vor dem Beginn der Verhandlung, dass die nun zu schreibende Zusammenfassung «verwässert» werden könnte, weil «die Amerikaner, die Chinesen, die Saudis» kein oder wenig Interesse daran hätten, den Klimaschutz voranzubringen. Nicht alle im Saal teilen diese gänzlich pessimistische Ansicht. Die US-Delegation etwa sei zwar mit engen politischen Vorgaben angereist, sagt ein Mitglied der IPCC-Arbeitsgruppe III. Die Delegationsmitglieder seien aber nicht grundsätzlich verbohrt: «Sobald eine neue US-Administration kommt, können die ein gutes Mitglied der IPCC-Gemeinschaft werden.» Auf Bali komme es darauf an, auf Grundlage der Zusammenfassung von Valencia hinter den Kulissen die Weichen für die Zeit nach George W. Bush zu stellen.

Thilo Resenhoeft, dpa

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