07.05.2021

Wenn das Wetter extrem wird

Komplexe Messkampagne in Deutschland nimmt Auswirkungen extremer Wetterereignisse unter die Lupe.

Extremes Wetter wie starke Gewitter, Hagel oder Hitze haben in den letzten Jahren auch in Deutschland zugenommen und verursachen teils große wirtschaftliche und infrastrukturelle Schäden. Die komplexen physikalischen Prozesse, die beim Entstehen dieser Wetter­ereignisse ablaufen, untersucht die Helmholtz-Initiative MOSES, an der das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt ist. Ziel der nun startenden und vom KIT koordinierten Messkampagne „Swabian MOSES“ ist es, die Ursachen, Auswirkungen und Wechselwirkungen hydro-meteorologischer Extreme ganzheitlich zu untersuchen. Im Untersuchungs­gebiet in Baden-Württemberg treten sowohl Gewitter als auch Hitze- und Dürreperioden häufig auf.

 

 

Abb.: Mit den Systemen von KITcube lassen sich Luft­strömungen, Niederschlag...
Abb.: Mit den Systemen von KITcube lassen sich Luft­strömungen, Niederschlag oder Temperatur- und Feuchte­profile in der Atmosphäre messen. (Bild: A. Wieser, KIT)

Um die Auswirkungen meteorologischer und hydrologischer Extreme auf die langfristige Entwicklung von Erd- und Umweltsystemen zu untersuchen, bauen neun Forschungs­zentren der Helmholtz-Gemeinschaft das mobile und modular einsatzfähige Beobachtungs­system MOSES (Modular Observation Solutions for Earth Systems) auf, das bis 2022 vollständig einsatzfähig sein soll. Testkampagnen sind ein wichtiger Teil dieser Aufbauarbeit, denn es gilt, die neuen Messsysteme im mobilen Einsatz zu prüfen, weiter­zuentwickeln und aufeinander abzustimmen. Zwei dieser Kampagnen zu unterschiedlichen Fragen und in unterschiedlichen Untersuchungs­gebieten sind bislang für das Jahr 2021 geplant – im Bereich der Schwäbischen Alb und auf der Elbe.

Im Mai startet die Messkampagne „Swabian MOSES“ im Bereich der Schwäbischen Alb und des Neckartals in Baden-Württemberg, die voraussichtlich bis Mitte September läuft und vom KIT koordiniert wird. In deren Mittelpunkt stehen zwei hydro-meteorologische Extreme – Trockenheit und Starkniederschlag. So führte die Häufung von mehrwöchigen Trockenperioden in den Jahren 2018 bis 2020 dazu, dass im letzten Jahr der Grundwasser­spiegel auf einen historischen Niedrigstand sank und viele Flüsse ein ausgeprägtes Niedrigwasser führten – mit erheblichen Einschränkungen für Schifffahrt, Bewässerung und Kraftwerks­kühlung.

„Aufgrund ihrer komplexen Topographie und geographischen Lage ist die Untersuchungs­region besonders häufig auch von schweren Gewitter­ereignissen betroffen“, sagt Michael Kunz vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphären­forschung (IMK-TRO), einer der Koordinatoren des Projekts. „Ein Hagelsturm genau in unserem Untersuchungsgebiet im Juli 2013 beispielsweise, bei dem Hagelkörner mit einem Durchmesser von bis zu zehn Zentimetern beobachtet wurden, verursachte Schäden von etwa einer Milliarde Euro.“ Die mit Gewittern einhergehenden Stark­niederschläge können zudem lokale Sturzfluten an Hanglagen oder in flächen­versiegelten urbanen Bereichen verursachen, die nicht nur zu erheblichen Schäden, sondern auch zu einem massiven Sediment- und Schadstoff­transport in Gewässern führen.

Mit verschiedenen Messsystemen beteiligt sind neben dem federführenden Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT auch das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) aus Leipzig, das Forschungs­zentrum Jülich (FZJ), die Universität Hohenheim, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Technische Universität Braunschweig, das Helmholtz Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der Deutsche Wetterdienst (DWD).

Das KIT setzt sein mobiles Observatorium KITcube ein. „Der KITcube liefert detaillierte Informationen über den Zustand der Atmosphäre bei der Entstehung und Entwicklung von Gewittern, dem ersten Schwerpunkt der Messkampagne“, so Andreas Wieser, wissenschaftlicher Direktor des KITcube. „Dies gelingt durch die Kombination modernster Fernerkundungs­geräte und einer Vielzahl im Messgebiet verteilter lokaler Messsysteme.“ Dazu zählen unter anderem ein hochmodernes Wolkenradar, ein Niederschlagsradar, ein Netzwerk aus Lidaren, mit denen atmosphärische Luftströmungen mithilfe von Lasern erfasst werden können, Wetterballons und Wetterstationen. Eine neuartige mobile Wolkenkammer des KIT misst die Menge an eisbildenden Partikeln, die in Gewitterwolken für die Niederschlags- und Hagelbildung mitverantwortlich sind. Erstmalig erprobt das KIT zudem kleine Schwarmsonden, die innerhalb einer Gewitterwolke die Windverhältnisse und damit auch die Bahnen von Hagelkörnern nachbilden, um die Wachstumsprozesse der Niederschlags­teilchen, insbesondere von Hagel, besser zu verstehen.

Die Universität Hohenheim betreibt während der Kampagne am Land-Atmosphäre Feedback Observatorium (LAFO) ihr Netz aus Bodenfeuchte- und Energie­bilanz­stationen zur Messung von Energie-, Feuchte- und CO2-Flüssen in Bodennähe, sowie mehrere moderne Lidar-Fernerkundungs­geräte, die gleichzeitig die Verteilung der Luftfeuchtigkeit, der Temperatur und des Windes sowie deren Fluktuationen in der Atmosphäre messen.

Die Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich lassen Ballonsonden bis in 35 Kilometer Höhe steigen, um unter anderem zu ermitteln, wie sich Gewitter langfristig auf das Klima auswirken. Der DWD führt am Standort Stuttgart-Schnarrenberg zusätzliche Ballonaufstiege durch, sodass Informationen über wichtige Wetterparameter im Vorfeld von Gewittern gewonnen werden. Zwei Forschungsflugzeuge der Technischen Universität Braunschweig sammeln Daten in Gewitternähe während drei Wochen im Juni und Juli. An Bord integrierte Messgeräte erlauben die Bestimmung von Energie- und Feuchteflüssen innerhalb der Atmosphäre. Eingebaut ist zudem ein vom KIT entwickeltes Lidar, das vertikale Windprofile entlang der Flugstrecke erfasst, welche Rückschlüsse auf die Strömung in den Entstehungs­gebieten von Gewittern ermöglichen.

Den Einfluss von Starkregen und Überflutungen auf die Stofffrachten von Fließgewässern untersuchen Forscher der Universität Tübingen und des UFZ. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den gelösten und partikelgebundenen Schadstoffen, die durch Starkregen aus verschiedenen Quellen in Gewässer gelangen, und der daraus resultierenden Toxizität für das aquatische Ökosystem. Ziel der Untersuchungen ist die Erfassung der Stoff­eintragspfade in hydrologisch verschiedenen Einzugsgebieten, welche sich in Landnutzung und Urbanisierungs­grad unterscheiden, sowie die Erfassung der Wasserqualität. Ein Teil der Proben wird am UFZ auf organische Schadstoffe und deren Mischungstoxizität untersucht. In Zusammenarbeit mit dem KIT untersuchen die Forscher zudem den Austausch von Treibhausgasen zwischen Fließgewässern und der Atmosphäre.

Um die Auswirkungen von Hitze- und Dürrestress auf landwirtschaftliche Flächen der Schwäbischen Alb zu erfassen, werden seitens des KIT an mehreren Standorten Messstationen errichtet, die den Energie- und Stoffaustausch zwischen den betroffenen Ökosystemen und der Atmosphäre quantifizieren. Das GFZ ergänzt diese Messungen aus der Luft über entsprechende an Drohnen befestigte Sensoren. Zusätzlich installiert das KIT mehrere Aerosol­messgeräte, um Zusammenhänge zwischen deren Verteilung und Hitze- und Dürreperioden zu erforschen.

Die Wissenschaftler des UFZ untersuchen die Dynamik der Bodenfeuchte als eine zentrale Steuergröße für den Abfluss des Regenwassers sowie für die Dürre­entwicklung. Dazu installiert das UFZ während der Messkampagne mobile, drahtlose Sensornetzwerke, welche die Bodenfeuchte und -temperatur in verschiedenen Tiefen messen. Um großräumige Variationen der Bodenfeuchte zu beobachten, kommt zusätzlich ein Geländefahrzeug mit speziell entwickelten Neutronensensoren (Cosmic Ray Rover) zum Einsatz. Das DLR erfasst die oberflächennahe Bodenfeuchte zusätzlich mit Radar-Flugzeug­messungen. Die Forscher setzen hierfür innovative Abbildungs­verfahren ein und erproben neue Algorithmen. Um in den Boden einzudringen, verwenden sie langwellige elektromagnetische Wellen, die abhängig von der Bodenfeuchte und der Vegetation ein charakteristisches Signal abbilden. Die Ergebnisse dienen auch dem Vergleich der verschiedenen Messmethoden im Hinblick auf ihre Genauigkeit.

KIT / DE

 

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