Wie Megacities wuchern
Fernerkundung mit Satelliten verknüpft mit Human-Sensing-Daten zeigt neue Slum-Gebiete.
Zum ersten Mal wurden Daten aus der Satelliten-Fernerkundung mit sozialen Daten, dem Human Sensing, wissenschaftlich verknüpft und für die Wachstumsanalyse einer Megacity genutzt. Miguel Rodriguez Lopez vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg und sein Team untersuchten das illegale Wachstum von Metropolen am Beispiel von Mexico City. Menschen aus dem Umland siedeln sich in hohem Maße an den Rändern der Stadt an. Hier entstehen oft inoffizielle, nicht-genehmigte Wohnviertel, die Slums. Deren Bewohner werden oft abseits offizieller Strukturen von Bandenchefs, Polizei und Lokalpolitikern dirigiert und haben kaum Rechtssicherheit. Fehlende Infrastruktur und Gewaltkonflikte erschweren die Situation.
Abb.: Wachsende Megacity: Fernerkundungsdaten über Siedlungen in Mexico City (rote Punkte) werden mit erfolgten Bürgerbeschwerden (schwarze Punkte) gekoppelt, um illegale Siedlungen zu identizieren. (Bild: UHH / CEN / Rodriguez, Heider)
Gleichzeitig ist fortschreitende Urbanisierung ein großer Treiber für steigende CO2-Emissionen. Doch sind Größe und Ausbreitung von Slumgebieten – ebenso wie andere illegale Landnutzungen – schwer messbar und es gibt hier kaum belastbare Zahlen. Diese sind jedoch Voraussetzung für soziale und städtebauliche Konzepte sowie für Klimaprognosen. Das Team um Rodriguez Lopez verwendet eine neue Methode, um die Hotspots der illegalen Urbanisierung sicher zu identifizieren. Dazu verknüpften die Wissenschaftler zwei ganz unterschiedliche Datenbanken. Zunächst wurden Satellitenbilder der südlichen Stadtgrenze von 2009 bis 2014 mit Hilfe eines Geoinformationssystems (GIS) ausgewertet. Bis zu einer Auflösung von fünf Metern wurden die Areale entweder als Natur oder als besiedelt eingestuft. Mexico City grenzt im Süden direkt an große Naturschutzgebiete. Findet hier eine neue Besiedelung statt, ist sie in jedem Fall nicht genehmigt.
Zusätzlich zu den Remote-Sensing-Daten aus der Fernerkundung wurden 18.000 Beschwerden von Bürgern ausgewertet, die Umweltverstöße wie zum Beispiel illegales Siedeln in Naturschutzgebieten bei der Umweltbehörde von Mexico City zur Anzeige brachten. Diese Human-Sensing-Daten aus dem Zeitraum von 2002 bis 2013 sind bei der Behörde online einsehbar. Alle Anzeigen sind geo-referenziert, das heißt, sie haben exakte Standort-Koordinaten. Damit gehören sie zur Gruppe der Volunteered Geographic Information. Aus beiden Datensätzen konnten die Wissenschaftler erstmals detaillierte Karten erstellen, die in Kombination noch exakter werden: Wo die Karten deckungsgleich sind, befinden sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent nicht-genehmigte Siedlungen. Ein leistungsfähiges Instrument, mit dem sich die Neuentstehung von Slumgebieten sicher bestimmen lässt.
Das Forscherteam fand auch heraus, warum die Human-Sensing-Daten an einigen Stellen besonders exakt waren. Überraschenderweise war nicht nur die Menge der eingegangenen Anzeigen ausschlaggebend für die Zuverlässigkeit der Daten, sondern vielmehr die Arbeitslosenquote in den angrenzenden Stadtgebieten. Entstand ein neuer Slum neben Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, so wurde er kaum zur Anzeige gebracht. In den potenziell reicheren Vierteln mit hoher Beschäftigung wurden dagegen viele Siedlungsdelikte angezeigt. Die neuen Nachbarn waren weniger erwünscht.
Sogar Prognosen sind mit Hilfe der Human-Sensing-Daten möglich. So weisen die Beschwerden von Bürgern eindeutig darauf hin, wo die Stadt in Zukunft wachsen wird. Solche Informationen sind wertvoll, um präventiv Konzepte zu entwickeln. Die neue Methode ist auf andere Megacities übertragbar und kann potenziell auch weitere Human-Sensing-Quellen nutzen, wie freiwillige Daten aus Google oder Twitter. Experten erwarten beispielsweise in Asien und Afrika große Wanderungsbewegungen in die Städte. Zusätzlich zu sozialen und rechtlichen Problemen, würde dies auch einen deutlichen Anstieg von klimarelevanten Emissionen zur Folge haben. Um hier gegensteuern zu können, müssen Entscheidungsträger die Muster illegalen Städtewachstums genau kennen.
UHH / JOL