14.06.2023

Wirbelschleppen ausbremsen

Spezielle Platten an Flughäfen erzeugen Sekundärwirbel, die Wirbelschleppen schnell zerfallen lassen.

Rund zehn Kilometer Sicherheits­abstand müssen kleine und mittlere Flugzeuge derzeit zu voraus­fliegenden schwereren Maschinen einhalten. Der Grund sind Wirbel­schleppen, die hinter einem Flugzeug entstehen und eine potenzielle Gefahr für nachfolgende Flugzeuge darstellen. Insbesondere beim Lande­anflug, kurz vor dem Aufsetzen, häufen sich Einflüge in diese Luft­verwirbelungen, da die Wirbel in Bodennähe wieder aufsteigen und genau im Flugpfad des nach­folgenden Flugzeuges verharren können.

 

Um Wirbelschleppen im Anflug­bereich abzuschwächen, hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine neuartige Methode entwickelt und mit Austro Control zusammen erfolgreich am Flughafen Wien getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass „Plate Lines“ die Lebens­dauer von Wirbel­schleppen deutlich verringern. Sie können die Sicherheit bei Landungen weiter erhöhen sowie die Effizienz künftig steigern.

Für einen realitätsnahen Einsatz führte das Projektteam 2019 eine sieben­monatige Testkampagne am internationalen Flughafen Wien durch. Vor der Landebahn errichteten sie dazu eine Reihe von rund neun Meter langen und viereinhalb Meter hohen Platten. An den Platten entstehen Sekundär­wirbel, die die Wirbelschleppen deutlich schneller zerfallen lassen.

Die Auswertung der umfangreichen Messungen ist nun abgeschlossen und belegt: Die Lebensdauer von Wirbel­schleppen wird in Bodennähe für mittelgroße Flugzeuge um 22 Prozent reduziert. Bei großen Flugzeugen beträgt die Reduktion sogar bis zu 37 Prozent. „Dieser Befund ist auf den ersten Blick überraschend, rührt aber daher, dass bei größeren Flugzeugen größere Wirbel entstehen und diese früher in Kontakt mit den Platten kommen“, erklärt Frank Holzäpfel vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffen­hofen. Bei einer typischen Anordnung – ein mittelgroßer Flieger hinter einem großen Wirbelverzeuger – halbieren Plate Lines somit die Stärke der Wirbelschleppen.

„Die Plate Lines sind eine bahnbrechende und kosten­günstige Innovation, um die Sicherheit weiter zu erhöhen und auch Lande­kapazitäten zu optimieren. Gleichzeitig können dadurch etwa Warteschleifen vermieden werden und Emissionen im Flugverkehr reduziert werden“, betont Christian Kern, Leiter Air Traffic Management Austro Control.

Die Staffelung, das heißt der Sicherheitsabstand für Flugzeuge bei Start und Landung, ist ein wesentlicher Faktor für die maximale Kapazität eines Flughafens. Die Forscher untersuchten daher auch Ansätze, wie der beschleunigte Wirbelzerfall die Flugzeug­staffelung optimieren kann. Prinzipiell ist dies durch eine geschickte Kombination mit existierenden oder zukünftigen Staffelungs­methoden möglich.

Schon in naher Zukunft könnten Plate Lines mit dem Verfahren RECAT-EU-PWS (Optimised Wake Turbulence Re-Categorisation and Pair-Wise Separation Minima) kombiniert werden, das voraus­sichtlich noch in diesem Jahr durch die Europäische Agentur für Flug­sicherheit freigegeben wird. Das neue Verfahren wird Flugzeug­abstände zwischen individuellen Flugzeugtypen neu justieren und dadurch zusätzliche Landungen pro Stunde ermöglichen. Ein Nachteil ist, dass sich dadurch die Häufigkeit von wenig gefährlichen, aber dennoch unerwünschten Begegnungen mit Wirbel­schleppen erhöht. Mit Plate Lines könnte diese Effekt vermieden werden, sodass sich Sicherheit wie auch Taktzahl von Landeanflügen erhöhen würde.

Am Standort Rauchenwarth nahe Wien befindet sich seit Januar 2023 ein Prototyp einer Plate-Line-Platte, der bereit zur dauerhaften Installation an einem Flughafen ist. Die Konstruktion muss einerseits schwerste Unwetter überstehen und andererseits leicht zerbrechlich sein, falls ein Flugzeug eine Platte touchiert. Diese entgegen­gesetzten Anforderungen lösten die Forscher, indem sie für Flughäfen zertifizierte Aluminium-Masten der Firma Lattix mit Aluminium-Paneelen kombinierten. Bei einem Aufprall eines Flugzeuges würden die Paneele die Konstruktion nicht versteifen, sondern zu Boden fallen.

Aufbauten an einem Flughafen unterliegen ferner einer Vielzahl strenger Auflagen. Die notwendigen Unterlagen für die Plate Lines wurden durch externe Gutachter geprüft und liegen den Behörden für kommende Installationen vor. „Dass ein Prototyp realisiert wurde, ist Verdienst eines Projekt­teams, das die ambitionierten Ziele mit höchstem persönlichem Engagement und enormem Durchhalte­vermögen angestrebt hat. Es freut mich, dass Austro Control hier federführend beteiligt war“, fasst Christian Kern zusammen.

Auch Frank Holzäpfel ist stolz auf den erfolgreichen Weg: „In Plate Lines stecken über zehn Jahre Forschung. Ich bin glücklich, dass wir gemeinsam mit Austro Control die Entwicklung für den Regelbetrieb nun wesentlich vorangebracht haben. Der nächste Schritt wäre nun die Installation einer kompletten Plate Line an einem großen Flughafen, zum Beispiel gemeinsam mit dem Verfahren RECAT-EU-PWS.“

DLR / DE

 

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