10.03.2005

Zum Tode von Hans Bethe

Ein Interview mit Hans Bethe durchgeführt im Herbst 2004 von Dieter Hoffmann.


Zum Tode von Hans Bethe

Hans Bethe starb am Sonntag im Alter von 98 Jahren in seinem Haus in Ithaca (US-Bundesstaat New York). Er wurde 1967 für seine Arbeiten zur Energieentstehung in Sternen mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Lesen Sie hier das Interview, das ein halbes Jahr vor seinem Tod Dieter Hoffmann geführt hat:



Hans Bethe in Aktion 1967 (copyright: Cornell University)




'1905 war sein großes Jahr'

Hans Bethe gehört zu den großen Physikern des 20. Jahrhunderts und hat Einstein noch persönlich gekannt. Er wurde 1906 in Straßburg geboren und studierte in Frankfurt und München Physik. 1933 emigrierte er zunächst nach England, bevor er 1935 an die Cornell University in die USA ging. Während des Kriegs leitete er die Theorieabteilung des Manhattan-Projekts beteiligt. Mit ihm sprach Dieter Hoffmann vom MPI für Wissenschaftsgeschichte (Berlin) in Ithaca, NY.

Wann sind Sie Einstein erstmals begegnet?

1933, in Princeton, wo ich Wigner besuchte. Er stellte mich Einstein vor. Aber die Begegnung dauerte nur zwei Minuten, ohne jede innere Berührung. Ich habe keinerlei Eindruck mehr davon.

Aber Einstein war Ihnen natürlich schon vorher ein Begriff?


Als ich das erste Mal von Einstein gehört habe, muss ich ungefähr zwölf Jahre alt gewesen sein. Ja, es war 1918. Mir wurde erzählt, Einstein habe eine völlige Umwälzung der Physik geschaffen, aber nur etwa zehn Leute in der Welt verstünden, was er getan hat. Letzteres war natürlich völlig falsch, denn 1918 war seine Spezielle Theorie wohl bekannt und verstanden. Sie ist leicht zu verstehen! Es ist übrigens eine der verständlichsten Arbeiten, die ich je gelesen habe. Ich halte die Spezielle für die weitaus wichtigste Leistung Einsteins. Nicht nur, dass sie überall in der Physik Anwendung findet. Darf ich Englisch sprechen?

Natürlich.


Ich spreche Deutsch ohne Akzent, but English more easily. The Special Theory is of utmost importance to atomic motion, but mainly to nuclear orbits, namely the energy in nuclear physics; and also for the observation of nuclear particles coming out of the nucleus. That, of course, Einstein didn’t know in 1905, but in my opinion his three papers of 1905 are by far the most important he ever wrote. I think, the Special Theory is far more important than General Relativity.

Noch wichtiger als Einsteins Lichtquantenhypothese?


Well, the light-quantum is equally important. But there he had Planck as predecessor, whereas the Special Relativity had no predecessor.

Haben Sie als Student und als junger Wissenschaftler in den 20er-Jahren Einstein nur als Wissenschaftler wahrgenommen oder auch als politischen Menschen?


Viele Jahre, beinahe bis 1933, nur als Wissenschaftler.

Einstein war ja einer der wenigen Wissenschaftler, die sofort gesagt haben: „Die Nazis sind Verbrecher.“


Das war auch meine Meinung. Ich war zwar nicht beeinflusst von Einstein, aber völlig mit ihm darin einig, dass die Nazis - so wie sie sich bereits vor der Machtübernahme benahmen - Verbrecher waren.

1933 hatte Einstein seinen Austritt aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften erklärt, ebenfalls aus der Physikalischen Gesellschaft, weil er mit den politischen Verhältnissen in Deutschland nicht mehr einverstanden war. Wie haben Sie Einsteins Konflikt mit der Akademie wahrgenommen?


Garnicht, denn 1933 war ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Da die Nazis auch Halbjuden als Semiten ansahen, war es klar, dass meine Zukunft völlig anders sein würde als geplant. Glücklicherweise hatte ich einen Lehrer, Arnold Sommerfeld, der sich in rührender Weise für seine Schüler einsetzte, dann allerdings selbst in Schwierigkeiten geriet. Sommerfeld hat mir bereits im Frühjahr 1933 einen Job in England verschafft, bei Bragg.

Einsteins Verhältnis zu Deutschland war ja ein sehr kompliziertes. Als junger Mann floh er vor preußischem Drill und dem deutschen Schulwesen in die Schweiz. 1914 kam er dann nach Berlin und wurde dort in den 20er-Jahren als Jude und Pazifist politisch angegriffen. 1933 emigrierte er schließlich und kehrte nie wieder nach Deutschland zurück. Ihre Haltung unterscheidet sich deutlich davon, denn Sie kehrten ja schon 1946 nach Deutschland zurück.


1948!

Sie haben alte Kontakte wieder aufgenommen, nicht nur zu Personen, sondern auch zu Institutionen.


Eigentlich nur zu Personen. Ich habe Heisenberg und Weizsäcker besucht, anschließend Gerlach in München und Madelung in Frankfurt.

Sie sind Mitglied des Ordens „Pour la Mérite“ und deutscher Akademien. Einstein hat es dagegen abgelehnt, wieder Mitglied der Bayerischen und Berliner Akademie zu werden, mit sehr deutlichen Worten. Nach 1945 sagte er immer: „Deutschland ist das Land der Massenmörder.“ Wie erklären Sie sich Ihre ganz unterschiedliche Haltung nicht nur zum Dritten Reich, sondern zu Deutschland schlechthin?


Ich habe immer versucht, zwischen dem Dritten Reich und Nachkriegsdeutschland zu unterscheiden. Ich kannte viele Deutsche - egal ob Physiker oder Nichtphysiker -, die ehrenwert und Freunde sein konnten. Es gab natürlich viele überzeugte Nazis nach 1933, und auch noch nach 1945! Es gab aber mindestens ebenso viele, die sich davon ferngehalten haben.

Welche Rolle hat Einstein in der amerikanischen Gesellschaft, vor allen Dingen in der amerikanischen Physiker-Community gespielt? Wurde er beachtet?


Als Physiker? Nein. Als Politiker? Ja. Einsteins Physik in dieser Zeit wurde von beinahe niemandem beachtet. Es war ein kleiner Kreis von etwa zehn Personen, die daran arbeiteten und die Bescheid wussten.

Hätten Sie sich vorstellen können, bei Einstein Assistent zu sein?


Absolut nicht!

Warum nicht?


Weil er über Dinge arbeitete, die mich nicht interessierten.

Einstein hat diesen berühmten Brief an Roosevelt unterschrieben, in dem es um die Frage der militärischen Nutzung der Kernkraft ging.


Einstein hat den Brief ja nicht geschrieben, sondern die beiden Ungarn Wigner und Szilard. Sie ließen Einstein unterschreiben, weil sie glaubten, dass Roosevelt dann dieser Sache Beachtung schenken würde.

Wie sehen Sie, der selbst eine wichtige Rolle in der Kernphysik und bei der Entwicklung der Atombombe gespielt hat, Einsteins Haltung zur Atombombe? Er ist ja 1945 zu einem Kritiker der atomaren Rüstung geworden und hat verschiedene Ideen zur Abrüstung und einer Weltregierung entwickelt.


Die meisten Physiker, die von Europa nach Amerika kamen, teilten Einsteins Ansicht. Meine eigene Ansicht war, dass der Gebrauch der Atombombe 1945 nicht nur gerechtfertigt, sondern auch die einzige Möglichkeit war, um den Krieg mit Japan zu beenden. Meiner Meinung nach hat der Einsatz der Bombe viele Menschenleben gerettet. Dann aber, in den späten 40ern und den 50ern, wurde die Atomrüstung übertrieben, und das war das Gegenteil von dem, was Einstein und wir alle wollten. Es ist etwas völlig anderes, ob es zwei Atombomben gibt oder 200!

Eine der letzten Aktivitäten Einsteins war das Manifest gegen Atomrüstung, das er noch unmittelbar vor seinem Tod auf Anregung von Bertrand Russell unterschrieben hat. Wie haben Sie diesen Appell wahrgenommen?


Ich habe selbst Vorträge im selben Sinne gehalten. Aber Einstein war halt Einstein! Man hat ihm zugehört. Ich war, glaube ich, bei zwei seiner Vorträge anwesend. Er hat es so einfach und so überzeugend gesagt! Deswegen war Einstein äußerst wichtig in der Propaganda gegen weitere Atomrüstung. Und Einstein war ein unabhängiger Mann, unabhängig von seiner Umgebung.

Fragt man heute Menschen auf der Straße nach einem berühmten Physiker, dann werden sie mit Sicherheit Einstein nennen. Wie erklären Sie sich diese enorme Bedeutung und Popularität Einsteins im Vergleich zu den anderen großen Namen der Physik des 20. Jahrhunderts, die ja auch Bedeutendes geleistet haben?

Ich kann einen wirklichen Grund dafür angeben, nämlich dass Einstein die grundlegenden Ideen der Physik verändert hat. Und das war bei wenigen anderen der Fall. Planck vielleicht! Aber Planck hat es nie explizit und logisch dargestellt. Und der erste, der die Quantentheorie wirklich begriff, war Einstein. Nicht Planck! Und zwar in den drei Publikationen von 1905. Und deswegen sage ich es noch mal, 1905 war sein großes Jahr.

 
Quelle: Physik Journal 3 / 2005

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